1. Juni 2022

Passiert

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Illustration: (c) cako74 (iStock)

In unserem Ort lebt eine sehr arme Familie. Drei der fünf Kinder gehen in dieselben Klassen wie meine. Eines Tages regnete es nach Schulschluss in Strömen. Kurzentschlossen nahm ich auch die drei in mein Auto und fuhr sie nach Hause. Dort sagte der Jüngste: „Komm, ich stell dir meine Mutter vor.“ Wir gingen in das sehr bescheidene Haus. Die Frau bedankte sich und wir redeten ein wenig; dabei kam heraus, dass sie ein gebrauchtes Bett für das Jüngste suchte. Sie zeigte mir die Zimmer, in denen die Tapete wegen der Feuchtigkeit von den Wänden abblättert. Ich versprach, am nächsten Tag das Klappbett zu bringen, das wir selten nutzen. Als wir mit dem Bett auch einige Spielsachen und ein paar Kleider brachten, machten die Kinder einen Freudensprung, auch meine. Wir gingen mit dem Versprechen wiederzukommen.
M.-O.D.

Für meine Tochter stand ein Impftermin an. Da sie beim ersten Mal heftige Nebenwirkungen hatte, war sie verunsichert. Unser Termin rückte näher. Sie wurde abweisend und trödelte. Obwohl ich wusste, dass ihr Hinauszögern mit Angst zu tun hatte, wurde ich wütend. Irgendwann ließen wir unseren Frust mit voller Wucht aneinander aus. Türen flogen krachend zu. Ich fühlte mich erbärmlich. Es dauerte, bis ich alles innerlich zu Jesus bringen konnte. Die Enttäuschung über meine eigene Reaktion blieb. Im Auto war die Stimmung angespannt. Wir kamen viel zu spät und erwarteten, weggeschickt zu werden. Aber der Arzt sah mit einem Blick ihre Anspannung. Nach der Impfung konnte sie sich hinlegen, bekam etwas zu trinken. Nebenwirkungen blieben aus. Der Ärger fiel von uns ab. Auf der Rückfahrt ergab sich ein tiefes, vertrauensvolles Gespräch.
A.K.

„Lass dich von der Not deines Nächsten berühren!“ Das hatte ich mir an dem Morgen als Motto genommen und im Krankenhaus gab es dafür viele Gelegenheiten, etwa bei einer Frau, die ihr erstes Kind erwartete. Aufgrund verschiedener Umstände war klar: Es würde nicht leicht werden. Sie war völlig panisch. Eine junge Kollegin hatte sie aufgenommen und brauchte meine Hilfe. Die Angst der Frau war fast mit Händen greifbar. Selbst tief betroffen von dieser Not konnte ich sie  beruhigen. Sie konnte mir folgen und hat sich voller Vertrauen auf das große Abenteuer Geburt eingelassen. Und sie hat es geschafft – schon das ist Grund zu großer Freude. Aber auch, dass mich meine Kollegin nach meiner Haltung fragte.
P.B.

Ein Freund rief an. Er wirkte verstört. Angesichts des Krieges in der Ukraine sagte er immer wieder: „Ich hab den Eindruck, ich mache zu wenig. Wir müssen doch etwas tun!“ Lange hörte ich zu. „Und wo bist du jetzt?“, fragte ich dann. „Ich bin durch den Wald zum Wegkreuz gelaufen!“ – „Dann tust du doch schon was!“, sagte ich ihm. „Du lässt dich vom Schicksal der vielen Leidenden anrühren und bringst es zu dem, der für uns gelitten hat. Damit hältst du diesen Schmerz schon mit ihnen aus und bleibst nicht kalt und unberührt!“ Unser Gespräch wurde tiefer und friedvoller. Ich erzählte von Friedensmahnern, die wir in den vergangenen Jahren aufgestellt hatten – eine einfache Stele mit den Worten „Friede auf Erden!“ in jeweils vier verschiedenen Sprachen. Dann sagte er: „Mit diesen beiden Ideen kann ich gut weitergehen: das Leid mit den Leidenden aushalten und Friedensstelen errichten, die an unsere Verantwortung für den Frieden zu leben, erinnern!“
M.W.

Eines Tages traf ich auf der Straße den Direktor des Instituts, an dem ich unterrichtet hatte: Vor einiger Zeit hatte er mich unter einem Vorwand entlassen. Das hatte mich getroffen, aber inzwischen war ich mit der Situation im Reinen. Als er mich erkannte, versuchte er auszuweichen. Zu spät. Um das Eis zu brechen, fragte ich ihn, was es Neues gäbe. Er erzählte, dass er inzwischen auch nicht mehr am Institut war, geheiratet hatte und auf der Suche nach Arbeit war. Ich bot ihm an, mich umzuhören. Er wand sich ein wenig. Nach dem, was vorgefallen war, war es ihm peinlich, meine Hilfe anzunehmen. Mit Mühe bekam ich seine Adresse. Aus meinem Freundeskreis kam bald der Hinweis auf eine Stelle. Als ich ihn deswegen kontaktierte, konnte er es kaum glauben.
J.A. – Argentinien

Lange Zeit dachte ich, dass die Aufforderung Jesu, die Feinde zu lieben, mich nicht betrifft. Mein Leben war „normal“, ich hatte eine gute Arbeit und eine Familie, die zusammenhielt. Doch es hat mir keine Ruhe gelassen. Da gab es doch Menschen, die ich mied, die mich verletzt hatten und die ich in einen Teil meines Gehirns verdrängt hatte, wo sie mich nicht stören konnten. Mir kamen Momente, in denen ich, anstatt mich der Situation zu stellen, einfach weggelaufen war. So erstellte ich eine Liste von „Feinden“, für die ich etwas tun wollte: einen Anruf, eine Nachricht, ein Treffen. Es war nicht einfach, immer wieder kamen mir Ausreden, Überlegungen, … Aber ich bin froh, dass ich sie überwunden habe. Nach jeder Begegnung fühlte ich mich freier, „lebendiger“.
G.R.

Kurz nachdem ich an meinen neuen Arbeitsplatz versetzt wurde, bemerkte ich, dass es einen Kollegen gab, den die anderen ausschlossen. Oft bekam er jene Aufgaben zugeteilt, die sonst niemand übernehmen wollte. Ich erkannte in ihm ein Gesicht des leidenden Jesus und wollte ihm meine Verbundenheit zeigen. So teilte ich ihm immer öfter verantwortungsvollere Aufgaben zu. Nach einiger Zeit klopfte es an meiner Bürotür. Es war die Ehefrau des Kollegen. Zu meiner Überraschung wollte sie denjenigen kennenlernen, der ihren Mann dazu gebracht hatte, zu Hause wieder zu sprechen.
G.I.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2022)
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