„Dinge geschehen, wenn sie geschehen.“
Ozeanien. Eine Region der Welt, die für viele hier in unseren Breitengraden nicht nur äußerlich sehr weit weg ist.
Was prägt das Leben der Menschen auf den Inseln? Welche Erfahrungen machen die beiden Fokolargemeinschaften, die vor zwei Jahren von Australien auf die Fidschi-Inseln gezogen sind?
Bis an die Enden der Erde. In diesen Worten konzentriert sich eine Vision der Fokolar-Bewegung seit ihren Anfängen in Trient. Eine Handvoll junger Menschen träumte damals mit Chiara Lubich davon, die Entdeckung, die ihr Leben verändert hatte, in die ganze Welt zu tragen: Gott ist Liebe; er ist Vater aller Menschen, die sie als Brüder und Schwestern entdeckten. Mit ihrem Leben wollten sie zu Einheit und Geschwisterlichkeit der Menschheitsfamilie beitragen. Tatsächlich erreichte dieser Lebensstil noch zu Lebzeiten der ersten Generation Menschen in über 180 Ländern, bereits in den 1960er-Jahren auch in Australien und Ozeanien1.
Vor zwei Jahren zogen nun zwei Fokolargemeinschaften nach Suva, der Hauptstadt von Fidschi. Sie verstehen sich als „Zuhause“ für die etwa 60 Menschen, die hier mit der Spiritualität der Einheit in Kontakt sind, erläutern Lourdes Rank und Stephen Hall. Gemeinsam mit ihnen wollen sie für mehr Verständigung und Miteinander in ihrem Umfeld leben. Gleichzeitig stellen sie sich auch in den Dienst der Freunde und Angehörigen der Bewegung auf den anderen pazifischen Inseln.
„Wir brauchen euch. Kommt!“ Salome Emberson von den Fidschi-Inseln hatte diese dringliche Bitte geäußert, als sich Vertreterinnen und Vertreter der Fokolar-Bewegung aus Australien und Ozeanien 2018 getroffen hatten. Gemeinsam wollten sie verstehen, wohin Gott sie heute rief. „An die Ränder gehen, dorthin, wo Not ist“, war dabei ein Kriterium ihrer Überlegungen.
Wer in Europa an den Südpazifik denkt, hat meist unberührte Regenwaldgebiete, atemberaubende Landschaften und intakte Natur vor Augen; eine ferne Urlaubsregion, die eher nach Paradies denn nach Not klingt. Und im Normalfall schaffen es Nachrichten von dort nur selten in die Medien hier. Es sei denn wie kürzlich anlässlich der Reisen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (zur Sicherung geopolitischer Interessen) oder der des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in das französische Neukaledonien, wo heftige Unruhen sogar Menschenleben forderten.
In den letzten 100 Jahren haben sich die Fidschi-Inseln (mit fast einer Million Einwohnern) zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Region entwickelt. Zwischen 1884 und 1970 war das Land britische Kronkolonie und wichtiger Zuckerexporteur. Die fidschianische Gesellschaft ist – wie die meisten anderen Inseln – multi-kulturell: Neben den melanesischen Fidschianern leben dort andere Pazifikinsulaner, aber auch Asiaten, Nachfahren der ehemaligen britischen Kolonialherren, der indischen Plantagenarbeiter und der freien Migranten, die zwischen 1879 und 1920 nach Fidschi kamen. Seit 1987 gab es immer wieder Staatsstreiche – den letzten 2006 -, die das einst wirtschaftlich gefestigte Land in die Krise gestürzt haben.
Auch die religiöse Landschaft ist vielfältig. Das Christentum ist die am häufigsten praktizierte Religion, gefolgt von Hinduismus und Islam.
Traditionen, so unterstreichen Lourdes Rank und Stephen Hall, sind im Pazifik lebendig und aktuell; sie gehören nicht einer Vergangenheit an, die nichts mit dem täglichen Leben der Menschen zu tun hat, sondern bilden die Grundlage ihrer Lebensweise. Respekt, Akzeptanz, Gegenseitigkeit, Solidarität – auch zwischen den Generationen, eine sehr tiefe Verbundenheit mit der Natur: Das sind Werte, die darin besonders aufleuchten.
„Seit wir hier angekommen sind, ist es eine tägliche Schule für mich“, sagte der Neuseeländer Stephen Hall. „Wo auch immer ich hingehe, lerne ich. Sei es in den Dörfern beim Kava-Trinken mit den Ältesten oder auch einfach unterwegs auf den Straßen.“
Die sechs Fokolarinnen und Fokolare haben sich von Anfang an in den Dienst der katholischen Kirche gestellt. So arbeiten vier von ihnen in der Jugendpastoral der Diözese mit. Auch in den Pfarreien und der Nachbarschaft, „versuchen wir das Leben der Menschen zu teilen.“ Die Gemeinschaft und das Miteinander spielen dabei eine wichtige Rolle. „Wenn du zu einer Beerdigung oder zu einer Hochzeit gehst, ist das ein Tagesereignis“, beschreibt Lourdes. „Man sitzt auf dem Boden beieinander, wie es hier üblich ist, lebt miteinander und lernt von den Menschen.“ Um etwas von sich zu erzählen, „muss man lernen, den Moment Gottes abzuwarten“, ergänzt Stephen. „Die Menschen hier bestimmen über ihre Zeit; sie sind nicht von ihr bestimmt. Der Bus kommt, wann er kommt. Die Dinge geschehen, wenn sie geschehen sollen.“ So – das unterstreichen beide – sind auch sie sensibler geworden für das Wirken Gottes und lernen, sich führen zu lassen.
In diesem Lernprozess machen sie auch Fehler. „Wir dachten, es wäre eine freundliche Geste, den Fischern Glück zu wünschen, bevor sie mit den Booten losfahren. Aber wir lernten schnell, dass sie genau das als schlechtes Omen empfinden“, erzählt die Brasilianerin.
Die sozialen Herausforderungen auf Fidschi und in der ganzen Region sind groß. Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für die Menschen und Gemeinschaften. So steigt der Meeresspiegel, die Ozeane übersäuern; Dürren, Überschwemmungen und extreme Wetterereignisse treten immer häufiger auf. Das hat wirtschaftliche und klimabedingte Migration zur Folge, viele Inseln „entvölkern“. Es gibt Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Armut. Das multikulturelle Miteinander ist nicht spannungsfrei. „Viele, die das Charisma der Einheit leben,“ berichten die beiden Fokolare, „machen deshalb prägende Erfahrungen der Vergebung und der Versöhnung.“
Die Entfernungen zwischen den pazifischen Inseln sind eine echte Herausforderung für die Fokolare. Außer in Neukaledonien und Fidschi sind vor allem in Kiribati, Wallis und Futuna Menschen mit der Bewegung verbunden, einige Kontakte gibt es auch in Papua-Neuguinea, Samoa und Vanuatu. Häufige Reisen sind jedoch kaum möglich: Allein von Suva nach Nouméa in Neukaledonien fliegt man fast zwei Stunden. Trotzdem planen sie dort im Januar 2025 eine Mariapoli, ein Sommertreffen der Bewegung, für ganz Australien und Ozeanien. „Aber im Moment weiß aufgrund der heftigen Unruhen im Land keiner, wie das möglich sein wird. Als wir uns kürzlich mit unseren Freunden dort per Zoom gehört haben, haben sie uns erzählt, wie sie in dieser Situation leben und versuchen, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Gruppen. Das war sehr bewegend. Die Mariapoli hat deshalb schon begonnen. Wenn wir dann im Januar dorthin reisen, werden wir sie in ihren Projekten unterstützen, uns mit ihnen einsetzen, wo immer es nötig ist, um Zeichen der Verständigung zu setzen und gemeinsam Brücken zu bauen.“ Die Zeiten Gottes abwarten und sich führen lassen – das ist die Zuversicht, mit der die Fokolare in Fidschi nicht nur diese Mariapoli angehen.
Gabi Ballweg
- Ozeanien, das sind rund 7500 Inseln nördlich und östlich von Australien, von denen etwa 2100 bewohnt sind. Papua-Neuguinea nicht eingerechnet, das üblicherweise zu Australien zählt, ist die Landfläche aller zusammen etwa so groß wie Deutschland und die Schweiz zusammen.
Ozeanien hat etwa zehn Millionen Einwohner. Man teilt die Inseln in drei Gruppen ein: Polynesien im Osten, Mikronesien und Melanesien im Westen.
Viele Inselgruppen sind heute eigene Staaten: Neuseeland zum Beispiel, auch Fidschi, Nauru, die Salomonen oder die Föderierten Staaten von Mikronesien, Papua-Neuguinea. Weitere gehören zu anderen Staaten; meist waren es Kolonien, heute „abhängige Gebiete“, wie Neukaledonien, wo Frankreich regiert. Die Inseln – außer Neuseeland – sind eher arm. Die Menschen leben vor allem vom Fischfang und der Landwirtschaft. Außerdem ist der Tourismus für viele sehr wichtig geworden. So wird Fidschi jedes Jahr von fast einer halben Million Menschen besucht.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2024.
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