1. Februar 2021

WORT DES LEBENS . PLUS

Von nst5

Wo sind die Früchte?

„Bleibt in meiner Liebe und ihr werdet reiche Frucht bringen.“ Zunächst ist interessant, dass Jesus keine Aktionen vorschlägt, sondern nur ein „Bleiben“. Die Fruchtbarkeit bringt Er. Ausgerechnet die Corona-Zeit hat uns Seelsorger und Gläubige in der Pfarrei das gelehrt. Wir haben uns jahrelang um das „Herstellen“ von Ereignissen wie Pfarrfest und Gruppenstunden gekümmert. Das geht gerade gar nicht. Wo aber zeigen sich gerade jetzt Früchte? Ich habe fünf verschiedene entdeckt.
Wenn man sich mit Jesus verbündet, fängt eine Reinigung an. Er drängt mich und uns innerlich dahin, manches zu korrigieren und zu ordnen. Ich hingegen möchte manches lieber aussitzen, wenn es etwa um Mietverträge, Personalfragen, aber auch um mich selbst oder das Miteinander in unserer Wohngemeinschaft im Pfarrhaus geht.
Jesus bleibt unverfügbar. Das zeigt sich darin, dass wir in der heutigen Zeit letztlich gar nicht planen können, weil die Situation morgen schon anders ist. Das wird oft negativ gedeutet. Frucht bedeutet hier: Die Unverfügbarkeit aushalten können.
Selbstwert stellt sich ein. Nach der Selbstmorddrohung eines Schülers stand die Frage im Raum: Wie finde ich zu einem Selbstwert, der nicht von Leistung aufgebaut wird? Bei Jugendlichen erlebe ich eine existenzielle Haltlosigkeit, weil es niemanden gibt, der mit ihnen über existenzielle Fragen spricht, Vertrauen vorlebt. Sie sind aufgewachsen in der Machbarkeit: Alles ist irgendwann möglich. Frucht bedeutet, im Dialog Antworten finden, die im anderen schon drinstecken. Dass die Person selbst Antwortträger ist, ist der Selbstwert.
Jemand erzählte, dass er in seiner Verzweiflung das Kreuz von der Wand genommen hat und diesen Gott angeschrien hat. Er habe ihn alles Mögliche geheißen. Nachdem alles „draußen“ war, ist er über sich selbst erschrocken und es kam die Angst, von einem erzürnten und beleidigten Gott nun bestraft zu werden. Das ist eben nicht so. Da kann man lernen, als Ringender bei Gott zu bleiben. Frucht bedeutet, die Weite Gottes zu entdecken, der mit uns ringt und ganz viel aushält.
Jesus überrascht uns. Am Sterbebett eines gläubigen Christen stand ich mit den Verwandten. Er hatte schon einige Stunden nichts mehr gesagt. Wir erwarteten den Tod. Da sagte er mit letzter Kraft: „Vergesst den Glauben nicht, Glauben ist das Wichtigste.“ Das hat alle tief berührt.
Jeden Tag kommen verschiedene Überraschungen von Süßigkeiten, Einladungen bis hin zu Geldspenden bei uns an, so dass wir sagen können: Er sorgt tatsächlich für uns, und wir können das, was übrig ist, teilen.

Wolfgang Schneck ist Stadtpfarrer in Dillingen an der Donau

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2021)
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