3. August 2022

Alles ist gut

Von nst5

Die Hoffnung der Christen

ist weder Vertröstung noch Realitätsverweigerung.

Hoffnung, das werden Sie auf den nächsten Seiten feststellen, ist ein Begriff, der mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen gefüllt werden kann und wird. Da sind die Hoffnungen für das persönliche Leben – angefangen davon, dass das Wetter beim geplanten Ausflug gut sein wird, bis dahin, eine gute Partnerin oder einen guten Partner zu finden. Da sind die Hoffnungen für die Menschen in der Familie oder im Freundeskreis: dass die Kinder ihren Weg geborgen und selbstbestimmt gehen können; dass die Freundin wieder gesund wird; dass die Eltern in Würde alt werden können. Und da sind die Hoffnungen auf Frieden, Sicherheit und Freiheit für das eigene Land und die ganze Welt.
Hoffnung zu haben, gibt dem Leben zweifellos Halt. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Hoffnung und Selbsttäuschung? Wenn Hoffnung bedeutet zu glauben, dass alles gut oder wenigstens besser wird, müssten wir dann nicht ehrlicherweise sagen, dass es – zumindest für die Welt als Ganze – gerade nicht allzu viel Grund zur Hoffnung gibt? Krieg ist an vielen Orten der Welt weiterhin ein akzeptiertes Mittel, politische Ziele zu erreichen. Uns Mitteleuropäern ist er so nah, wie seit langem nicht mehr. In seinem Gefolge machen uns höhere Preise zu schaffen, und ausbleibende Weizenlieferungen verschärfen die ohnehin große Not vieler Länder auf der Südhalbkugel. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Und ob wir uns dazu aufraffen, dem Klimawandel ernsthaft Einhalt zu gebieten, ist noch nicht entschieden.
Wie ist es dann zu verstehen, wenn gerade Christen daran festhalten, dass alles gut wird, ja manchmal sogar behaupten, dass alles gut ist? Ist das nicht unvereinbar mit unserem täglichen Erleben? Muss das nicht gar zynisch wirken, angesichts des unermesslichen Leids so vieler Menschen – aber auch Tiere und der Natur?
Wenn Christinnen und Christen einer unerschütterlichen Hoffnung Ausdruck verleihen, dann leugnen sie damit nicht all das Schreckliche, was in der Welt passiert. Sie deuten es auch nicht oberflächlich um. Sie verleihen vielmehr einer Glaubensgewissheit Ausdruck, die besagt, dass das Entscheidende schon getan ist, damit es gut werden kann; ihre Hoffnung beruht nicht allein darauf, dass wir Menschen uns zusammenreißen. Im Brief an die Gemeinde in Ephesus beschreibt der Apostel Paulus mit eindrücklichen Worten, was Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung bewirkt hat:

Illustration: (c) LunaticLu (iStock)

„Ihr hattet keine Hoffnung und lebtet ohne Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, in Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile und riss die trennende Wand der Feindschaft in seinem Fleisch nieder. Er hob das Gesetz mit seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in sich zu einem neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und Frieden den Nahen. Denn durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Epheser 2,12-19).
Die „beiden Teile“ waren damals die Christen, die aus dem Judentum kamen, und diejenigen, die aus dem so genannten Heidentum stammten. Heute richtet sich die Botschaft, dass Jesus Zugehörigkeit, Versöhnung und Frieden möglich gemacht hat, an alle. Aufgabe der Christen ist es, in dieser Gewissheit zu verbleiben, sie erfahrbar zu machen und anderen zu bezeugen.
Der Ort, an dem dies geschieht, sollte die Kirche sein. In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ meinte der Philosoph Peter Sloterdijk kürzlich: Das Konzept von Kirche sei eine „Assoziation von Menschen, die nicht aufgrund ihrer Herkunft zusammenhalten, sondern weil sie ein gemeinsames Wahrheitserlebnis haben oder suchen. … Radikal verstanden, meint Zugehörigkeit zu einer Kirche das Austreten aus allen familialen, tribalen, nationalen Besessenheiten und den Eintritt in eine pneumatische Kommune, in die Meta-Nation der Getauften“.
Hier und da zeigt sich in den Kirchen tatsächlich, dass sie „prophetisches Zeichen“ für eine Gemeinschaft ist, in der die Hoffnung zu Hause ist. Dennoch muss man Peter Sloterdijk recht geben, wenn er feststellt, dass dieses Projekt allzu oft scheitert und von „nationaldämonischen Para-Christentümern“ unterwandert sei. „In zwei Weltkriegen haben europäische Christen aufeinander geschossen. Und wenn man näher hinsieht: Schießen denn nicht zur Stunde wieder orthodoxe Christen auf dem Boden der Ukraine gegenseitig auf sich?“
Bescheidenheit steht Christinnen und Christen daher gut zu Gesicht. Und doch gilt, was im Brief an die Hebräer steht: „Lasst uns an dem unwandelbaren Bekenntnis der Hoffnung festhalten, denn er, der die Verheißung gegeben hat, ist treu!“ (Hebräer 10,23).
Gott ist treu. Er ist da. Und darauf kommt es an. Im Wissen, dass Gott die Quelle der Hoffnung ist, können Christinnen und Christen auch warten. Aushalten. Sie müssen das Dunkel nicht leugnen, ihm nicht ausweichen; denn sie können auch im Dunkel an das Licht glauben.
Noch einmal Paulus: „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Brief an die Römer 5,5).
In ihrer ganzen Fülle wird sich diese Hoffnung erst im Himmel erfüllen. Und trotzdem ist christliche Hoffnung nicht Vertröstung auf das Jenseits. Denn Hoffnung macht nicht passiv, sondern das Wissen um die Liebe Gottes in ihren Herzen führt in aller Regel dazu, dass sich Christinnen und Christen aktiv für gute Beziehungen und ein gerechteres Miteinander einsetzen.
Sollte es da nicht möglich sein, stets bereit zu sein, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petrusbrief 3,15)?
Peter Forst

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2022)
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