3. Dezember 2020

Ein planetarisches Familientreffen

Von nst5

In den 40 Jahren seines Bestehens hat das „Collegamento CH“, die weltweite Konferenzschaltung der Fokolar-Bewegung, einige Veränderungen erlebt und blieb dabei doch seinem Wesenskern treu. Der Leiter des Kommunikationsbüros, Joachim Schwind beschreibt die „mediale Erfolgsgeschichte“.

„Bleiben Sie bitte am Apparat! Sie werden für ein Konferenz-Gespräch verlangt.“ Wer in den 1980er-Jahren in engerem Kontakt mit der Fokolar-Bewegung war, hat wahrscheinlich diesen Satz noch im Ohr. Es lag immer eine gewisse Spannung in der Luft, wenn aus den knisternden Telefonverstärkern, um die man sich in kleineren oder größeren Gruppen versammelt hatte, jene sanfte weibliche Stimme mit Schweizer Akzent erklang. Wenn dann die Ansage abbrach, wusste man: Soeben hat sich ein Tor zur Welt geöffnet. Über das „Collegamento CH“, jene einzigartige globale Telefonkonferenz der Fokolar-Bewegung, war man mit einem Schlag live verbunden mit Gleichgesinnten an vielen Orten rund um den Globus.

Live-Video-Schaltung unter den lokalen Gemeinschafen der Fokolar-Bewegung in aller Welt. – Alle Fotos: (c) CSCmedia

In den 40 Jahren seines Bestehens haben sich die technischen Gegebenheiten rapide und grundlegend verändert. Aus der anfänglich 14-täglichen Telefonkonferenz wurde in mehreren Etappen ein zunächst über VHS-Cassetten und DVD, dann via Satellit und schließlich über Internet-Streaming verbreitetes zweimonatliches Video-Journal mit eingebetteten Live-Schaltungen. Die provisorisch an Telefonapparate angeschlossenen Lautsprecher sind heute jeder gängigen Form von internetfähigen Endgeräten gewichen. Geblieben ist dennoch ein mediales Ereignis, das weiterhin seinesgleichen sucht.

Chiara Lubich, Gründerin der Fokolar-Bewegung (links), bei einer telefonischen Konferenzschaltung 1986.

Angefangen hat alles mit einem gelungenen Namenstagsfest: Am 11. August 1980, Gedenktag der heiligen Klara von Assisi, gestalteten es die Schweizer Fokolarinnen und Fokolare am Urlaubsort von Chiara Lubich im Schweizer Wallis. Sie feierten nicht nur den Namenstag von Chiara Lubich, sondern das, was die Fokolar-Gründerin mit diesem Namen verband: die Klarheit, die Einsicht in einen neuen Zugang zum Evangelium, das Charisma der Einheit, das ihr und allen, die sich mit ihr auf diesen Weg machen, geschenkt worden war.
Bewegt und inspiriert von der heiter-entspannten und zugleich tief gemeinschaftlich-geistlichen Atmosphäre dieses Nachmittags, drückte Chiara den Wunsch aus, auch weiterhin ein großes, gemeinsames Fokolar zu bilden, also untereinander das „Herdfeuer“ (ital.: focolare) der gegenseitigen Liebe am Brennen zu halten. Der Weg dazu war – typisch für die Fokolar-Spiritualität – das Anteilgeben und -nehmen am eigenen Leben und an dem der anderen.

Die Parabol-Antenne beim einstigen Wohnhaus von Chiara Lubich erinnert an die Entwicklungsschritte vom “Collegamento CH”.

Einer Anregung von Clara Squarzon, damals mitverantwortlich für die Bewegung in der Schweiz, folgend, wurde bereits am 14. August eine erste Telefonkonferenz (ital.: collegamento telefonico) zwischen Chiaras Feriendomizil und den Fokolargemeinschaften in Zürich, Lugano und Genf geschaltet. An die zunächst zweimal in der Woche stattfindenden Rundgespräche hängten sich schnell weitere Fokolar-Zentren in Europa und Übersee an. Und weil das Ganze von der Schweizer Telefongesellschaft abgewickelt wurde, bekam das „Collegamento“ einfach das Helvetische Nationalkennzeichen „CH“ angehängt. Der Name ist geblieben, auch wenn es sich nicht mehr um eine Telefonkonferenz handelt.
Fast explosionsartig verlief die weitere Entwicklung. Zunächst vervielfältigten sich die Telefonkonferenzen in nationalen Parallel-Schaltungen. Dann ermöglichte US-amerikanische Technik eine planetarische Ausweitung. Nachträglich wurde zudem eine Videoaufzeichnung erstellt und weltweit vertrieben. 1994 zählte man 1515 angeschlossene Orte und über 55 000 Zuhörer oder Zuschauer bei Übersetzungen in 16 Sprachen.

Eine Ortsgruppe der Fokolar-Bewegung in Portugal grüßt die anderen Teilnehmer der internationalen Video-Konferenzschlatung.

Ganz offenkundig traf das neue Kommunikationsmittel in der Bewegung auf ein tiefes Bedürfnis. Mit einem Mal wurde das große Ziel einer in geschwisterlichen Beziehungen geeinten Welt, für das sich die Fokolar-Bewegung engagiert, erfahr- oder besser gesagt: hör- und sichtbar. Man konnte sich als weltumspannende Familie erleben und sich über den Einsatz für eine geeinte Welt austauschen, und das mehr als ein Jahrzehnt bevor der Begriff „Globalisierung“ in aller Munde war.
Aber nicht nur die technischen Möglichkeiten machten das „Collegamento CH“ zu einem einzigartigen Medium. Mit charismatischem Gespür hatte Chiara Lubich von Anfang an drei inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, die bis heute zum Wesenskern gehören. Schon der weltumspannende Aufruf der Teilnehmenden am Beginn der Schaltung war ein unvergessliches Ereignis. Gerufen zu sein machte deutlich, dass man in diesem Geschehen keine Statistenrolle ausübte. Wo es angebracht war, ergriff Chiara Lubich auch selbst das Wort, um einzelne Teilnehmer zu grüßen, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen oder ihnen in besonderen Situationen Mut zuzusprechen.
Nicht weniger identitätsstiftend war der geistliche Impuls-Gedanke, den Chiara dann vortrug und als Anregung für eine gemeinsame „Heilige Reise“ verstand, jenen Pilgerweg zur Vollkommenheit, von dem im Psalm 84 (Vers 6) die Rede ist. „Den ersten Entwurf dazu schrieb sie bereits eine Woche zuvor nieder“, erinnert sich Anna Paula Meier, die viele Jahre im Fokolar mit Chiara die technische Seite des „Collegamento CH“ betreute. Chiara habe immer wieder am Text gefeilt, um ihn so einfach und verständlich wie möglich zu formulieren. „Niemand sollte sich von der gemeinsamen ‚Heiligen Reise‘ ausgeschlossen fühlen.“

Technik, Regie, journalistische Arbeit, Übersetzung, Aufnahmeleitung: Hinter den Kulissen ist ein international besetztes Team im Einsatz.

Auch die Nachrichten aus der Fokolar-Bewegung in aller Welt, die den dritten Block des „Collegamento CH“ ausmachten, hatten einen spirituellen Hintergrund: „Alles soll allen gehören“, fasste Eli Folonari, Chiara Lubichs engste Mitarbeiterin und in gewisser Weise „Schutzengel“ des „Collegamento CH“, einmal das Leitmotiv dafür zusammen.
Die mediale Entwicklung in 40 Jahren hat das „Collegamento CH“ verständlicherweise nachhaltig verändert. Bilder, Sprache und Komposition haben sich mit dem Kommunikationsverhalten der Menschen weiterentwickelt. War die Live-Rückmeldung zwischenzeitlich auf die Kanäle der sozialen Medien ausgewichen, so machen in jüngster Zeit die auch durch die Covid-19-Pandemie weiterentwickelten Internetkonferenzen eine neue Unmittelbarkeit unter den Teilnehmern möglich.
Erweitert hat sich auch die Reichweite. Anfänglich war die Konferenzschaltung für den inneren Kern der Bewegung, also für Mitglieder, die sich verbindlich in einer der Gruppierungen engagieren. Heute steht die Teilnahme allen offen, die sich in irgendeiner Weise zur großen Fokolar-Familie zugehörig fühlen oder sich dafür interessieren. Das „Collegamento CH“ ist gewissermaßen weiterhin eine Art Familientreffen, bei dem jedoch Türen und Fenster weit offenstehen.
Diese Ausrichtung hat natürlich Auswirkungen auf die Inhalte. Während früher vor allem von Aktivitäten und Veranstaltungen der einzelnen Zweige, Gruppierungen und Initiativen berichtet wurde, versucht das Collegamento-Team heute, dem modernen Medienkonsum entsprechend, Personen vorzustellen und ihre Geschichten zu erzählen. In diesen Erzählungen spiegelt sich dann selbstverständlich auch der Hintergrund wider, der ihr Handeln bewegt. Und diese Geschichten lassen sich auch außerhalb der Live-Übertragung einzeln weiterverbreiten, ohne an Substanz zu verlieren.
Das „Collegamento CH“ bleibt auch nach 40 Jahren ein originelles und aktuelles Kommunikationsmittel. Denn der Traum von einer geeinten Welt ist noch nicht erfüllt, aber er ist auch noch nicht ausgeträumt.
Joachim Schwind

Alle Fotos: (c) CSCmedia

„Collegamento CH“
Die regelmäßige Schaltkonferenz der Fokolar-Bewegung hat ihren Ursprung am 11. August 1980 im Schweizerischen Wallis. Nach einer Namenstagsfeier äußert Chiara Lubich den Wunsch, mit den Schweizer Fokolaren in engem Kontakt zu bleiben. Am 14. August 1980 verbinden sie sich von Zürich, Lugano und Genf in einer Telefonkonferenz mit Chiaras Feriendomizil. Das Interesse ist groß. Schon im Oktober sind Gemeinschaften in Brasilien, Peru, Kolumbien, Mexiko und den Philippinen zugeschaltet, und im November bekommt das „Collegamento CH“ vierzehntäglichen Rhythmus. Am 14. Juni 1990 findet die erste „planetarische“ Telefonkonferenz statt mit künftig monatlicher Auflage. Ab 1994 gibt es nachträglich eine Videoaufzeichnung mit ergänzenden Bildern und Filmaufnahmen. Ab 2003 ermöglicht die europäische Weltraumagentur ESA die weltweite Ausstrahlung über Satellit. Nach dem Tod von Chiara Lubich (2008) bekommt das „Collegamento CH“ zweimonatlichen Rhythmus und wird über Internet-Streaming ausgestrahlt.

Aufzeichnungen der letzten Video-Konferenzen finden sich unter collegamentoch.focolare.org

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2020)
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