6. Oktober 2021

Sonnentaler

Von nst5

Beschrieben und beobachtet von Ulrike Comes

Ich öffne einen Brunnenschacht in einem mediterranen Garten. Es gibt viel zu sehen: weit unten die glitzernde Wasseroberfläche, an den Seiten Wurzeln der umgebenden Obstbäume, das Spinnennetz in einer Ecke mit beeindruckender Architektur.
Am meisten aber faszinieren mich die Sonnentaler: runde oder ovale Lichtflecke, Projektionen der Sonne. Es bedarf winzig kleiner Lücken im Blätterdach der Bäume, um sie entstehen zu lassen. Die riesige, unvorstellbar heiße Sonne, abgebildet auf eine passende, erträgliche Größe in einem dunklen Schacht.
Gott macht sich klein für uns. Erträglich klein. Ich muss nur einen kleinen Spalt öffnen, ein bisschen Platz machen, damit er sogar in den dunklen Schächten meiner Welt ankommen kann.

Foto: (c) Ulrike Comes

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2021)
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