7. April 2021

Begegnung fördern anstatt auszugrenzen

Von nst5

Bärbel Radmacher, Dinslaken

Foto: privat

Bärbel Radmacher, 60, Pädagogin, lebt mit ihrem Mann in Dinslaken im Nordwesten des Ruhrgebiets. Sie unterrichtet seit 2016 in Integrationskursen, gibt vor allem Deutsch-Alphabetisierungskurse für Flüchtlinge und Arbeitszuwanderer. Sie ist Sprecherin des Flüchtlingsrats Dinslaken. Im Flüchtlingsrat, dessen Dachverband „Pro Asyl“ ist, sind engagierte Ehrenamtliche zusammengeschlossen, die sich für die Belange von Geflüchteten einsetzen.

Es gibt immer Menschen, die allen skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen, die anders sind als sie selbst. Meistens verliert sich das, wenn sie konkreten Personen begegnen. Das Ruhrgebiet präsentiert sich heute als Multi-Kulti-Gesellschaft. Bereits im 19. Jahrhundert wanderten polnische Bergleute zur Arbeit in den Zechen ein. Heute leben hier Menschen miteinander, deren Vorfahren aus allen möglichen Ländern stammen. Restaurants und Imbissbuden verschiedenster Kulturen sind ein Ausdruck davon. Personen türkischer, italienischer und anderer Abstammung sind im Integrationsrat meiner Stadt vertreten, der von Migranten parallel zur Kommunalwahl gewählt wird. Aber es hat lange Zeit gedauert, bis das möglich und schließlich selbstverständlich wurde.
Wir sollten aufpassen, dass wir mit den Flüchtlingen der letzten Jahre nicht die gleichen Fehler machen wie damals, als die „Gastarbeiter“ kamen; oder gar schlimmere, die die Gräben zwischen den Kulturen vertiefen und Integration verhindern. Flüchtlinge werden schon allein durch die Lage der Sammelunterkünfte am Stadtrand ausgegrenzt. Dort haben sie anstelle von Menschen bestenfalls ein Gewerbegebiet zum Nachbarn. Das Abschieben vor die Stadttore muss kein böser Wille sein, ist aber für die Stadtverwaltung die billigste Lösung.
Mittlerweile sind in unserer Stadt einige Hundert Migranten dezentral in Wohnungen untergebracht. Sie integrieren sich leichter. Durch Schule und Sportverein haben die Kinder Kontakte zu einheimischen Jungen und Mädchen. Aber von denen wird keines seine ausländischen Klassenkameraden in den Gemeinschaftsunterkünften besuchen.
Mit dem Flüchtlingsrat beantragen wir gerade flächendeckendes W-LAN für 400 Menschen, denen bisher nur ein einziger Internet-Hotspot zur Verfügung steht. Wie sollen sie damit an der Gesellschaft teilhaben, Verwandte und Freunde zu Hause erreichen, Nachrichten empfangen können? Jetzt in Corona-Zeiten können die Kinder so unmöglich am Homeschooling teilnehmen! Zum Glück gibt es andere Kommunen, die das vorbildlich gelöst haben.
Wenn man Migranten nur wenig Kontaktmöglichkeit mit der Bevölkerung lässt und das Erlernen der Sprache erschwert, sind das keine guten Voraussetzungen dafür, dass sie Teil unserer Gesellschaft werden und einmal zum Gemeinwohl beitragen.
Andererseits ist es genauso wichtig, die Bürger über den Umgang mit Migranten zu informieren und sie „mitzunehmen“. Das bedeutet auch, klug vorzugehen. 2016 hatten wir vom Flüchtlingsrat eine dezentrale Unterbringung gefordert. Die Stadt hatte daraufhin ein Grundstück in den Blick genommen, auf dem sie Sozialwohnungen für Flüchtlinge bauen wollte. Ein Teil der Anwohner hat sich dagegen gewehrt. Verständlicherweise stoßen nur für Migranten vorgesehene Wohnungen auf wenig Verständnis. Stattdessen hätte die Stadt gleich sozialen Wohnungsbau für alle vorsehen können. Damit wäre sie auf größere Zustimmung gestoßen und hätte eine gute Mischung der Bewohner gefördert.
Es gibt viele Ansatzpunkte, um den Zusammenhalt und das gesellschaftliche Miteinander über kulturelle Unterschiede hinweg zu verbessern.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
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