3. August 2023

Einfach weiterspielen

Von nst5

Menschen, die Leichtigkeit ausstrahlen,

zeichnen sich vor allem durch Grundvertrauen aus. Wer sich gut verankert weiß, kann auch riskieren und alles auf eine Karte setzen.

Spontan könnte ich meinen Bekannten- und Verwandtenkreis in zwei Gruppen einteilen: die leidenschaftlich und begeistert Spielenden und die, die sich so gar nichts aus Spielen machen und sich höchstens im Notfall dazu überreden lassen. Das ist natürlich sehr schwarz-weiß gezeichnet. Und kaum fange ich an, über diese Einteilung nachzudenken, fällt mir schnell auf, dass es bei einigen aus der zweiten Gruppe auch davon abhängt, welches Spiel zur Auswahl steht oder welche Mitspielenden sie vor sich haben. Manchmal haben sie sich dann zu meinem großen Erstaunen doch mit Wonne und Hingabe ins eine oder andere Spiel hineinsaugen lassen – und wollten fast nicht mehr aufhören.
„Spielen“ ist eben nicht nur Kindersache. Nicht zuletzt die steigende Beliebtheit von Computerspielen und Spielkonsolen bei Erwachsenen macht das deutlich. Gesellschaftsspiele gehören nach wie vor zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen. Laut einer Umfrage von 2021 spielen rund 33 Millionen Deutsche zumindest ab und zu Gesellschaftsspiele, rund 5,6 Millionen sogar regelmäßig. Bis zu zehn (Brett-)Spiele gibt es in der Hälfte der Haushalte und ein „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel findet sich in 77 Prozent von ihnen. Besonders beliebt sind Quiz- und Wissensspiele, Logikspiele aber auch Geschicklichkeitsspiele. Das erklärt wohl auch, warum Brettspiele in anderen Ländern häufig als „german games“, als deutsche Spiele bezeichnet werden. Obwohl für Österreich und die Schweiz keine entsprechenden Umfragen greifbar sind, lassen die Verkaufszahlen doch auch dort auf große, wenn auch nicht ganz so hohe Beliebtheit schließen.

Illustration: (c) Wanlee Prachyapanaprai (iStock)

Spiele sind damit selbstverständlich auch ein Marktfaktor, wie nicht zuletzt an den kostenaufwändigen Spielefachmessen abzulesen ist.
Auch dass mit einer einseitigen und ausufernden Nutzung von Glücks- und Computerspielen große Gefahren verbunden sein können, lässt sich nicht von der Hand weisen und gehört zu einem ausgewogenen Blick auf diese Realität.
Obwohl uns diese Aspekte des Spiels bewusst sind, stehen sie auf den folgenden Seiten jedoch nicht im Mittelpunkt. Vielmehr haben wir uns gefragt, was wohl seine Faszination ausmacht.
Wer im Duden nach dem Wort „Spiel“ sucht, findet zwölf Bedeutungen aufgelistet. Ganz oben steht: „Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird“. Es gibt aber auch das Theater- oder Musikspiel, Wettkampfspiele und das falsche Spiel eines Betrügers.
Vielleicht liegt es an diesen vielfältigen Bedeutungen, dass sich so viele Redewendungen aus spielerischen Kontexten in unserem Alltag eingenistet haben: „Am Ball bleiben!“ – „Dabei sein ist alles.“ – „Wir können das mal durchspielen.“ – „Alles auf eine Karte setzen“ – „ein eingespieltes Team sein“ – „das gute Zusammenspiel fördern“ – … Die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Oft nutzen wir diese Ausdrucksweisen in ernsten, komplexen Situationen und führen uns dabei ihren Ursprung nicht mehr vor Augen. Wenn wir jedoch bewusst hinhören, lassen viele von ihnen das erahnen, was wohl eine Grundcharakteristik des Spielens ist: „Leichtigkeit“. Und das schließt nun auch wieder an die Auflistung im Duden an: Eine der dort genannten zwölf Bedeutungen erklärt Spiel als „Handlungsweise, die etwas, was Ernst erfordert, leichtnimmt“.
Das Leben leicht(er) nehmen, mit einem gewissen Abstand darauf schauen, es spielerisch angehen. Das klingt wohl für viele faszinierend, lässt sich jedoch nicht verordnen und auch nicht nur durch gute Ratschläge erlernen. Nicht nur von Sportlern und Künstlern wissen wir ja, dass alles, was wie selbstverständlich und besonders leicht daherkommt, meist das Ergebnis von intensivem Training, Fleiß und Ausdauer ist.
Eines klang aber in den vielen Gesprächen über das Spielen sehr eindrücklich und nachhaltig an: Menschen, die spielerische Leichtigkeit in ihrem Leben ausstrahlen, zeichnen sich vor allem durch eines aus: ein großes Grundvertrauen – in sich, in das Leben, in ihr Umfeld oder auch in Gott.

Illustration: (c) elenabs (iStock)

Wer sich gehalten, verankert und getragen weiß, kann riskieren, gewinnen, verlieren, sich einsetzen, als Team agieren, neu anfangen. So wie Kinder und Jugendliche, die im Umfeld der Familie und des Freundeskreises jene geschützten Spielräume finden, wo sie wichtige Grundhaltungen des Lebens erlernen und einüben können.
Nicht von ungefähr kommt mir vielleicht deshalb auch ein Bild in den Sinn, das Chiara Lubich einmal vielfarbig ausgemalt hat. Sie sprach davon, dass die Spiritualität der Fokolar-Bewegung auf eine Grundentdeckung zurückgeht:  Gott ist Liebe, er ist Vater. Der Glaube an diese Liebe habe die Persönlichkeit der ersten Fokolarinnen so sehr geprägt, dass dies so etwas wie einen neuen Typus von Christen hervorgebracht habe: dasKind des Evangeliums. Weil es sich von der Liebe getragen weiß, kann es alles aus der Hand Gottes nehmen, das Leben wie ein beständiges Spiel der Liebe leben.
Kinder der Evangeliums, die sich getragen wissen von der Liebe des Vaters. Sie spielen, ahmen nach, fangen wieder an, lassen sich nicht ablenken, können alles auf eine Karte setzen, … oder auch einfach „weiterspielen“. So wie der Heilige Ludwig, von dem die Legende sagt, dass er während eines Spiels gefragt wurde, was er tun würde, wenn er wüsste, dass er am nächsten Tag sterben würde: „Weiterspielen“, sich ganz auf das konzentrieren, was im Jetzt ansteht, weil man nichts zu verlieren hat und doch so vieles möglich ist.
Auf den nächsten Seiten klingt etwas davon an, aber auch noch mehr. Es wäre schön, wenn die Beiträge Sie wie uns zu vielen Gedankenspielen anregen. Oder vielleicht auch dazu, in diesen Sommerwochen selbst wieder einmal ein Spiel hervorzuholen, sich ein Theater- oder Musikspiel zu gönnen oder sonstwie – für kurze oder längere Zeit – spielerisch aus dem Alltag auszusteigen.
Gabi Ballweg


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2023.
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