6. April 2021

Gemeinsam entscheiden, aber wie?

Von nst5

Egal, ob als Paar, Familie oder Gruppe: Gemeinsam eine Entscheidung zu fällen, ist oft nicht leicht.

Entweder traut sich niemand, einen Vorschlag zu machen, oder aber die verschiedenen Vorschläge stehen nebeneinander im Raum. Wie ist es möglich zu einer Entscheidung zu kommen, wo nicht derjenige recht bekommt, der am schnellsten oder am lautesten ist?

Ulrike Zachhuber,
Psychiaterin, Friedberg-Ottmaring
Gemeinsam Entscheidungen zu treffen ist eine Herausforderung, kann aber auch sehr bereichernd sein. Gute Rahmenbedingungen können einen solchen Prozess fördern. Wichtige Entscheidungen sollte man nicht zwischen Tür und Angel fällen, sondern einen Termin mit ausreichend Zeit vereinbaren. Es sollte auch klar sein, ob die Entscheidung nach der ersten Sitzung feststehen soll oder ein längerer Zeitraum zur Verfügung steht.
Jede beteiligte Person sollte sich vorbereiten und bereits im Vorfeld eine Meinung bilden. Sind mehr als zwei Personen beteiligt, kann eine Moderation helfen, die darauf achtet, dass die Grundregeln eingehalten werden: Alle kommen zu Wort; alle haben für ihre Wortmeldung ausreichend Zeit; alle dürfen ausreden. Günstig ist, Zeit für Rückfragen und die Diskussion einzuplanen. Auch da ist Moderation gefragt.
So entsteht ein Bild, das sich aus verschiedenen Ansichten zusammensetzt. Kommt die Runde nicht beim ersten Mal zu einer Entscheidung, ist es hilfreich, das weitere Vorgehen und einen Zeitplan festzulegen, bevor man auseinandergeht.
Gegen Ende der Entscheidungsfindung fasst die Moderation zusammen und formuliert das Ergebnis. Im besten Fall können alle zustimmen oder die Entscheidung zumindest mittragen.

Simon Deregowski,
Musiker und Student, Köln
Ich entscheide oft „aus dem Bauch heraus“ und genieße die Vielzahl an Möglichkeiten, die Ideen anderer Leute, spontan etwas Unkonventionelles zu tun. Ich jage mit kindlicher Freude Träumen nach und kann mich darin verlieren. Das letzte Jahr hat auf schmerzhafte Weise bewusst gemacht, dass Möglichkeiten schwinden, Träume verpuffen und die Realität heißen kann: Je mehr Einschränkungen, desto besser. Entscheidungen aus dem Bauch zu treffen, bedeutet nicht immer, den Weg zu gehen, der am wenigsten Grummeln verursacht, sondern manchmal, durch das Gefühlschaos hindurchzugehen, weil dann das Herz komplett dabei ist.
Das erlebe ich mit meiner Freundin, wenn wir über die Zukunft nachdenken, in die wir als Einzelne hineingehen mit dem Bedürfnis, einen Platz in der Welt zu finden und dem gemeinsamen Bedürfnis, dort zusammen zu sein. Oder mit meiner Band: Wir mussten neulich unsere persönlichen Anteile am gemeinsamen Werk juristisch fixieren. Einfach wäre es zu vierteln. Aber wir haben zwei Stunden lang telefoniert und eine Lösung gefunden, mit der sich alle besser fühlten, egal, ob sie mit einem größeren oder kleineren Anteil bedacht worden waren.
Man plant so oft und wägt ab, was eine Entscheidung wohl bringen mag. Wünschen wir uns lieber, uns für Dinge entscheiden zu können, die unter den jetzigen Rahmenbedingungen Sinn ergeben, egal, wie sie dann ausgehen.

Johannes Wehr,
Schulleiter, Memmingen
Entscheidungskompetenzen klar abzugrenzen, kann das Leben ungemein vereinfachen: Der Mann entscheidet, welches Auto gekauft wird, die Frau, welche Farbe es haben soll. Über die Gardinen entscheidet natürlich die Frau. Über den Fernseher der Mann. Für viele Paare ist dies ein unmögliches Vorgehen; andere sind damit zufrieden.
Während hier das Salz in der Suppe fehlt, mangelt es dem anderen Extrem mitunter an Leichtigkeit: Wenn alles ausdiskutiert wird, kann es sehr anstrengend werden.
Ganz anders als im familiären Kontext verhält es sich in Gruppen. Hier finden oft Entscheidungsroutinen mit offenen oder verdeckten Hierarchien statt. Darunter leiden oft die Qualität und Akzeptanz einer Entscheidung: Wenn etwa in einem Pfarrgemeinderat Mitglieder ihre Ideen nicht äußern, damit sie hinterher sagen können, dass sie es ja besser gewusst hätten. Da ist es hilfreich, vor der Aussprache eine anonyme Abfrage über Zettel zu machen.
Je größer die Auswirkungen einer Entscheidung sind, desto wichtiger ist es, die Argumente von allen einzubeziehen und sich im Vorfeld über den Prozess der Entscheidungsfindung Gedanken zu machen. Zuletzt würde ich für eine gute Entscheidung noch den Faktor Zeit hinzufügen: nicht aussitzen, nicht aufschieben, aber wachsen lassen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
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