2. Februar 2023

Heilige Hoffnungsmacher

Von nst5

Thomas Arnold

Foto: (c) Katholische Akademie Dresden-Meißen

ist seit 2016 Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Der promovierte Theologe wuchs im sächsischen Kirchberg auf und war nach seinem Studium in Vallendar, Bonn und Madrid von 2012 bis 2016 für das katholische Hilfswerk missio in Aachen tätig. Die Akademie ist für ihn der Ort, auf neue Fragen differenzierte Antworten zu geben, die dem christlichen Glauben entspringen. Arnold ist verheiratet und hat drei Kinder.

„22 ist nicht 89“. Seit September klebt dieser Spruch an Kirchen im Osten Deutschlands. 1989 war anders als heute. Zur Erinnerung: Wer artikulierte, was er dachte, konnte weggesperrt werden. Wer nicht die Anpassung, sondern den aufrechten Gang wählte, lief Gefahr, sich seinen Lebensweg zu verbauen. Wer die Freiheit in einem anderen Land suchte, ging das sichere Risiko ein, mit dem Ausreiseantrag seine ganze Existenz inklusive aller sozialen Beziehungen aufzugeben. Wer heute Freiheit fordert, hat nicht verstanden, dass wir in einem Rechtsstaat leben, der diese gewährleistet. Gut, dass die Kirchen deutlich machen, dass wir aufpassen müssen, erlebte Erfahrungen drei Jahrzehnte später nicht für andere politische Zwecke instrumentalisieren zu lassen.
Im Osten der Republik ist die Gefahr groß. Seit etwa einem Jahrzehnt jagt eine Krise die nächste. Im letzten Herbst nahmen die Demonstrationen gegen die Demokratie innerhalb kürzester Zeit erneut besorgniserregend zu. Natürlich gibt es dafür viele Gründe. Oftmals ist es aber die Geschichte einer enttäuschten Freiheit, weil das Versprechen eigenen Wohlstands mit einem existentiellen Bruch ‚erkauft‘ wurde. Es ist das Wissen, dass die eigene Erfahrung in der neu gewonnenen Freiheit nicht mehr geschätzt wurde. Es ist die Prägung durch ein überzogenes Solidaritätsversprechen des Staates, das kaum einholbar ist und deshalb viele Enttäuschungen produzierte.
Heute, 2023, müssen wir darauf achten, mit Blick auf Vergangenheit und Krisen unserer Zeit keine Sündenböcke zu produzieren. Die Versuchung ist groß. Stattdessen sollten Kirchen Heilige ausbilden. Menschen, die mit einer Haltung der Heiterkeit und Hoffnung die Welt verändern wollen. Kein billiger Optimismus, sondern Vertrauen in die Zukunft. Zuversicht ist eben nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht (Vaclav Havel). Die Kirchen sollten nicht davor zurückschrecken, die Rolle der Avantgarde-Schmiede für Heilige zu übernehmen, selbst wenn sie in der gesellschaftlichen Minderheit sind. Dazu haben sie drei Aufgaben: (1) Als sinnstiftende Institutionen sollten sie die Wirklichkeit deuten und die Zeichen der Zeit nicht nur als langfristige Entwicklungen verstehen, sondern im Moment des Geschehens, des kairos, mit ihren erfahrungsverdichteten Räumen der Liturgie da sein, wo Menschen Angst, Trauer, Freude oder Hoffnung empfinden. (2) Als Orte erfahrbarer Freiheit sollten sie Türen öffnen, um Diskussionen über die Zukunft zu ermöglichen. Dies bedeutet auch, manche Positionen auszuhalten, die nicht der eigenen Auffassung entsprechen. Aber wenn es gelingt, in der Moderation der verschiedenen Positionen Impulse für das Miteinander zu erhalten sowie Vergebung und Versöhnung zu ermöglichen, werden sie als Areopag unserer Zeit zu Lernorten der Freiheit und Verantwortung. (3) Die Kirchen sollten Menschen motivieren, sich für die Verwirklichung der Freiheit einzubringen und sie dazu befähigen. Es braucht Menschen, die um ihre Orientierung wissen und in der Freiheit die Verantwortung übernehmen, Wege aufzuzeigen.
Hoffnung kann man nicht produzieren. Aber man kann Menschen befähigen, eine Haltung zur Wirklichkeit zu entwickeln, die Zuversicht stiftet, ohne die Herausforderungen wegzuwischen. Denn wir brauchen heilige Hoffnungsmacher.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2023.
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