4. August 2020

Schwäche: Futter für Lebensfreude

Von nst5

Standpunkt

Clown-Auftritte leben daraus, Schwächen, Ticks oder Schwierigkeiten des Lebens oder der Menschen so groß zu machen, dass sie lustig werden und man darüber lachen kann. So entsteht aus einer Schwäche Freude, aus etwas Schlimmen Schönheit – eine Wandlung, die für mich letztlich ein Bild für das Wunder der Auferstehung ist.
Für den Clown sind seine Schwächen das Kapital, mit dem er wuchern kann. Stärken sind langweilig. Was zählt, sind Stolperer, Schwierigkeiten, große Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Das lernt man gezielt in der Ausbildung. Ich erinnere mich an Kurse, wo jeder durch den Raum ging und die anderen schauten, was das Besondere an seinem Gang ist: ein leichtes Hinken oder Schlurfen etwa. Das sollten wir dann immer größer machen, bis es kippt und lustig wird.
Menschen, die in eine Clown-Rolle schlüpfen, brauchen vor allem den Mut zur Peinlichkeit; dass man sich traut zu zeigen, dass man schwach ist oder etwas nicht kann. Denn das Thema einer Clown-Szene ist nicht die Lebensfreude, sondern der Überlebenskampf. Das ist das Wunder des Clowns: dass aus dem Kampf, dem Bemühen darum, die Katastrophe zu bewältigen, Freude erwächst – als überraschendes Ergebnis. Das scheint paradox, ist aber genau der Reiz. Darin steckt auch eine tiefe Weisheit für das „normale Leben“ abseits der Bühne: Kostbar ist das, was nicht klappt. Das verhilft mir zu einer tiefen Freude. Mein Clown-Sein bestätigt mir, dass Schwäche etwas Wertvolles ist – eine Sicht, die ich mir freilich immer wieder erobern muss. Da geht es auch darum, nicht aufzugeben, zu kämpfen, sich nicht hängen zu lassen. Letztlich lehrt es mich, dass bedrückende Situationen bewältigbar sind, wenn man sie annimmt; wenn man umarmt, was schwer ist.
Der Clown lebt außerdem aus der Beziehung. Vor allem in der Improvisation nimmt man auf, was das Publikum anbietet – den Blickkontakt, die Reaktion, eine direkte Ansprache. Es ist faszinierend, dabei in Erwachsenen wieder das Kind hervorzulocken: die spielerische Seite, die Unbeschwertheit, die Fähigkeit zu lachen, auch über sich selbst, die eigenen Unzulänglichkeiten nicht so ernst zu nehmen und das Schöne im Kleinen zu entdecken, die Poesie der zerbrochenen Vase oder der geknickten Blume. Das können Kinder wunderbar von sich aus. Erwachsene tun sich da nicht so leicht. Bei ihnen ist diese Fähigkeit oft verschüttet durch Sachzwänge, durch das, was man so alles können muss. Aber ich bin überzeugt, dass in jedem so ein Kind steckt, das die Welt mit neuen und frischen Augen anschauen möchte: Das ist Lebensfreude!  Ich werde nie vergessen, was einmal bei einer Tagung passiert ist: Die Teilnehmer waren ernste Männer in verantwortlichen Positionen. Als ich in meiner Clown-Rolle den Saal betrat, schaute ich plötzlich in die Gesichter von lauter Buben. Da war ich auch selbst perplex. Aber genau das möchte ich gern immer wieder offenlegen und die Menschen ermuntern, das Kind in sich wieder wahrzunehmen, und damit den direkten Weg zur Lebensfreude.

Foto: privat

Barbara Richter,
Fürth, ist im „normalen Leben“ Krankenschwester. Ihre Leidenschaft gehört jedoch der Clownerie. Die Begeisterung dafür zeigte sich schon als Kind. So zog sie nach einer Theater-Ausbildung in der Schweiz zum Studium der Clownerie nach San Francisco. Dort übte sie vor allem Straßentheater – den Ernstfall der Improvisation. 1998 gründete sie das „Rote Nase Clowntheater“. Sie tritt bei privaten und betrieblichen Feiern auf.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2020)
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