Gelassen ehrgeizig
Offener Brief an Irene Fuhrmann
Sehr geehrte Frau Fuhrmann!
Herzlichen Glückwunsch! Sie und das österreichische Nationalteam (Eigendefinition: „verrückter Haufen“) haben bei der Europameisterschaft (EM) im Juli wesentlich dazu beigetragen, dass der Frauenfußball als das wahrgenommen wird, was er ist: Sport auf hohem Niveau mit unverwechselbaren Eigenschaften und nicht nur ein Anhängsel an den Männerfußball.
Eine dieser Eigenschaften ist das Teambewusstsein, das Ihre Mannschaft ganz besonders ausgezeichnet hat. Kurz vor dem Turnier sagten Sie: „Wenn nicht ein ‚Ich‘ plötzlich wichtiger wird als das ‚Wir‘, dann werde ich zufrieden sein.“ Sie haben also allen Grund zur Zufriedenheit. Vom Eröffnungsspiel gegen die gastgebenden Engländerinnen vor fast 70 000 Zuschauern bis zum Viertelfinale gegen Deutschland hat Ihr Team es geschafft, Gelassenheit und Leichtigkeit zu bewahren.
Eine weitere Eigenschaft, für die das österreichische Nationalteam stand, war die Freude, ja Ausgelassenheit, mit der die Spielerinnen die Teilnahme am Turnier genossen haben. Das zeigte sich etwa nach dem Sieg im abschließenden Gruppenspiel gegen die Norwegerinnen, als Ihr Team zunächst mit den Fans „I am from Austria“ schmetterte, um dann die Pressekonferenz zu stürmen und dort weiterzufeiern. „Der fröhlichste Viertelfinalist“ titelte die Süddeutsche Zeitung daraufhin.
Wer aber denkt, es gehe in erster Linie um Spaß, täuscht sich gewaltig. Hohe Professionalität und gesunder Ehrgeiz zeichnen Ihre Arbeit aus. Als erste Österreicherin haben Sie die Uefa-Pro-Lizenz erworben, das höchste Trainerdiplom, das der europäische Fußballverband zu vergeben hat. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Sie für den Aufschwung des Frauenfußballs in Österreich mitverantwortlich. 2017 etwa waren Sie Co-Trainerin, als Österreich bei der EM das Halbfinale erreichte. So war es logisch, dass Sie Teamtrainerin wurden, als Ihr Vorgänger Dominik Thalhammer Mitte 2020 als Vereinstrainer nach Linz ging.
Nicht zuletzt zeigen Sie eine hohe Sensibilität für die Gefährdungen, die die derzeitige Begeisterung für den Frauenfußball auch mit sich bringt: etwa die, dass man derzeit einfach alles gut finden muss, wenn Frauen Fußball spielen. Bei den TV-Übertragungen während der EM jedenfalls schien selbst bei haarsträubenden Fehlern Kritik tabu zu sein. Das aber nimmt den Frauenfußball genauso wenig ernst wie die oft unqualifizierten Vergleiche mit dem Männerfußball, wie sexistische Sprüche und Gesten oder die mangelnde Bereitschaft der Verbände, Frauen zumindest die gleichen Prämien zu zahlen, wenn schon die Gehälter so weit auseinanderklaffen.
Sie kennen all diese Dinge, benennen auch die strukturelle Benachteiligung des Frauenfußballs, aber lassen sich davon nicht ausbremsen: „Konzentrieren wir uns nur darauf, was wir auch beeinflussen können.“
Sie könnten auch Männermannschaften trainieren und finden das durchaus reizvoll. Aber sie stellen nüchtern fest, dass der Männerfußball noch nicht dazu bereit ist. „Ich denke schon, dass es irgendwann kommen wird, aber es kann schon noch Jahrzehnte dauern.“ In diesem einen Punkt hoffe ich, dass Sie unrecht haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Forst,
Redaktion Neue Stadt

Irene Fuhrmann
1980 in Wien geboren, kam schon sehr früh zum Fußball, aber erst als Studentin schloss sie sich mit dem USC Landhaus einem Verein an. Dort gewann sie 2000 und 2001 die österreichische Meisterschaft. Sie bestritt außerdem 22 Spiele für das Nationalteam. Danach begann sie als Trainerin zu arbeiten. 2017 erwarb sie als erste Österreicherin die UEFA-Pro Trainerlizenz. Im gleichen Jahr wurde sie Co-Trainerin und im Juli 2020 dann Teamchefin des österreichischen Frauen-Fußball-Nationalteams, das bei der Europameisterschaft im Juli das Viertelfinale erreichte.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2022)
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