6. April 2021

Hinhören und Umsetzen

Von nst5

Vom 24. Januar bis 7. Februar fand die Generalversammlung der Fokolar-Bewegung statt. Vollständig online. Sie wählte das neue Leitungsgremium und definierte die „Orientierungspunkte“ für das Leben der Bewegung in den kommenden sechs Jahren.

„Ein tief beeindruckender synodaler Prozess, den ich in dieser Größe noch nicht erlebt habe!“ (Wolfgang Schneck, Priester, Dillingen) – „Nie zuvor habe ich die Bewegung in solch einer universellen Dimension erlebt.“ (Brigitte Pischner, ev. Fokolarin, Sozialarbeiterin aus Augsburg) – „Der starke Eindruck, dass alles von „oben“ geführt war. Es gab im Vorfeld viele Unwägbarkeiten, der Zeitplan war knapp, die technischen Herausforderungen groß. Es haben sich immer wieder Knoten gebildet. Doch haben sich diese jeweils gerade noch pünktlich gelöst.“ (Andreas Amann, kath. Fokolar, Umweltgutachter, Zürich)
Diese Antworten von Teilnehmenden an der Generalversammlung der Fokolar-Bewegung sprechen von einer starken, positiven Erfahrung. Aber – so sagen sie auch – es gab dabei „Auf und Abs“, „Spannungen und Entspannung“, Erfahrungen „von Unzulänglichkeit, Unzufriedenheit, Sprachunfähigkeit, Nichtverstehen von dem, was der andere wirklich meint“. Letztlich überwiegt aber wohl in allen diese Erfahrung: „Einheit bedeutet Vielfalt. Unterschiedliche Meinungen, Lebensumstände, Religionen und Kulturen können Einheit bezeugen, wenn die Grundeinstellung stimmt: das gegenseitige Akzeptieren, die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung, wenn die gegenseitige Liebe da ist.“ (Tobias Klodwig, verheirateter Fokolar, Architekt, Münster)

Die Generalversammlung als Online-Event
Alle Fotos: (c) CSC audiovisivi

Das konnte man im Vorfeld nicht erwarten, höchstens erhoffen. Zu unbekannt waren die durch die Pandemie aufgedrängten Rahmenbedingungen. So mussten für die ursprünglich im September 2020 als Präsenzveranstaltung geplante Versammlung alternative Formen gefunden werden. Nur mit der außerordentlichen Erlaubnis des Vatikans war es der kirchlich anerkannten Bewegung möglich, sie dann vollständig online abzuhalten. Selbstverständlich unter der Bedingung, dass Vertraulichkeit, Wahlgeheimnis und freie Meinungsäußerung gewährleistet sind.
Gemeinsam Leben und Arbeiten, miteinander auf dem Weg sein im Hören aufeinander und auf das, was Gott von der Bewegung jetzt und für die nächsten Jahre will. So könnte man die Grundanliegen der Generalversammlung der Bewegung kennzeichnen. Dass alles – unter den außergewöhnlichen Umständen – so gut ging, „grenzt an ein Wunder“, meinte der wiedergewählte Ko-Präsident Jesús Morán am Ende. Neben den Wahlen für die zentralen Leitungsebenen und den damit verbundenen delikaten Beratungsprozessen standen ja auch die Überlegungen zu vier komplexen Themenbereichen an – in Gruppengesprächen, im Plenum, als inhaltlicher, aber auch geistlicher Austausch auf verschiedenen Plattformen. Und: in kultureller, konfessioneller und religiöser Vielfalt – bunt gemischt aus verschiedenen Berufungen der Bewegung und mit großer Beteiligung junger Leute. Das – so Morán weiter – war nur möglich durch die „Hilfe der Gnade und des Heiligen Geistes“ und mit Unterstützung eines unermüdlichen

Ein Team aus zahlreichen Techniker*innen und Übersetzer*innen ermöglichte die weltweite Online-Konferenz.

Technikteams hinter den Kulissen. Dazu gehörten 34 Techniker, die Internetseiten und verschiedene Anwendungen betreuten und in zwei Regiegruppen dafür sorgten, dass die Videokonferenzen funktionierten. Weitere 34 Personen in sieben Ländern übersetzten in fünf Sprachen: Französisch, Englisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch; die technische Koordination lag in der Hand von weiteren fünf Personen. Viele von ihnen befanden sich am Internationalen Zentrum der Bewegung in Rocca di Papa (Italien), andere in Brasilien, Philippinen, England, Irland, Italien, Holland, Spanien, Thailand und den USA. Unter ihnen Francesco Mazzarella, der von Sizilien aus in der Regie der Videokonferenzen arbeitete: „Zwischen uns ist eine Beziehung entstanden, die weit über den technischen Aspekt hinausgeht. Der größte Knackpunkt für die Technik-Equipe besteht darin, ihre mit Schweiß und Mühe erworbene Kompetenz in gegenseitigem Vertrauen weiterzugeben. Das verlangt einen Akt des Glaubens. Dieses Zusammenspiel von Internetverbindungen und Menschen, von Technik und Beziehung ist die Grundlage dieses Abenteuers.“

Margaret Karram

All das bildete den Humus, auf dem dann die Generalversammlung ihre statutengemäßen Aufgaben erfüllen konnte: Am 31. Januar wählte sie Margaret Karram zur neuen Präsidentin der Bewegung. Die 58-jährige katholische Palästinenserin kommt aus Haifa (Israel). Ihr Studium der Judaistik absolvierte sie in den USA und war in verschiedenen verantwortlichen Positionen für die Fokolar-Bewegung in Los Angeles und Jerusalem tätig. Sie engagierte sich besonders im Dialog zwischen den drei monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Seit 2014 war sie am Internationalen Zentrum als Beraterin für Italien und Albanien und im Dialog innerhalb der katholischen Kirche tätig.

Ko-Präsident Jesús Morán wurde für eine zweite Amtszeit bestätigt. Der 64-jährige Spanier hat Philosophie und Theologie studiert, viele Jahre in Mittel- und Südamerika im Fokolar gelebt und wurde 2002 zum Priester geweiht. Seit 2008 lebt er am Zentrum der Bewegung und wurde 2014 zum Ko-Präsident gewählt. Die multikulturelle Zusammensetzung der Bewegung kommt auch im neuen zentralen Leitungsgremium zum Ausdruck: 22 Beraterinnen und Berater aus 16 Ländern und vier Kontinenten bilden es zusammen mit Karram und Morán.

Die scheidende Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Maria Voce, und ihre neugewählte Nachfolgerin, Margaret Karram, mit der Generalversammlung bei einer Audienz bei Papst Franziskus.

„Das Leid der Menschheit mutig umarmen.“ So lässt sich das Ergebnis der intensiven inhaltlichen Beratungen zusammenfassen. In einem weltweiten gemeinschaftlichen Prozess – der schon weit vor der eigentlichen Eröffnung am 24. Januar begonnen hatte – erarbeiteten die Delegierten ein Schlussdokument. Es wendet sich an alle, die sich der Bewegung zugehörig fühlen, und markiert „Orientierungspunkte“ für den Weg der kommenden sechs Jahre. Grundtenor dabei ist wohl die starke Ermutigung, denen nahe zu sein, „die in der Gesellschaft keinen Stellenwert haben oder unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen“ 1 – und liegt damit auf der Linie dessen, wozu Papst Franziskus bei der Privataudienz am 6. Februar ermutigt hatte: „Was euer Handeln betrifft, ermutige ich euch, Zeugen der Nähe zu sein, durch die geschwisterliche Liebe, die jedes Hindernis überwindet.“ Als Kraftquelle für diese Zuwendung unterstreicht das Dokument den gemeinschaftlichen Lebensstil, der im Evangelium, im gelebten Wort, gründet.
Die Teilnehmenden sind sich einig: Die Generalversammlung hat zu guten, wenn auch unerwarteten Ergebnissen geführt. So wurde auch das Schlussdokument viel länger und ausführlicher als ursprünglich von allen gewünscht. „Da wollte man dann doch alles hineinpacken“, sagt Tobias Klodwig und fügt hinzu: „Die Zusammenfassung, die ich mir dann gebildet habe, ist: Hinhören (auf das, was die Welt mir Göttliches sagt) und Umsetzen ( was ich in mir und mit der Gemeinschaft erkenne).“
Gabi Ballweg

Die Wahlkommission berät sich unter Corona-Bedingungen.

Die Generalversammlung ist das oberste Leitungsorgan der Fokolar-Bewegung. Sie findet in der Regel alle sechs Jahre statt und hat die Aufgabe, das zentrale Leitungsgremium zu wählen und über die Schwerpunkte der Arbeit  zu beraten. Außerdem entscheidet sie über Änderungen am Allgemeinen Statut sowie an den Richtlinien der weiteren Gliederungen.
Vom 24. Januar bis 7. Februar fand die ursprünglich für September 2020 geplante Zusammenkunft nun pandemie-bedingt digital statt. Daran nahmen 359 Delegierte aus aller Welt teil, 139 aufgrund ihrer Aufgaben, 181 als von den Angehörigen der Bewegung weltweit gewählte Delegierte und 39 wurden von der Präsidentin eingeladen: Christen verschiedener Konfessionen, Buddhisten, Muslime, Menschen verschiedenster Überzeugungen, Herkunft und Alters.

(1 Das Dokument wurde am Ende noch an eine Redaktionsgruppe verwiesen, die letzte Änderungen einarbeitet. Bei Redaktionsschluss lag es noch nicht vor.)

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
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