2. August 2022

Gönnen können

Von nst5

Sich mitzufreuen, wenn eine Freundin ein schönes Geschenk bekommt,

der Partner Erfolg hat oder einer Kollegin etwas gelingt, tut einem selbst gut. Und doch ist es oft schwer, anderen etwas zu gönnen. Warum ist das so? Was hilft, um gönnen zu können?

Yannik Sellmann
Comedian, München
Als freischaffender Künstler und Comedian befinde ich mich im ständigen Wettbewerb mit meinen Kolleginnen und Kollegen, denn: Es gibt zu viele von uns, um die bezahlten Auftrittsmöglichkeiten fair unter allen verteilen zu können. Dabei finde ich Wut an einigen Stellen durchaus angemessen. Wenn zum Beispiel Männer wie Luke Mockridge und Faisal Kawusi auf und neben der Bühne offen ihren Sexismus ausleben und trotzdem in Arenen auftreten dürfen, ist Wut berechtigt und angebracht. Ohne diese Wut würde sich nichts zum Besseren verändern.
Anders sieht es allerdings mit den Kolleginnen und Kollegen aus, in deren Umfeld ich mich befinde. Wir fragen uns nach Feedback, bauen einander auf und empfehlen uns gegenseitig für Auftritte. Wir gönnen uns nicht nur den Erfolg, wir freuen uns ehrlich füreinander. Und, noch wichtiger: Wir arbeiten gemeinsam daran, dass die Bühne ein besserer Ort für alle Auftretenden wird. Dazu gehört im Moment für überrepräsentierte weiße heterosexuelle Männer wie mich vor allem, die Bühne freizumachen für mehr Diversität in jeglicher Hinsicht. Neid ist dort völlig fehl am Platz, im Gegenteil: Nur so kommen wir unserem Wunsch näher, die Bühne zu einem Ort zu machen, an dem sich alle wohlfühlen können.

Anita Berger
Mutter und Kirchenpflegerin, Staufen (AG)
Grundsätzlich verliere ich nichts, wenn ich mich mit anderen Menschen freue, ihnen einen Erfolg oder eine Errungenschaft gönne. Die Freude zu teilen stellt auf, erfüllt mich. Wenn ich trotzdem einen Stich in mir fühle, wenn ich ins Grübeln komme, hat das mehr mit mir zu tun als mit meinem Gegenüber. Missgunst ist ein Zeichen, dass mir etwas fehlt oder ich annehme, schlechter dazustehen als die oder der andere. Ich vergleiche mich mit meinen Mitmenschen und entdecke dabei einen Mangel an mir. Dieser vermeintliche oder wirkliche Mangel führt mich dazu, der anderen Person etwas nicht zu gönnen. Vielleicht habe ich sogar das Gefühl, den Erfolg, die Anerkennung mehr verdient zu haben als sie. Vielleicht erhebe ich sogar ein Anrecht darauf.
Mehr und mehr bewerte ich dann meine persönliche Situation in Abhängigkeit von Ereignissen im Leben anderer Menschen. Wie wenig vergleichbar ist das Leben zweier Menschen jedoch in der Realität! Wenn ich zufrieden bin mit meinem Leben, meinen Fähigkeiten und meinen Möglichkeiten, dann kann ich anderen Menschen auch leichter ihre Erfolgserlebnisse gönnen. Es fehlt mir nichts und ich befürchte auch keinen Mangel, nur weil sie Erfolg haben oder ein Geschenk bekommen.

Clemens Metzmacher
Diplom-Psychologe und Supervisor, Dresden
Missgunst passt so gar nicht in das Bild, das wir von uns selbst haben. Deshalb ist es schon ein mutiger Schritt, sie anzuerkennen, wenn wir sie bei uns selbst wahrnehmen.
Missgunst verweist auf Beziehungen: zu denen, denen wir etwas nicht gönnen, vor allem aber zu uns selbst. Dahinter steht in der Regel ein nicht erfülltes Bedürfnis oder eine Verletzung. Dies zu sehen und zu benennen kann schmerzhaft sein: Was, wenn ich selbst oder andere mir die Anerkennung verweigern oder ich an alten Frusterfahrungen „sowieso nichts ändern kann“? Missgunst ist also oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Opfererlebens gepaart.
So kann das Erleben, anderen etwas nicht gönnen zu können, eine wertvolle Botschaft sein: Es ist Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, anstatt sich am anderen „abzuarbeiten“. Wie? Die eigenen Bedürfnisse erkunden, sich selbst tröstend begegnen und dann neue Handlungskraft finden. Die Frage: „Was kann ich tun, um mein Gefühl von Missgunst zu verschlimmern?“, mag irritierend erscheinen, kann aber Spaß machen und vor allem neue Wege aufzeigen. Wo ich etwas verschlimmern kann, kann ich es auch verbessern! Also: aktiv werden, Mut und Selbstliebe entwickeln.

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2022)
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