3. Dezember 2021

In den Brüchen stehen

Von nst5

Unterwegs auf dem „Synodalen Weg“

lässt sich vieles ablesen, was Gläubige derzeit bewegt.

Kirche – insbesondere die katholische – steht öffentlich massiv in der Kritik. Missbrauch, Vertuschung und die teilweise nur schwer erkennbare Bereitschaft zur Veränderung lassen auch bei Gläubigen viele Fragen aufbrechen. Das Vertrauen in die Bischöfe und auch zu vatikanischen Instanzen ist angeschlagen – mit der Folge, dass viele die Kirche verlassen.
Bedrängend ist die Situation auch für diejenigen, die (noch) bleiben. Sie durchleben Scham, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Empörung, Hoffnung. Da sind prägende Erfahrungen mit Gott, die ohne die Gemeinschaft mit anderen nicht möglich wären. Und da sind Fragen zu Struktur und Ordnung eben dieser Gemeinschaft, zu manch (macht-)bewahrendem Verhalten und zu Grundsätzen, die den Menschen keine befriedigenden Antworten auf ihre Lebenssituationen geben.
Diese Fragen schwelen schon seit Jahren. Die „Missbrauchskrise“ macht sie jetzt unüberhörbar. Dabei geht es – nicht nur für die Institution, sondern auch für die ihr anvertraute Botschaft – um Glaubwürdigkeit.
Seit 2019 ist die katholische Kirche in Deutschland auf einem „Synodalen Weg“. Das ist neu, weil Bischöfe und Laien dabei gemeinsam nach Antworten zu den Themen Macht und Partizipation, Sexualmoral, Rolle der Priester und Teilhabe von Frauen suchen. Es ist kein leichter Weg. Er entsteht im Gehen und sein Ausgang ist offen. Als Mitglied der Synodalversammlung bewegen mich dabei unterschiedliche Aspekte. Mein Blick ist dabei „deutsch“ und „katholisch“ geprägt – wie auch die folgenden Seiten. Das eine oder andere lässt sich aber vielleicht auf andere Kontexte übertragen.

Illustration: (c) PeterHermesFurian (iStock)

Von Anfang an war unter den Synodalen die ganze Bandbreite der Positionen spürbar – von denen, die sich sorgen, dass man auf dem Weg wertvolle Glaubenssätze leichtfertig aufgibt oder sich zu sehr dem „Zeitgeist“ unterwirft, bis zu denen, die auf unbedingte Veränderung setzen, weil sie meinen, dass Kirche weit hinter der Zeit zurück ist. Immer wieder stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit dieser Unterschiedlichkeit um und wie stehen wir zueinander?
Beim Synodalen Weg soll in ehrlichem, offenem und selbstkritischem Dialog gesprochen werden. „Einander in Respekt zuhören“ und „sich nicht gegenseitig die Frömmigkeit absprechen“  – das waren trotz manchmal schonungsloser Offenheit bisher (meist) keine leeren Parolen. Das hat Räume eröffnet. Es überrascht und begeistert. Bischöfe, Priester und Laien. Sich so zu begegnen, verlangt von allen, das eine oder andere hinter sich zu lassen, eigene Positionen zu überdenken.
Dennoch lösen sich diese damit nicht auf. Dann führe ich mir vor Augen, dass keiner und keine die Wahrheit allein erkennen kann. Dass das nur im Miteinander gelingt. Und es hilft, mir bewusst zu machen, dass der/die andere aus einer Beziehung zu Gott lebt, handelt, reagiert. Das ins Gespräch zu bringen, braucht manchmal Mut. Aber es schafft Beziehung und Gemeinschaft über die Sachdebatten hinaus. Und das hilft beieinander zu bleiben. Wie die gemeinsamen geistlichen Impulse und Gottesdienste. Der geistliche Charakter des Weges und das Ringen um konkrete Entscheidungen stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Die Haltung ist wichtig.
Die Suche nach Antworten kostet. Energie, Einsatz, Neuanfänge, Zeit, Geduld. Die Bereitschaft, sich von den Fragen – gerade den unbequemen – treffen zu lassen: Welche Rolle spielen Tradition und Lehramt? Wie viel Verschiedenheit verträgt die Einheit – in mir, in den Ortskirchen und in der Universalkirche? Was ist Zeitgeist und was „Zeichen der Zeit“? Ist der Wunsch nach mehr Beteiligung von Laien an Entscheidungsprozessen und nach mehr Transparenz eine Bedrohung für das Wesen der Kirche? Wie geht Synodalität und was unterscheidet sie von Demokratie? In welchem Verhältnis stehen Bischöfe, Priester und Laien? Was bedeutet da das Wort Jesu „Wer euch hört, hört mich“? Was hilft, damit die Vielfalt der Gaben und Dienste die Botschaft Jesu wieder besser zum Leuchten bringt? Wie gehen Entscheidungsprozesse? (Wie) Kann man zu Einmütigkeit kommen? Und wie ist es mit der Gruppe derer, die Veränderungen skeptisch gegenüberstehen? Kann es gelingen, das Wertvolle ihrer Perspektive einzubeziehen?
Die synodale Weggemeinschaft  tut gut. Sie macht sprechfähiger. Und sie macht auch ein wenig stolz: Wie schön zu einer Gemeinschaft zu gehören, in der sich so viele fähige Menschen so engagiert einbringen, um die Sache Jesu voranzubringen.

Illustration: (c) PeterHermesFurian (iStock)

Natürlich gibt es auch Situationen, die die Leidensfähigkeit auf die Probe stellen: insbesondere dann, wenn außerhalb der Synodalversammlung Stimmen laut werden, die den Prozess ins schlechte Licht rücken, die aus kirchenpolitischen Gründen Zwischenrufe einbringen. Das führt zu Verwirrung, Unruhe, Zweifel, Spekulationen. Das fordert heraus, dem Prozess und dem guten Willen aller zu trauen. Aber es bedeutet nicht, blauäugig zu sein. Naivität ist genauso wenig hilfreich wie grundsätzliches Misstrauen. Das verlangt einen wachsamen Blick und kluges Abwägen – eventuell auch mit anderen. Bei aller notwendigen und immer wieder neu zu findenden Offenheit allen Positionen gegenüber: sich in das Spannungsfeld stellen, bedeutet nicht, keine eigene Position zu haben. Spätestens bei der Abstimmung ist diese gefragt.
Es ist ein Weg ins Ungewisse. Sogar von Kirchenspaltung ist die Rede. Auch wenn ich diese Sorge keinesfalls teile: Spannungen und Enttäuschungen gehören zum Wagnis des Weges. Ihn nicht zu gehen, wäre aber keine Alternative.
Als ich die Anfrage bekam, im Synodalen Weg mitzuwirken, hat sie mir keine Ruhe gelassen. Ich habe einen Impuls wahrgenommen, der den Kern meiner Gotteserfahrung ausmacht: dem Schmerz, dem Leid, der Uneinheit nicht ausweichen, sondern mich hineinstellen – aus der Überzeugung und Erfahrung, dass dort, wo die Einheit am meisten angegriffen oder bedroht ist, dort, wo mich nichts hinzieht – dass dort der Platz ist, wo Gott mir in besonderer Weise begegnen will, wo er – auch durch mich – wirken will. Auch in der Kirche, die ich so viel lieber harmonisch, schön und geeint hätte.
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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