3. Februar 2023

Darfs ein bisschen weniger sein?

Von nst5

Wem an einer nachhaltigen Zukunft liegt, kommt nicht umhin,

auch seinen Fleischkonsum zu überdenken und anzupassen.

Wenn ich als Kind meine Eltern beim Wocheneinkauf begleitete, war der Besuch beim Metzger häufig ein Höhepunkt. Vom freundlichen Personal gab es für meine Geschwister und mich immer eine leckere und liebevoll aufgerollte Scheibe Fleischwurst auf die Hand. Heute bekäme ich an der Fleischtheke wohl keine Gratiswurst mehr. Trotzdem schmeckt mir Fleisch nach wie vor gut. Ich wünschte, es wäre anders, denn dann fiele es mir vielleicht etwas leichter, meinen Fleischkonsum in jenem deutlichen Maß zu reduzieren, welches nötig wäre, um fair mit nachfolgenden Generationen und dem uns anvertrauten Planeten umzugehen.
Jährlich verzehrt jede und jeder Deutsche im Schnitt knapp 60 Kilogramm Fleisch. Einige deutlich weniger, einige aber auch deutlich mehr. Wenngleich dieser Wert seit ein paar Jahren leicht rückläufig ist, liegt er nach wie vor weit über dem globalen Durchschnitt und ist nach wie vor viel zu hoch, um annähernd nachhaltig zu sein.
Tatsächlich ist der Nutztiersektor weltweit gesehen für etwa 15 Prozent der menschengemachten Treibhausgase verantwortlich. Auf ihn gehen ungefähr 25 Prozent der Anwendungen von Stickstoff und Phosphor und die damit einhergehende Verschmutzung von Flüssen und Meeren zurück. Er hat einen großen Anteil daran, dass die Artenvielfalt erschreckend zurückgeht, kann Antibiotikaresistenzen hervorrufen und trägt zur Verbreitung von sogenannten Zoonosen bei, Infektionskrankheiten also, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Die Liste an ökologischen, sozialen, gesundheitlichen und auch tierwohlbezogenen Problemen ließe sich weiterführen. Auf den Punkt gebracht: Ein weiterer Anstieg der globalen Fleischproduktion wie in den letzten Jahren wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Zusammenbruch globaler Ökosystemfunktionen führen, von denen die Menschheit maßgeblich abhängt.
Natürlich ist Fleisch nicht gleich Fleisch. Die Art und Weise, wie es produziert wird, kann Unterschiede machen und der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Eine pflanzenbasierte Ernährungsweise ist dennoch in vielerlei Hinsicht ressourcenschonender und, wenn sie richtig geplant ist, auch gesundheitlich unbedenklich.
Trotz aller Nuancen lässt es sich unterm Strich nicht schönreden: Fleisch ist gemessen an seinen tatsächlichen Kosten viel zu günstig. Das heißt, wenn wir heute Fleisch auf den Teller legen, lassen wir den Großteil der Rechnung andere zahlen. Zum Teil bereits heute, zum Teil erst in ein paar Jahren. Die weltweite Geschwisterlichkeit bleibt dabei auf der Strecke.
Ich vermute, viele Menschen sind sich dessen auch irgendwie bewusst. Im Freundeskreis, im Kollegium und in der Familie kommt das Thema immer wieder auf: Ob das „Fleisch vom Bauern nebenan“ aufgrund kurzer Transportwege und idyllischer Bauernhofatmosphäre vielleicht doch nicht problematisch ist? (Ist es doch.) Ob Tofu-Produkte nicht eine viel größere Rolle bei der Rodung von Regenwäldern spielen als Fleisch? (Tun sie nicht.)
Trotz solcher Nachfragen spüre ich  in solchen Gesprächen, dass ein großes und wahrhaftiges Interesse daran besteht, besser zu verstehen, wie eine nachhaltige Ernährung gelingen kann. Das ist wichtig, denn auf dieser Grundlage kann man aufbauen.

Würze sticht Nachhaltigkeit
Wenn wir in die Zukunft schauen, stehen wir nicht vor einer hoffnungslosen Situation. Kürzlich hat ein Team von führenden Forschenden aufgezeigt, dass wir theoretisch 10 Milliarden Menschen gesund ernähren können, ohne dabei den Planeten zu überfordern. Bei dieser Ernährung kann auch Fleisch eine Rolle spielen. Pro Woche könnte demnach jeder Mensch ungefähr 100 Gramm rotes Fleisch, also Rind-, Lamm- oder Schweinefleisch, und etwa 200 Gramm Geflügel essen. Alle drei Tage wäre auch ein Ei der Größe L drin.
Natürlich sind solche Modellierungsstudien immer mit einer gewissen Unsicherheit verknüpft. Aber ein wichtiger Punkt bleibt, dass wir der Umwelt halber nicht komplett auf Fleisch verzichten müssten, solange sich alle an diesen Richtwerten orientierten. Doch wie bekommen wir das hin?

Illustration: (c) m.malinika (iStock)

Essgewohnheiten sind tief in uns verankert und haben eine starke soziale und kulturelle Prägung. Wir tun uns daher schwer, Kauf- und Essverhalten an diese Wahrheiten anzupassen. In Umfragen ist der Hauptgrund, den Menschen für ihren Fleischkonsum nennen, meistens gleichsam egoistisch wie banal: Weil der Geschmack von Fleisch als lecker empfunden wird. Würze sticht Nachhaltigkeit.
Für eine nachhaltigere Zukunft brauchen wir also eine Kombination verschiedener Maßnahmen. Eigenverantwortung ist ein wichtiger Faktor. Hier wünsche ich mir, dass Christen eine klarere Vorbildfunktion einnehmen. Nächstenliebe und Verantwortung für die Schöpfung spiegeln sich auch in der Ernährung wider. Lässt es sich heutzutage noch vertreten, dass zum Beispiel bei Gemeindefesten reihenweise Würstchen auf dem Grill brutzeln? Die volle Verantwortung auf jeden Einzelnen zu legen, ist allerdings auch nicht sinnvoll. Neben bewusstseinsfördernden Ansätzen, wie einer stärkeren Behandlung des Themas in den Schulen, wird es ohne deutliche politische Hebel meiner Einschätzung nach nicht gelingen. Hier brauchen die Entscheidungsträger aber unseren Rückhalt, auch unangenehme Strategien zu verfolgen. Ich war sehr enttäuscht über das kollektive Entsetzen, als vor ein paar Jahren die Idee eines Veggiedays in den Raum gestellt wurde. Ohne Mut und Solidarität kann es nicht funktionieren.

Ohne politische Hebel wird es nicht gehen
Im Alltag versuche ich, nah an das Ideal eines möglichst nachhaltigen Lebensstils zu kommen. Mein Verständnis von Nachhaltigkeit – und das umfasst neben Essen auch Aspekte wie Transport, Mode oder Energienutzung – ist aber nicht schwarz-weiß. Es ist nicht entweder gut oder böse, sondern enthält viele Kompromisse und Graustufen. Vor ein paar Tagen bekam meine dreijährige Tochter eine Scheibe Wurst geschenkt, als sie beim Einkaufen an der Frischetheke eines Supermarktes vorbeilief (und es schmeckte ihr sehr gut). Das passiert nicht oft, auch weil wir in der Familie nicht zum Metzger gehen und so gut wie kein Fleisch mehr essen. In unserem Leben müssen und sollen wir aber nicht auf sämtlichen Genuss verzichten, solange das kein Freifahrtschein für einen ausschweifenden und maßlosen Lebensstil ist. Denn wir tragen die Verantwortung für unsere Konsumentscheidungen und die damit verbundenen Kosten für die Umwelt, für Tiere und für andere Menschen. Es gibt eine große Anzahl leckerer und ausgewogener Gerichte, die ohne Fleisch auskommen, sodass es leichter denn je ist, seinen Fleischkonsum zu reduzieren oder ganz einzustellen. Es kommt auf das Wollen an.
Martin Parlasca

Martin Parlasca ist Agrarökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Dort erforscht er Fragen der Welternährung, Ernährungssicherheit und nachhaltiger Entwicklung.


Hat Ihnen der Artikel gefallen? Möchten Sie mehr von uns lesen? Dann können Sie hier
das Magazin NEUE STADT abonnieren oder ein kostenloses Probe-Heft anfordern.
Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2023.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt