6. Oktober 2021

„Ich bin bereit, muss aber nicht kämpfen.“

Von nst5

Können Frauen zu Priesterinnen geweiht werden? Die Frage gärt in der katholischen Kirche und bewegt auch unsere Autorin 1.

Die Frage nach „Frau und Priestertum“ gärt in der römisch-katholischen Kirche. Ich selbst bin schon lange damit unterwegs, ein Abenteuer! 1977 – 22 Jahre alt und Theologie-Studentin – verstand ich in einem Dialog über die Eucharistie: Diese Gabe Gottes ist ein unverfügbares Geschenk. Wir können sie letztlich nur empfangen, nicht geben. Egal ob wir als Laien oder Priester(-innen) am eucharistischen Mahl teilnehmen.

Die evangelisch-reformierte Kirche in der Schweiz hat das Amt der Gemeinde-Pfarrerin vor rund 60 Jahren eingeführt. Auch in der lutherischen, alt- bzw. christkatholischen sowie der anglikanischen Kirche wirken Pfarrerinnen und Bischöfinnen seit vielen Jahren. Die orthodoxe Kirche hat das Thema intensiv behandelt. Heute steht sie der Weihe von Frauen grundsätzlich offen gegenüber, wartet aber auf ein entsprechendes Postulat der Frauen.

Im Februar 1994 verstand ich beim Mitfeiern einer Heiligen Messe vom Herzen her: „Jetzt könnte ich auch auf der anderen Seite des Altars stehen.“ Das überraschte mich. Es war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich fragte mich: „Soll ich jetzt das Priesteramt anstreben?“ Im Ringen um Klarheit kam ich zum Schluss: „Ja, ich spüre die Berufung, aber ich muss es nicht suchen. Wenn der Heilige Geist die Kirche verstehen lässt, dass sie auch Frauen weihen soll, dann kann ich sagen: ‚Ich bin bereit‘!“

In der Eucharistiefeier, im Wechselspiel zwischen Priester und Gemeinde, bin ich zu Hause. Immer wieder darf ich die beglückende Erfahrung gelingender Einheit machen. Kürzlich war bei einem Sonntagsgottesdienst der Priester kurzfristig verhindert. Eine Seelsorgerin leitete durch die Feier, sprach Gebete, las das Evangelium, hielt die Predigt und teilte die Kommunion aus. In diesem Gottesdienst kam mir die mütterliche Seite Gottes näher.

Kann und soll die Kirche Frauen zu Priesterinnen weihen? Papst Johannes Paul II. hat dies 1994 verneint. In seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ hält er fest, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“. Formal-juristische Aspekte werfen die Frage nach der Autorität des Schreibens auf. Kardinal Joseph Ratzinger sagte 1995 dazu, der Papst habe keine neue dogmatische Formel vorgelegt, und stellte klar, es handle sich nicht um eine „ex cathedra“-Entscheidung. Inwieweit das Schreiben Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen kann,wird diskutiert. Eine Weiterentwicklung der Lehre in OS ist nicht ausgeschlossen.

Die Tiefenströmungen

Seit Langem befinden wir uns im Sog von mächtigen Tiefenströmungen, die die Lebenswelt des Einzelnen, der Gesellschaft und auch der Kirche nachhaltig verändern. Was heißt es, als Frau oder Mann geboren zu sein? Gibt es Geschlechter-Rollen überhaupt noch? Wie verhalten sich diese Transformationsprozesse zur Selbstoffenbarung Gottes? Wo können wir uns als Christinnen und Christen getrost von den Tiefenströmungen mitnehmen lassen, wo gilt es, gegen den Strom zu schwimmen?

Illustration: Freepik © flaticon, bearbeitet von elfgenpick

Edith Stein (1891-1942) sagte 1931 in einem Vortrag in Aachen: „Die neueste Zeit zeigt einen Wandel durch das starke Verlangen nach weiblichen Kräften für kirchlich-caritative Arbeit und Seelsorgehilfe. Von weiblicher Seite regen sich Bestrebungen, dieser Betätigung wieder den Charakter eines geweihten kirchlichen Amtes zu geben, und es mag wohl sein, dass diesem Verlangen eines Tages Gehör gegeben wird. Ob das dann der erste Schritt auf einem Weg wäre, der schließlich zum Priestertum der Frau führte, ist die Frage. Dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen, was es der Kirche verbieten könnte, eine solche bislang unerhörte Neuerung durchzuführen.“ Edith Stein hatte aber das Gefühl, dass durch die Inkarnation Gottes in Jesus, einem Mann, das Priestertum dem Mann vorbehalten sei. Sie erachtete auch die Tradition der katholischen Kirche als wichtiges Argument. Aber Tradition entwickelt sich nicht im luftleeren Raum. Sie ist ganz entscheidend abhängig von den sozio-kulturellen Parametern der Völker, in denen das Christentum Wurzeln zu fassen sucht. Ohne Inkulturation stirbt eine Religion ab oder wird zur Sekte.

Im Mich-Hineinmeditieren, -beten und -leben in die Frage nach Berufung und Sendung von Mann und Frau im Schöpfungs- und Heilsplan Gottes entdecke ich immer wieder Neues. Wir sind auf vielfältige Weise aufeinander bezogen und angewiesen, ergänzen und bereichern einander, leiden manchmal aneinander und dürfen uns so immer tiefer verstehen lernen. Als Mann und Frau, gerufen uns selbst zu transzendieren, sind wir sichtbares Sakrament Jesu Christi. In gegenseitiger Liebe, geöffnet auf das „Dritte“ können wir einen konstruktiven Weg in die Zukunft gehen und Abbild Gottes, lebendige Dreifaltigkeit sein.

Das Ausgespannt-Sein

Es ist für mich tröstlich, so mit dem pilgernden Volk Gottes unterwegs zu sein, wie es das kirchliche Lehramt festgeschrieben hat. Und ich verstehe auch alle Frauen, die sich zum Priestertum berufen fühlen und sich wünschen, dass entsprechende Weichen gestellt werden. Für mich heißt das, möglichst urteilsfrei das Ausgespannt-Sein zwischen der Weisheit des Lehramtes und den inspirierenden Forderungen nach Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kirche mit kontemplativem Blick auszuhalten. Wie Petrus, der sich aus dem Boot wagt im Schauen auf Christus. Verlieren wir diesen Blick, drohen wir unterzugehen in polarisierendem Denken. Im Blick auf Jesus Christus, der die Torheit des Kreuzes ausgehalten hat und der die Kirche führt, können wir allmählich in eine Antwort hineinwachsen und -reifen, die uns die Einheit mit Gott und untereinander finden lässt.

Mit großer Feinfühligkeit und geübtem Unterscheidungsgeist sieht und deutet Papst Franziskus die „Zeichen der Zeit“, speziell die Frauenfrage, und wagt neue Schritte. Er beruft Frauen in Leitungsverantwortung in vatikanische Dikasterien und Behörden. Auch Bischöfe berufen Frauen in Räte, Gremien und Leitungsaufgaben ihrer Diözese. Sie öffnen neue Wege für das Wirken von Frauen in Pastoral und Liturgie. Auf Gemeinde-Ebene erblüht vielerorts ein neues Miteinander. Der Synodale Weg, den Papst Franziskus weltweit angestoßen hat, kann diesen Prozess vertiefen und zu gegebener Zeit in ein neues Konzil führen, das dann über die Priesterweihe der Frau entscheiden kann: Wie schön wäre es, wir könnten dann wie in der Apostelgeschichte 15,28 sagen: „Der Heilige Geist und wir“ – und diese Reihenfolge ist wichtig – „haben beschlossen …“ Und wer weiß schon, was der Geist noch vorhat?

Vor Kurzem machte ich in einer Eucharistiefeier zum Festtag der Apostelin Maria Magdalena eine neue, umwälzende und befreiende Erfahrung: ein tiefes, klares Ja zum ,Weihe-Priestertum der Frau’. Und: In jedem Fall bleibt für mich die höchste Berufung: „sponsa Christi“, Braut Christi, zu sein.

Evelyne Maria Graf

1 Die Theologin Evelyne Maria Graf lebt in St. Gallen und war bis 2019 als Journalistin beim „Pfarreiforum“ des Bistums tätig.


(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2021)
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