Denn Spielen ist Lernen
Julia Burger
hat in Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Ihre Auseinandersetzung mit dem Theater für junges Publikum begann 2013 am DSCHUNGEL WIEN, einem Theaterhaus für Kinder und Jugendliche, wo sie eine ganze Reihe von Stücken inszenierte. Zwischen 2017 und 2019 brachte sie auch am Burgtheater Wien, am Landestheater Niederösterreich, am Theater Kiel und am Opernhaus Graz Stücke für Kinder und Jugendliche auf die Bühne. Seit 2019 ist sie für das Kulturamt ihrer Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm tätig, wo sie für die Planung und Durchführung unterschiedlicher Veranstaltungen von Literatur, Theater bis hin zu Konzerten verantwortlich ist. Julia Burger lebt in München.
Das Theater für junges Publikum nimmt seit einigen Jahren eine Entwicklung: Es bringt nicht nur Stücke auf die Bühne, die sich an Kinder und Jugendliche richten, sondern bietet auch eine Reihe von Workshops an. Hier haben interessierte Besucherinnen und Besucher die Qual der Wahl zwischen Spiel, Tanz, Performance, Figurentheater und vielem mehr.
Während meiner Tätigkeit als Regisseurin im Bereich Theater für junges Publikum durfte ich beobachten, dass diese Workshops einen immer wichtigeren Platz im Alltag der jungen Menschen eingenommen haben. Oft schilderten uns Eltern, wie lange und ausführlich die Kinder und Jugendlichen über das Erlebte, Gespielte und Erzählte berichteten und wie sehr sie dem nächsten Treffen entgegenfieberten.
Für junge Menschen erscheint es mir ungemein wertvoll, wenn sie Zeit damit verbringen können, Geschichten zu erzählen, zu spielen, zu tanzen und auf alle mögliche Art und Weise kreativ zu werden. Hier öffnet sich ihnen ein geschützter Versuchsraum, in dem es gar nicht möglich ist, Fehler zu machen, nicht zu gefallen oder gar zu versagen.
Junge Menschen wachsen heute in einer stark durch Kontrolle und Bewertung geprägten Gesellschaft auf. Schon in jungen Jahren muss Leistung erbracht werden, und der Druck, der auf vielen Kindern und Jugendlichen lastet, wird durch die permanente Beobachtung und Veröffentlichung des Lebens in den sozialen Medien noch verstärkt. Theater und die dort geschaffenen Spielräume können hier einen Gegenpol bieten und dazu beitragen, Situationen ohne Druck zu durchleben, Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen, ohne dass sie bewertet oder beurteilt werden. Denn Spielen ist lernen.
Das gedankliche Experimentieren mit Utopien, anderen gesellschaftlichen Strukturen sowie Chancen und Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, kann jungen Menschen dabei helfen, einen emotionalen und moralischen Kompass zu entwickeln. Indem man sich in eine andere Person hineinversetzt, versucht, Gefühle nachzuempfinden oder gar Sätze zu sagen, die man selbst so nicht aussprechen würde, kann sich Verständnis für die Belange anderer entwickeln. Es stellt sich eine Nähe zu ihrem Leben und ihren Gefühlen ein. Das ermöglicht, die eigenen Empfindungen in einen neuen Zusammenhang zu stellen, sie zu überprüfen und manchmal sogar zu überdenken.
Hierbei geht es nur zweitrangig darum, Kindern einen Einblick in den Arbeitsalltag eines Theaters zu gewähren. Und schon gar nicht sind diese Workshops als Marketingmaßnahme gedacht, um das Publikum von morgen heranzuzüchten – ein zynischer Vorwurf, den sich Theaterinstitutionen für junges Publikum oft gefallen lassen müssen. Nein, hier sollen junge Menschen die Möglichkeit haben, aus dem Alltag auszusteigen. Es wird gespielt, gefühlt, gelacht und gedacht. Wie auch die Inszenierungen, richten sich die Workshops an unterschiedliche Altersgruppen.
Wen dieser Versuchsraum nicht interessiert, der kann natürlich auch einfach ins Theater gehen, um Theater zu sehen. So bieten die meisten Häuser für junges Publikum ein breites Repertoire an Geschichten und Erzählungen, die in fremde Welten, Märchen, utopische Gesellschaften, aber auch in die Schule oder in den Familienalltag entführen. Denn nicht nur Spielen, auch Sehen ist Lernen.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2023.
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