3. Dezember 2021

Im Leben inbegriffen

Von nst5

„Musst du immer gleich so konkret und praktisch werden? Lass uns doch erst mal Ideen spinnen!“

Manchmal höre ich diesen Satz in Besprechungen. Auch umgekehrt: „Das sind doch alles Luftschlösser. Schau doch mal auf Kräfte, Geld und Zeit!“ Unser Alltag, vielleicht unser Leben, steht in diesem Spannungsfeld: Ideen, Visionen, Träume einerseits und deren Umsetzung andererseits.

Titelbild: (c) jhorrocks/iStock

Wenn beides zusammenkommt, kann Beeindruckendes entstehen. Wie Marie Deregowski und ihre Freunde das im Rahmen der Pandemie erlebt haben. Ihre Vorstellungen und Überzeugungen halfen ihnen, trotz veränderter Umstände Energien freizusetzen. Aber Umstände können auch so bedrängend sein, dass sie Träume und Visionen ersticken, wie es wohl viele im Libanon derzeit erleben. Auch den Kirchen ist eine große Vision anvertraut. Ein Leben nach dem Vorbild Gottes. Dennoch: Als er vor über 2000 Jahren Mensch wurde, hat er sich auf konkrete Umstände eingelassen. Seine „Inkarnation“ war mit einem Risiko verbunden. Jesus hat seine Botschaft von der Liebe in ganz bestimmte Zusammenhänge gesagt – und wollte, dass sie trotzdem über jene Zeit und Kultur hinaus allen verfügbar ist. Zu verstehen, was das in neuen, veränderten Zusammenhängen bedeutet, hat schon die ersten Christen herausgefordert.
Dabei geben Strukturen und Ordnungen Halt und Sicherheit. Solange sie dem Leben und der Botschaft dienen. Bei der Aufdeckung und Aufarbeitung der Missbrauchsskandale wird jedoch offensichtlich, dass es „systemische“, also strukturelle Ursachen gibt, die Fehlverhalten begünstigt und verdeckt haben. Deshalb müssen sie auf den Prüfstand. Dass das nicht leicht ist, erleben wir derzeit. Viele Gläubige geraten dadurch in große innere Bedrängnis.
Manchmal besteht die Gefahr, Geist und Struktur gegeneinander zu stellen. Aber sie sind nicht voneinander zu trennen. Natürlich braucht jede Überprüfung und Erneuerung eine gute und solide Verankerung in der Botschaft selbst. Sie braucht den geistlichen Bezug, wie immer wieder angemahnt wird. Sie braucht das Leben des Evangeliums. Aber wer das ernst nimmt, wird wohl nicht bestreiten, dass dann auch Veränderungen notwendig sind. Auch grundlegende. Sie sind im Leben inbegriffen.
Geist und Leben bewirken Veränderung und Veränderung braucht Geist und Leben – beides gehört zusammen. Nicht nur in Bezug auf Kirche.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine reiche Zeit,

Ihre

Gabi Ballweg

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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