17. Juni 2024

Fertige Antworten gibt es nicht

Von nst5

Gabriella Matthaei

Foto: privat

Gabriella Matthaei, 69, wohnt mit ihrem Mann in Erlenbach am Zürichsee; sie haben vier Kinder und neun Enkelkinder. Seit vielen Jahren lebt sie aus der Spiritualität der Fokolar-Bewegung. In den letzten acht Jahren war sie mitverantwortlich für die Frauen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich im gesellschaftlichen Leben engagieren. Sie hat dabei verschiedene Veränderungsprozesse miterlebt und mitgestaltet.


Veränderungsprozesse sind immer eine Herausforderung. Das gilt nach meiner Erfahrung umso mehr in religiösen Zusammenhängen, weil auch die innere Beheimatung betroffen ist. Und die ist eng verbunden mit Werten, die niemand leichtfertig aufs Spiel setzen will. Trotzdem gibt es auch da hohen Veränderungsbedarf. Das (er-)leben wir in den Kirchen und auch in geistlichen Gemeinschaften wie der Fokolar-Bewegung. Äußere Rahmenbedingungen ändern sich ständig und es tauchen immer neue Fragen auf. Fertige Antworten gibt es nicht. Aber nichts tun ist keine Lösung.
Mir sind folgende Haltungen dabei sehr hilfreich:
Unterscheidung treffen, zum Kern durchstoßen
Was ist so wichtig und grundlegend, dass es nicht verändert werden darf? Was hingegen sind nur Äußerlichkeiten, Gewohnheiten – wenn auch bewährte und liebgewonnene? Manchmal braucht es Zeit, dabei bis zum eigentlichen Kern durchzustoßen. Genau das ist aber auch die Chance: Man kann sich neu bewusst machen, worum es eigentlich geht. Und das ist letztlich eine echte, tiefe Beziehung mit Gott und zu den Menschen.
Gott vertrauen
Es geht um einen Weg, den Gott mitgeht, egal was passiert und unabhängig davon, ob wir gleich alles richtig verstehen oder auch mal einen Umweg einschlagen. Trotzdem können wir uns nicht zurücklehnen, sondern sind gefordert, unsere Fähigkeiten und Kompetenzen ins Spiel zu bringen. Und wir können neu anfangen. Dieses Grundvertrauen gibt Mut, Zuversicht – und auch eine gewisse Gelassenheit.
Gemeinschaft leben
Auf diesem Weg sind wir nicht allein. Gemeinsam mit anderen auf die Fragen zu schauen und nach Antworten zu suchen, bringt eine zusätzliche Dimension ins Spiel. Meine Erfahrung ist: Das Bemühen, echte, authentische und tiefe Beziehungen im Geist des Evangeliums zu leben, eröffnet neue Sichtweisen, schenkt positive Energien, Licht für die nächsten Schritte und auch den Mut, sie zu gehen.
Vertrauend leben
Manchmal braucht es Zeit, um die Antworten zu finden. Das gilt es auch auszuhalten und einander zuzumuten. Wenn gegenseitiges Vertrauen da ist, ist das Aushalten einfacher. Das Vertrauen wächst durch Gespräch und Austausch. Manchmal muss man aber auch darum werben. Insbesondere wenn Ängste mitschwingen, dass zu viel verloren geht, ist die persönliche Beziehung, die gegenseitige Wertschätzung und das offene Gespräch – auch über die Grenzen – sehr hilfreich. Wir sitzen alle im gleichen Boot; keiner hat die Lösungen parat. Da sind alle gefordert. Je mehr wir die Wegerfahrungen teilen und sie bedenken, umso mehr können wir uns auch gegenseitig stärken.
Beziehung leben
Das scheint mir in vielem ein Schlüssel zu sein, besonders bei ethischen und gesellschaftlichen Fragen. Wenn ich den persönlichen Kontakt suche und eine Lebenssituation kenne, bekommt eine zuvor vielleicht abstrakte Frage ein Gesicht. Es geht dann nicht mehr um Probleme, sondern um Menschen. Und das hilft mir, mich auf den Wesenskern des Evangeliums zu besinnen: die Liebe.
Verwurzelt leben
Persönlich sind mir Zeiten der Stille in diesen Zeiten des Wandels sehr wichtig geworden. Mich jeden Morgen auf Gott auszurichten, mich ihm und seinem Wort zu stellen, auf innere Prozesse zu hören und einfach zur Ruhe zu kommen, ist noch mehr zu einem Grundbedürfnis geworden, um dann den Tag und alles, was kommt, zu leben.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2024.
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