1. Februar 2021

Passiert

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Illustration: (c) kate_sun (iStock)

Letzten Samstag stand ich in der Schlange vor dem Bäcker. Vor mir ein etwa 14-jähriger Junge. Als er an der Reihe war, hielt er sich die Kapuze vor den Mund und betrat den Laden. Die Verkäuferin bat ihn, den Laden wieder zu verlassen – als Maske gelte die Kapuze nicht. Der Junge verließ unverrichteter Dinge den Laden. Spontan fragte ich, was er denn gebraucht hätte und ob ich es besorgen könne. Ja, gerne. 12 Krapfen. Er reichte mir 20 Euro. Ich betrat den Laden und bestellte. Die Verkäuferin begann, sich zu rechtfertigen. Es folgte ein gutes Gespräch. Als ich den Laden verließ, schienen alle froh – die Verkäuferin über das Gespräch, der Junge über die Krapfen und ich über die Entdeckung, auf diese noch ungewohnte Art für andere etwas tun zu können.
K.Z.

Als die Schulen geschlossen waren, wurde mein jugendlicher Enkel aggressiver denn je. Wir leben im selben Haus und ich hatte ihn mit großgezogen und auch durch schwierige Zeiten begleitet. Eines Tages reagierte er sehr heftig, als es etwas zu essen gab, das er nicht mochte. Zuerst wollte ich genauso heftig erwidern, aber ein innerer Instinkt ließ mich innehalten. Ich ging in die Küche und machte ein Dessert, das er sehr mag. Als der Duft durchs Haus zog, kam er, umarmte mich und bat um Verzeihung. Ich tat, als sei nichts passiert. Da begann er, sich zu öffnen, und wir kamen in ein Gespräch, wie wir es lange nicht mehr gehabt hatten. Seinen Eltern sagte er abends, welches Glück er doch hätte, mit seiner Oma im selben Haus zu wohnen.
P.B.

Während der Pandemie war auch ich gezwungen, zu Hause zu arbeiten. Dabei war die Arbeit an mir selbst wohl das anstrengendste. Ich kam nicht umhin, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, für meine altgewordenen Eltern zu sorgen, meiner Frau in der Küche zu helfen … Ich hatte den Wert der kleinen alltäglichen Gesten völlig aus dem Blick verloren. Die vielleicht wichtigste Entdeckung aber war das Gebet, meine Beziehung zu Gott. Sie hatte ich vernachlässigt und mich nur noch mit meiner Arbeit beschäftigt. Für mich ist diese Zeit so zu einer echten Schule geworden, effektiver als viele Bücher und Seminare.
M.V.

Bei monatlichen Treffen zum „Wort des Lebens“ erzählen wir uns Schwierigkeiten, Freuden, Erfahrungen. Ein tiefer, frohmachender Austausch. Am Ende nehmen wir uns einen Satz aus dem Kommentar vor, der uns besonders berührt hat. Schon nach einigen Tagen vergesse ich ihn aber regelmäßig. – Da sah ich bei meinem Kardiologen einen Aushang: Er empfiehlt, sich zehn Sätze aufzuschreiben, wie das Leben schöner werden könnte. Einen Satz solle man vor dem Schlafengehen lesen. Das löste in mir etwas aus: „Schreib’ doch aus dem Kommentar sieben, acht Sätze heraus, die dich besonders ansprechen. Nimm dir Tag für Tag einen und notiere die Erlebnisse.“ Ich merke, wie das Wort so in meinem Alltag lebendiger wird.
G.W.

Nach vielen gemeinsamen Ehejahren wurde ich meiner Frau gegenüber immer ungeduldiger. Sie ist mit vielem nicht einverstanden und wiederholt das ständig. Eines Tages reagierte ich sehr unwirsch: Dass ich wüsste, was ich zu tun hätte, sie hätte es mir ja bereits gesagt. Natürlich war sie verletzt, aber ich auch. Ich bat um Verzeihung. Wer weiß, wie viele Dinge ich tat, die sie verletzten? Wir fingen neu an. Als eine Nichte uns mit ihrem Partner besuchte, erzählten wir davon. Ohne ersichtlichen Grund begannen beide zu weinen. Nach kurzem Schweigen vertrauten sie uns an, dass sie beschlossen hatten, wegen ihrer Unterschiedlichkeit nicht zusammenzubleiben. Unsere Geschichte hatte sie so bewegt, dass sie noch mal darüber nachdenken wollten.
P.T.

In meinen 25 Jahren als Arzt habe ich scheinbar nichts anderes getan, als meinen Patienten zuzuhören. Mir bleibt immer eine Frau aus meinen ersten Tagen als Hausarzt in Erinnerung. Sie hatte zuvor bereits unzählige Kollegen aufgesucht und beschrieb mir ein Detail ihrer Geschichte, das der Schlüssel zu ihren Leiden war. Als ich fragte: „Haben Sie nicht schon vorher mit den Ärzten darüber gesprochen?“, antwortete sie: „Das kommt mir zum ersten Mal in den Sinn. Vielleicht, weil Sie so gut zuhören.“ Diese Erfahrung hat mir in meinem Berufsleben mehr geholfen als alle Weiterbildungen. All diese Jahre waren eine Hör-Schule für mich … und ich habe noch lange nicht zu Ende gelernt!
U.I.

Als mir der Arzt sagte, dass der Krebs wieder aufgetaucht sei, galt mein erster Gedanke der Familie, unseren Kindern und Enkeln. Mein Mann und ich sprachen in Ruhe über die Situation. Wir beschlossen, die verbleibende Zeit so zu leben, dass wir ihnen das Zeugnis einer treuen Liebe geben. Die neue Phase ist zwar schmerzhaft, aber auch voller Farbe und Wärme. Die Liebe unter allen hat zugenommen und wir lernen, die Zeit „auszukosten“: Jede Geste ist einzigartig, weil es die letzte sein könnte, jedes Telefongespräch, jedes Wort. Alles bekommt Wert. Mein Mann ist überrascht, dass Freude unsere Tage prägt und wiederholt oft: „Das ist das Wichtigste, was wir den Kindern hinterlassen können!“ Wenn wir beten, bleibt nur Dank.
G.C.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2021)
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