WORT DES LEBENS . PLUS
Gott ist Hirte – und so viel mehr
Der Herr ist mein Hirt; nichts wird mir fehlen (Psalm 23,1).
Das Bild von Gott als dem guten Hirten ist vertraut. Es kommt mehrfach in der Bibel vor, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Im Buch des Propheten Ezechiel zum Beispiel erklärt Gott das Hirtengeschäft zur Chefsache. Politische und religiöse Anführer des Volkes, die als „Hirten“ versagt haben, werden abgesetzt, und Gott beschließt: „Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. … Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist“ (Ezechiel 34,11.16). In diese Tradition stellt sich auch das Johannesevangelium, wo Jesus sich selbst als der gute Hirte offenbart (Johannes 10,11).
Psalm 23 hat allerdings einen etwas anderen Blickwinkel: Das Hirtenbild ist keine Selbstaussage. Der Psalmist wendet es an, um zu beschreiben, wie er seine Beziehung zu Gott empfindet. Meines Wissens ist dies das einzige Mal in der Bibel, dass vom guten Hirten sozusagen aus der „Schafperspektive“ gesprochen wird: aus der Perspektive eines Menschen, der sich geborgen, geleitet und beschützt weiß und Gott rückhaltlos vertrauen kann.
Dabei finde ich es wichtig, präsent zu halten, dass der „Hirte“ – und folglich auch das „Schaf“ – immer bildhafte Vergleiche sind, auch Metaphern genannt. Ohne sie wäre es schwierig, überhaupt von Gott zu sprechen, denn Gott in sich selbst übersteigt ja alle menschliche Vorstellung und Sprache. Metaphern können im tiefsten Sinne wahr sein. „Gott ist mein Hirte“ – das stimmt, wenn ich an Erfahrungen von Fürsorge und Schutz, Vertrauen und Geborgenheit denke. Dies ist ja in den Versen 2–4 sofort verdeutlicht. Nur als „Nebenprodukt“ der Hirtenmetapher lasse ich mich beim Beten des Psalms für einige Verse in die Rolle eines Schafes versetzen: nämlich insoweit ich Gottes Fürsorge und Schutz erfahren darf oder erbitte. Bereits Vers 5 drückt dasselbe ja mit dem spezifisch menschlichen Bild eines reichen Festmahls aus.
Bildliche Sprache darf jedoch nicht absolut gesetzt werden. Nicht alle Aspekte des Hirte-Seins sind angesprochen. Der Vergleich passt eben nicht, wenn ich daran denke, dass Schafe normalerweise zur Milch‑, Woll- und Fleischproduktion gehalten werden. Ebenso möchte ich Gott keinesfalls auf die Rolle des guten Hirten einschränken: Gott ist mein Hirte – aber Gott ist mir auch so vieles mehr, ist immer „größer,“ anders, und letztlich unvergleichbar.
Die Psalmen haben einen unglaublichen Reichtum an Gottes-Bildern, die tiefe Klage („Sammle meine Tränen in einem Krug, zeichne sie auf in deinem Buch!“ Ps 56,9) ebenso ausdrücken wie Dankbarkeit („Er zog mich herauf aus der Grube des Grauens, aus Schlamm und Morast“ Ps 40,3) und Lobpreis („Jubeln kann ich im Schatten deiner Flügel“ Ps 63,8). Sie sind eine wahre Fundgrube und Schatzkammer, um auch meine Beziehung zu Gott und meinen Gemütszustand auszudrücken.
Janina Hiebel
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2024.
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