1. April 2022

Schwierige Zeitgenossen

Von nst5

Es gibt Menschen, die machen allen in ihrer Umgebung das Leben schwer.

Sie wissen alles besser, machen aber ihre eigenen Aufgaben oft nicht gut. Die Einzigen, denen das nicht aufzufallen scheint, sind sie selbst. Wie sollte man damit umgehen? Ihnen aus dem Weg gehen? Es ertragen? Oder ansprechen?

Andrea Hendrich
Familientherapeutin, Tutzing
Wer von uns kennt sie nicht? Die alleinstehende Nachbarin, die über den Zaun hinweg gute Erziehungstipps gibt? Den Kollegen, der im Lehrerzimmer alles besser weiß? Keiner von uns bekommt gerne ungefragt Ratschläge. Aber wie gehe ich damit um?
Kein Mensch ist perfekt. Auch ich schmunzle oft über mich selbst, wenn ich meinen eigenen Vorstellungen nicht gerecht werde. Sich das einzugestehen, ist hilfreich. Egal, was der andere gerade beabsichtigt: Es kommt immer darauf an, mit welcher Haltung ich ihm gegenübertrete. Und wie ich gerade bei mir selbst bin.
Manchmal habe ich keine Kraft für anstrengende Kollegen, da bin ich ehrlich. Dann halte ich mich wenig im Lehrerzimmer auf. Wenn ich dagegen ganz bei mir bin, dann gehe ich den Personen entgegen und höre zu. Ich lasse nicht unbedingt alles an mich heran, aber ich versuche herauszufinden, welches Bedürfnis hinter der Aussage des anderen steckt. Welche Angst, welcher Kummer – als Angelegenheit des anderen.
Dann kann ich damit umgehen und immer auch davon lernen. Es verunsichert mich nicht mehr. Entscheidend dabei ist: Ich stelle mich vor Gott und versuche herauszufinden, ob ER mir etwas damit sagen will. ER – und nicht mein Nachbar, meine Kollegin, mein Trainer. Dann ist es eine Chance, eine Gelegenheit, ein Anruf, der von Gott kommt.

Volker Dornheim
Ehe-, Familien- und Lebensberater, Hagen
Manche Klienten bleiben mir lange im Gedächtnis. So wie dieses Paar Anfang 50: Auf jede meiner Fragen kommt von ihm ein aufforderndes Nicken in ihre Richtung. Ich ermuntere die Frau, ihre Sicht mitzuteilen. Noch bevor sie etwas sagen kann, meint er: „Siehst du, das sage ich auch immer: Du musst mehr von dir reden.“ In den folgenden Sitzungen zeigt sich stets dasselbe Muster: Sobald sie zu sprechen beginnt, hat er etwas hinzuzufügen oder zu verbessern. Er hat alles schon einmal gehört oder gesehen, verstanden und reflektiert. Die Frau an seiner Seite versteht er dennoch nicht.
Die Tragik von Personen mit einem solchen „blinden Fleck“ ist es, dass sich irgendwann die meisten Menschen genervt von ihnen abwenden, ohne dass sie verstehen, warum. Der Schmerz darüber wird schnell beiseitegeschoben: Die anderen haben ihnen Unrecht getan. Erst, wenn es wirklich eng wird und wichtige Beziehungen auf dem Spiel stehen, regt sich die leise Ahnung: Das könnte auch etwas mit mir zu tun haben.
Der Umgang mit diesen Menschen erfordert Geduld, und die Bereitschaft, im richtigen Augenblick zu sprechen. Dann gilt es, den anderen nicht zu schonen, sondern klar zu sein: Wenn die Beziehung Bestand haben soll, muss meine Sicht der Dinge in Zukunft genauso Platz finden in unseren Gesprächen und in unserem Miteinander wie deine.

Ulrike Comes
Lehrerin, Solingen
Ich habe eine solche Person vor Augen. Da geht es um vier Aspekte:

  • den Schutz der Menschen, die unter der schlechten Arbeit leiden;
  • einen gewissen Selbstschutz;
  • den Schutz der Kolleginnen und Kollegen, die genervt sind und zusätzliche Arbeit machen müssen;
  • den Schutz der Person selbst: Sie leidet offensichtlich unter mangelnder Selbstachtung, jedes unprofessionelle Infragestellen könnte zum Desaster werden.

Ich hätte das Problem gern ein für alle Mal vom Tisch, aber ich fürchte, das geht nicht, ohne eine beteiligte Person oder Gruppe zu verletzen. Um dieser Situation zu entkommen, muss ich die Perspektive wechseln. Ich stelle fest, dass mein innerer Kompass recht gut funktioniert, wenn ich einen Augenblick innehalte und mich von meinem aktuellen Ärger oder Hochmut frei mache. Die Reaktionen sind dann verschieden, je nach Situation und eigenen Kräften:

  • auf eine aggressive Reaktion oder auf das Bloßstellen der Person verzichten;
  • ihr für eine klar definierte Aufgabe Unterstützung anbieten;
  • mich fragen, wie viel Zeit ich investieren kann, um einfach mal zuzuhören und das dann vorbehaltlos tun;
  • beten.

Und manchmal gilt es, einfach zu akzeptieren, dass wir Menschen wohl immer aneinander leiden werden – und wachsen können.

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2022)
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