2. August 2021

WORT DES LEBENS . PLUS

Von nst5

Die eigentliche Rolle

Als Jugendliche bin ich zusammen mit einer Freundin bei kleineren und größeren Events als Clownin aufgetreten. Nie hätte ich gedacht, dass dieses Hobby mich so prägen und mir einen Schlüssel zu mir selbst geben würde.
Das Kostüm anziehen, die Schminke auflegen, im Spiegel die Mimik ausprobieren, die unterschiedliche Gefühle am deutlichsten zum Ausdruck bringen konnte, all das half, um langsam in die „neue“ Rolle zu schlüpfen, eine andere Person zu werden. Oft wurden wir nach unserem Auftritt, wieder abgeschminkt, nicht wiedererkannt.
Ehrlichkeitshalber muss ich sagen, dass es gar keine neue, sondern die „eigene“ Rolle war, in der ich mich wiederfand. Das Kind in mir konnte endlich wieder hüpfen und Purzelbäume schlagen, Streiche spielen, lachen und weinen, sich streiten und wieder versöhnen, stolz über das Gelungene sein und sich am Applaus freuen. Gerade die Unzulänglichkeiten, die unbeholfenen Versuche, das Sichtbarwerden der Gefühle, schafften die Nähe zum Publikum. Es musste nicht perfekt sein, sondern nur echt.
Oft haben wir beim Kreieren von neuen Szenen Kinder beobachtet. Ihre unverfälschte Unmittelbarkeit, mit der sie im Kontakt mit ihren Gefühlen waren und diese ausdrückten, lehrte uns viel.
Ob Jesus seine Einladung im „Wort des Lebens“ für August auch in diesem Sinn verstanden haben mag?
Sicher wäre es spannend, Erinnerungen aus der Kindheit wach werden zu lassen, sich auch gegenseitig zu erzählen. Schelmische, frohe, beglückende Erlebnisse, wie auch Momente der Furcht, der Enttäuschung, …
Heilsam könnte es sein, beidem Raum zu geben, sich zu erzählen und voneinander zu hören. Vielleicht lernen wir so noch ganze andere Seiten voneinander kennen.
Wenn ich mich heute an die Spiele in meiner Kindheit erinnere, kann ich schmunzelnd feststellen: Vieles davon tue ich auch noch heute am liebsten, etwa Spiele erfinden und mit anderen ausprobieren. Ja, das Kind lebt immer noch in mir. Wie ergeht es Ihnen?
Hören Sie dem Kind in Ihnen zu: Worüber freut es sich, was möchte es endlich wieder einmal erleben, was ärgert es noch immer? Welches Potenzial liegt in Ihnen und lässt auch heute noch Energien frei werden?
Vielleicht kann das Kind in mir, in Ihnen, heute so manches Belastende loslassen, weil es damit umgehen kann. Es kann in seiner eigentlichen Rolle leben und das sein, was es ist: ein geliebtes Kind Gottes und somit groß im Himmelreich.

Ester Klein, Ottmaring;
Religionspädagogin, Fachreferentin für Geistliche Gemeinschaften im Erzbistum München-Freising und Religionslehrerin

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2021)
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