2. Februar 2021

Gerade Gute sind gefährdet

Von nst5

Geistiger Missbrauch

„Geistigen Missbrauch gibt es überall.“ Darauf wies der Grazer Psychiater und Neurologe Günther Klug bei der Tagung „Gefährliche Seelenführer. Geistiger und geistlicher Missbrauch“ des Bistums Dresden hin, die im November 2020 in Leipzig stattfand.
Während Geistlicher Missbrauch auf ein religiöses Umfeld beschränkt ist, ist Geistiger Missbrauch in allen Bereichen der Gesellschaft verbreitet. Geistiger Missbrauch sei es, wenn Macht nur dazu genutzt werde, den Zielen der Organisation oder ihrer Hierarchie zu dienen und nicht die Entwicklung der Menschen im Blick habe.
Auffällig ist, dass geistiger Missbrauch oft dort vorkommt, wo auch Gutes geschieht. Besonders gefährdet, so Klug, seien Organisationen, die einen positiven Zweck haben und öffentlich positiv bewertet werden, die sinnvolle Tätigkeit und Zugehörigkeit zu einer Gruppe bieten, die klare und starke Hierarchien haben und den leitenden Personen viel Freiheit in der Arbeit mit Individuen und Gruppen gewähren.
Um persönliche Betroffenheit zu erzeugen, die notwendig für jede Veränderung sei, hat Klug eine drastische Form gewählt: Er hat elf Regeln aufgestellt, die es ermöglichen, ein missbräuchliches Umfeld zu schaffen, das den Täter schützt. Regel 1 lautet etwa: „Entwerfen Sie ein geschlossenes System der Logik und eine autoritäre Struktur.“ Und in Regel 3 heißt es: „Kontrollieren Sie die Umgebung der Person und besonders ihre Zeit. Je mehr Zeit in Ihrer Organisation verbracht wird, desto weniger bleibt für Kontakte nach außen und Reflexion.“ 1)
Jeder Mensch in einer entsprechenden Position sei anfällig für Machtmissbrauch. Veränderung bedürfe immer der persönlichen Betroffenheit, daher habe er diese drastische Form gewählt. Klug: „Der erste Schritt ist, sich klar zu machen, dass man als Organisation und Mensch immer gefährdet ist und wachsam bleiben muss.“ Vorbeugen ließe sich der Missbrauchsgefahr durch Teamarbeit, Supervision und regelmäßige Fortbildung. Für potenzielle oder tatsächliche Opfer sei ein Hinweis- und Beschwerdemanagement nötig.

1 Die Regeln finden sich in: Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch, Herder Thema, 2020, S.29

Im Fadenkreuz
Manchmal hilft ein Bild, um in ein schwieriges Thema hineinzufinden. Das hat auch Schwester Katharina Kluitmann versucht, als sie sich dem Thema des Geistlichen Missbrauchs näherte. Die Franziskanerin ist Vorsitzende und Präventionsbeauftragte der Deutschen Ordensobernkonferenz. Sie habe „ein holzschnittartiges Bild gesucht, das das Thema anschaulich macht. Ich bin auf das Fadenkreuz gekommen. Wir kennen es vom Schießen, vielleicht vom Tatort am Sonntagabend. Menschen können in dieses Fadenkreuz geraten. Dann werden sie zur Zielscheibe.“

Demütig
Anlässlich einer Tagung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen zum Thema des Geistlichen Missbrauchs schrieb deren Direktor Thomas Arnold: „Wir sind demütig schweigend angesichts des Leids durch spirituellen Missbrauch, andererseits schreit das erlangte Wissen danach, innerhalb der Kirche ein neues Bewusstsein für charismatische Leitung, die Defizite existierender Machstrukturen und deren teils spirituelle Überhöhung zu entwickeln.“

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2021)
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