3. April 2023

WORT DES LEBENS . PLUS

Von nst5

Das Wort befragen

Die Worte der Bibel sprechen zu jedem Menschen und wollen gelebt werden. Diese Einsicht stand am Anfang des geistlichen Aufbruchs um Chiara Lubich in Trient Anfang der 1940er-Jahre, aus dem die Fokolar-Bewegung hervorgehen sollte. Sich selbst vom Wort Gottes ansprechen und durchdringen zu lassen, dazu möchte das monatlich wechselnde „Wort des Lebens“ bis heute ermutigen.
Auf die Anfangszeit geht auch die Tradition zurück, die jeweilige Bibelstelle mit einem „Kommentar“ zu versehen, der eine kurze Auslegung und Anregungen zum Leben enthält. Den ersten dieser Kommentare verfasste Chiara Lubich bereits 1943, damals in Briefform, und verantwortete sie mit wenigen Unterbrechungen bis zu ihrem Tod 2008. Danach wurden zunächst „alte Kommentare“ verwendet, dann schrieb Pater Fabio Ciardi OMI eine Zeitlang die Kommentare. Seit Januar 2016 ist nun ein Team für diese Arbeit zuständig, das zurzeit aus 13 Personen besteht.
In einem ersten Schritt legen zwei Exegeten – Giovanna Czander aus den USA und Franz Sedlmeier aus Deutschland – den anderen eine biblische Einführung vor. Bei einer etwa zweistündigen Videokonferenz vertieft sich dann das ganze Team in die Bibelstelle. Das ist ein spannender Prozess, denn zum Team gehören Menschen verschiedenen Alters aus Korea, Burundi, Kolumbien, Kuba, Kanada, Syrien und verschiedenen Ländern Europas. Die meisten von ihnen sind Katholiken, eine gehört zur syrisch-orthodoxen Kirche.
„Wir befragen das Wort“, berichtet Victoria Gómez. Die Spanierin gehört von Anfang an zu diesem Team. „Was sagt es uns für die Situation, in der wir heute leben? Dabei sind wir uns bewusst, dass das Wort Gottes größer ist als wir – und auch größer als jeder Kommentar. Wir betrachten unser Gespräch als einen Dialog mit Jesus, den wir in unserer Mitte glauben.“ Das Wort „wie einen Kristall zu betrachten und unterschiedliche Facetten zu entdecken“, weite „Herz und Horizont“, ergänzt Franz Sedlmeier.
Nach diesem Austausch beginnt das „Drama“, wie Victoria Gómez halb ernst, halb augenzwinkernd meint: Eine oder einer aus dem Team schreibt den ersten Entwurf des Kommentars und versucht, die im Gespräch gesammelten Gedanken zum Ausdruck zu bringen. „Es ist eine faszinierende Aufgabe, bei der man aber zwangsläufig auch an Grenzen stößt.“ Zwei Elemente gehören so gut wie immer zu einem Kommentar: ein Erfahrungsbericht und ein Zitat von Chiara Lubich. „Sie hat sich ihr Leben lang vom Wort Gottes prägen lassen“, erläutert Victoria Gómez. „Wenn wir sie zu Wort kommen lassen, dann wird sie Teil des Dialogs, den wir heute mit dem Wort Gottes führen.“
Zum ersten Entwurf kann jede und jeder aus dem Team Anmerkungen machen, die in die endgültige Version einfließen. Abschließend wird der Text noch von orthodoxen, lutherischen, reformierten und anglikanischen Theologen gegengelesen.
Peter Forst


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