3. Dezember 2021

Harte Friedensarbeit

Von nst5

Offener Brief an Elisabeth Abuk

Sehr geehrte Frau Abuk!

In Europa wissen nur wenige, dass der Bundesstaat Kaduna zu den gefährlichsten Regionen Nigerias gehört. Dass dort sesshafte Landwirte und nomadische Viehhirten aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen um Land, Weiderechte und den Zugang zu Wasser kämpfen. Und dass sich diese Konflikte in den letzten zwanzig Jahren zugespitzt haben. Die Hirten sind zumeist Muslime, die Ackerbauern Christen. Daher lässt sich leicht verbreiten, die Konflikte seien religiös motiviert. So schüren die Gewalttaten oft unbegründet Misstrauen zwischen beiden Religionsgemeinschaften. Das hat ihrem einst guten Verhältnis schon so weit geschadet, dass heute Christen vorwiegend im Süden und Muslime eher im Norden von Kaduna leben.
Mit dem „Women’s Interfaith Council” (WIC) stellen Sie sich dieser Entwicklung seit über einem Jahrzehnt entgegen! Inzwischen gehören 23 christliche und muslimische Frauenverbände mit 12 000 Frauen zu Ihrem Netzwerk. Gemeinsam wehren Sie sich gegen den Missbrauch der Religion zu politischen Zielen, gemeinsam feiern Sie ihre großen religiösen Feste. In Ihrer von Männern beherrschten Gesellschaft fordern Sie Mitsprache bei Entscheidungsprozessen ein. Sie kümmern sich um die Opfer der Gewalt und vermitteln in Konflikten.
Dabei haben Sie und viele dieser Frauen selbst unvorstellbares Leid erlebt. Bei Angriffen wurden ihre Häuser, Ernten, die berufliche Grundlage vernichtet; sie oder ihre Lieben wurden mit Macheten verstümmelt; Angehörige erschossen, verbrannt, erschlagen, selbst Kinder nicht verschont. Die Terrormiliz Boko Haram und kriminelle Banden überfallen manche Dörfer immer wieder, um zu töten oder zu entführen und damit Geld zu erpressen.
Da wundert es nicht, dass viele Menschen traumatisiert sind. Obwohl es riskant ist, besuchen Sie mit den WIC-Frauen angegriffene Dörfer, Flüchtlingscamps, Waisenhäuser. Sie organisieren Begegnungen, zu denen mehr Betroffene als gedacht kommen, um sich ihre verstörenden Erlebnisse von der Seele zu reden. Ihre Workshops für Frauen, Jugendliche und religiöse Führer bewirken gegenseitiges Verständnis und helfen, Gewaltausbrüche zu vermeiden. Für Gewaltopfer suchen Sie sichere Unterkünfte, kümmern sich, dass sie wieder ein eigenes Einkommen erwirtschaften können, besorgen Prothesen, organisieren medizinische und psychologische Hilfe. Bei schwersten Traumatisierungen ermöglichen Sie klinische Therapien.
Wer wie etliche der Frauen unfassbare Grausamkeiten erfahren hat und trotzdem Feindseligkeit und Rachegelüste überwindet, sich gar unter Lebensgefahr leidenschaftlich für eine friedlichere Zukunft engagiert, setzt gegen den Teufelskreis der Gewalt einen bewegenden Kontrapunkt! Sie und all diese Frauen, Ihr Leid, Ihr Beitrag zum Dialog und zur Aussöhnung, Ihr Mut, Ihre innere Stärke verdienen wahrlich Aufmerksamkeit, Anerkennung und höchsten Respekt! Machen Sie weiter, geben Sie nicht auf! Wir wünschen, dass Ihre Haltung und Ihr Einsatz viele Menschen in Nigeria anstecken, Frucht bringen und spürbar zu mehr Stabilität und Befriedung beitragen – in Kaduna und darüber hinaus.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Elizabeth Abuk
64, hat 2010 mit anderen Frauen im Norden Nigerias das „Women’s Interfaith Council” (WIC) gegründet, auch „Mütter für den Frieden“ genannt. In dieser Initiative machen sich Christinnen und Musliminnen gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben in ihren Dörfern und Stadtvierteln stark, vor allem im Bundesstaat Kaduna. Das WIC war ein Beispielprojekt des katholischen Hilfswerks „missio“ im Weltmissionsmonat Oktober. Am 13. November erhalten das WIC und zwei nach den rassistisch motivierten Morden von Hanau ins Leben gerufene Initiativen den Aachener Friedenspreis.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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