4. Oktober 2021

“Frieden ist harte Arbeit.“

Von nst5

Auf Sardinien engagieren sich Menschen,

damit die Produktion einer Rüstungsfabrik umgestellt wird. Sie haben viel erreicht. Aber die Entscheidung fordert auch ihren Preis.

Küstenstreifen Masua bei Iglesias im Südwesten Sardiniens mit ehemaligem Bergwerk und Klippenfelsen “Pan di Zucchero” – Foto: Raffaele pagani / Wikimedia (CC 4.0)

Sardinien: malerische Küsten, Sandstrände, bergige Landschaft, Wanderwege, kultureller und geschichtlicher Reichtum. Das verbinden viele mit der zweitgrößten Mittelmeerinsel.Aber es gibt auch andere Seiten: Sulcis-Iglesiente im Südwesten der Insel etwa zählt zu den ärmsten Regionen Italiens. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 17, unter Jugendlichen sogar bei 57 Prozent. Die Menschen leben vorwiegend von Tourismus, Landwirtschaft, Handel und Dienstleistungen. Größere Industriebetriebe sind hier wie auf der ganzen Insel rar. 2010 ging in Domusnovas, 15 Kilometer von der ehemaligen Provinzhauptstadt Iglesias gelegen, eine Fabrik, in der vorwiegend Sprengstoff für den Bergbau produziert wurde, in neue Hände. Das schien vielen als Rettung in der Not. Der neue Eigentümer – RWM Italia S.P.A. – sicherte etwa 300 Arbeitsplätze. 100 davon in Festanstellung, die restlichen 200 auf befristeter Basis.
RWM ist eine Tochter der Düsseldorfer Rheinmetall AG, dem größten deutschen Rüstungskonzern. In Domusnovas werden seitdem Munition und Bomben produziert. Das ist vielen in der Region klar, gesprochen wird davon aber wenig. Zu groß ist die Sorge um die Arbeitsplätze. „Es scheint auf den ersten Blick so logisch: Wir brauchen Arbeit und der Staat muss sich verteidigen“, erklärt Cinzia Guaita. Die Lehrerin lebt mit ihrer Familie in Iglesias. „Aber das ist Augenwischerei“, sagt die Mutter von zwei Kindern entschieden. Tatsächlich bleibt nur etwa ein Prozent dieser Waffen in Italien. Ein besonders großer Kunde von RWM hingegen ist Saudi-Arabien. Schon 2015 konnten Journalisten eindeutig nachweisen, dass die in Domusnovas produzierten Bomben im Jemen zum Einsatz kamen.

Dieses Foto und alle weiteren Fotos: (c) Cittá Nuova

7. Mai 2017. Die Jugendlichen der Fokolar-Bewegung auf Sardinien wählten Iglesias als Station für ihren jährlichen „Run for unity“, einen weltweiten Staffellauf für den Frieden. An dem Friedensmarsch in der kleinen Stadt beteiligten sich viele Einzelpersonen und Gruppierungen, die sich auch vorher kritisch zur Waffenproduktion positioniert hatten, aber untereinander wenig vernetzt waren. Cinzia Guaita, Arnaldo Spada und andere wussten: „Jetzt war eine Entscheidung gefordert!“ Sich am Friedenslauf beteiligen und hinnehmen, dass ein paar Kilometer weiter Bomben produziert werden, die an anderen Orten der Welt ganz sicher nicht Leben und Frieden brachten, war inakzeptabel. „Deshalb haben wir beim Abschluss das Schweigen gebrochen!“
Schon eine Woche später fand sich ein „Komitee zur Produktionsumstellung von RWM“ zusammen. Zu ihm gehören heute gut 20 Personen aus unterschiedlichen christlichen, politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen. „Normalerweise würden wir wahrscheinlich nicht zusammenfinden. Aber hier verbindet uns das gemeinsame Ziel“, unterstreicht Cinzia Guaita, die zusammen mit Arnaldo Spada das Sprecherteam bildet. „Wir haben so wenig Struktur wie möglich. Jeder macht, was er kann und wann er kann.“ Rückendeckung und Unterstützung bekommt das lokale Komitee über ein breites Netzwerk, das in Italien, aber auch darüber hinaus entstand: Wissenschaftler, Aktivisten, Juristen, Journalisten, … Experten aus unterschiedlichen Bereichen.

„Naiv darf man die Sache nicht angehen!“ Das gehört zu Guaitas wichtigsten Erkenntnissen aus diesen Jahren. „Krieg hat eine starke Lobby: Politiker, die ihn verteidigen und auf unterschiedliche Weise unterstützen. Die Rüstungsindustrie, die mächtig ist. Verwaltungen, die Waffenfabriken wie normale Produktionstätigkeit behandeln. Schweigen und Gleichgültigkeit, die das, was unser Gewissen ablehnt, als Normalität erscheinen lassen. Hingegen scheint der Frieden eine Sache des Herzens und des Gefühls. Aber das stimmt nicht!” Guaita wird deutlich: „Es Fist harte Arbeit, die man klug angehen muss.“ Sich auseinandersetzen mit Thema, Sprache, Hintergründen. Lernen, verstehen, vertiefen, vernetzen, handeln. So hat das Netzwerk erreicht, dass die italienische Regierung den Export von Waffen nach Saudi-Arabien und in andere kriegsführende Länder zunächst befristet und im Januar 2021 völlig gestoppt hat.
Hinter jedem Erfolg steckt eine Menge Arbeit und oft auch Schmerz. „Wir zeigen hier in der Region Gesicht und beziehen Stellung“, erklärt Cinzia Guaita. „Unser Wunsch nach Frieden hat Interessen berührt und fest gefügte Überzeugungen erschüttert. Nach der jahrzehntelangen Passivität wird das nicht von allen gut aufgenommen. Manchmal werden wir in den sozialen Netzwerken oder persönlich kritisiert. Ganz sicher haben wir noch einen weiten Weg vor uns und unterwegs auch Fehler gemacht.“ Etwa als die beiden Komitee-Sprecher in einer öffentlichen Anhörung sehr deutlich Position bezogen. Daraufhin hat der Geschäftsführer der Fabrik sie wegen Verleumdung angezeigt. „Wir hatten nichts Unwahres gesagt, waren aber ein wenig emotional geworden.“ Erst nach einigen Monaten wurde das Verfahren eingestellt, da das Gericht die Vorwürfe als unbegründet einordnete. „Diese Wochen waren nicht leicht. Sie haben mir vor Augen geführt, dass Gewissensentscheidungen ihren Preis haben.“

Zu den Rückschlägen, die das „Komitee zur Produktionsumstellung von RWM“ hinnehmen musste, gehörte auch, dass die Gemeinden Igelsias und Domusnovas eine Erweiterung der Fabrik genehmigten. Aus Sorge um die Arbeitsplätze. RWM hatte mit einer vollständigen Schließung gedroht. „Ist das nicht Erpressung?“, empört sich Cinzia Guaita. „Schon 2001 als die Vorbesitzer die Produktion zum Teil auf militärische Zwecke umstellten, wurde mit dieser Drohung gearbeitet. Heute sind wir am selben Punkt. Was wird in 20 Jahren sein? Soll die ganze Insel eine Waffenfabrik werden?“
Arbeitnehmervertreter sehen das anders. So sagte ein Gewerkschaftsfunktionär letztes Jahr in einem Interview: „Seien wir doch ehrlich: Auch wenn die Fabrik hier schließt, der Krieg im Jemen wäre deshalb nicht zu Ende. Außerdem werden hier nicht nur Bomben für die Saudis, sondern auch für Frankreich, Großbritannien, die USA und zu unserer eigenen Verteidigung hergestellt.“

Die Mitglieder des Komitees wollen sich nicht zufriedengeben, stehen aber auch in einem Spannungsfeld. „Wir wollen nicht spalten und in Gute und Böse einteilen. Trotzdem wollen wir nicht locker lassen, und unser Ziel ist und bleibt die Umstellung der Produktion.“ Auf dem Weg dahin zählen dann die vielen kleinen Schritte; manchmal ist auch ein kleiner Umweg erforderlich. „Damit die Menschen spüren, dass wir ihre Sorgen ernstnehmen, haben wir eine Chance ergriffen: Die Evangelische Landeskirche in Baden, die zu unserem Netzwerk gehört, hat eine Studie mit der Universität Cagliari ermöglicht.“ Wirtschaftswissenschaftler haben die Lage vor Ort genau studiert. Damit die lokalen Betriebe eine Perspektive bekommen, haben sie ein Konzept für eine neue Marke erarbeitet: „WarFree“. Dieses Siegel können Betriebe aller Branchen bekommen, die sich gegen die Kriegsproduktion aussprechen und weitere Kriterien erfüllen. Ihre Produkte sollen über einen gemeinsamen Online-Shop (warfree.it) europaweit schon ab September erhältlich sein. „Wir erhoffen uns einen größeren Markt für die Betriebe und wollen vor allem gegen die Mutlosigkeit vieler hier angehen. Mit ihrem Einkauf sagen auch die Käuferinnen und Käufer Nein zur Rüstungsindustrie und stärken uns den Rücken. So wird unsere Region nicht mehr nur zerstörerische Bomben liefern, sondern auch ein handfestes Zeichen des Friedens in die Welt tragen.“
Gabi Ballweg

Rüstungsausgaben
Nach dem letzten Jahresbericht des Internationalen Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) liegen die Ausgaben für Rüstung weltweit derzeit bei 2,4 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Mit einem Anteil von 5,5 Prozent liegt Deutschland auf dem vierten Platz der weltweiten Rüstungsexporteure.
In den Ländern des Nahen Ostens hat die Nachfrage besonders zugenommen. In den vergangenen fünf Jahren importierten sie 25 Prozent mehr Waffen als in den Jahren davor. Saudi-Arabien bleibt der weltweit größte Rüstungsimporteur und steigerte seine Importe um 61 Prozent, Katar sogar um 361 Prozent.
Obwohl seit 2018 strengere Beschränkungen für Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien gelten, weil das Königreich am Jemen-Krieg beteiligt ist, gingen in den vergangenen Jahren fast ein Viertel aller deutschen Rüstungsgüter in den Nahen Osten.


(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2021)
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