Kleines Büro mit Weltdimension
Gute Kontakte zwischen der Fokolar-Bewegung und dem Weltkirchenrat
gab es seit vielen Jahren. Eine „ständige Vertretung“ gibt dem nun einen offiziellen Rahmen – und die Basis, die bestehenden Beziehungen zu vertiefen.
Seit Januar 2023 arbeitet Christian Müggler in seinem neuen Büro. Es befindet sich im dritten Stock eines modernen Glasgebäudes. Am Stadtrand von Genf im sogenannten „Green Village“ beheimatet der Raum die offizielle Vertretung der Fokolar-Bewegung am Hauptsitz des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Die Augen des Schweizers leuchten, wenn er über seine Aufgabe spricht: „Ich möchte hier mitknüpfen am weltweiten Netz der Geschwisterlichkeit unter den Kirchen und christlichen Gemeinschaften.“
„Mit vielen Mitarbeitern im Haus sind seit meiner Ankunft freundschaftliche Beziehungen gewachsen“, freut sich Müggler deshalb – wie auch darüber, dass immer wieder „verschiedene Gäste an unsere Tür“ klopfen. Der Sitz einer der wichtigsten Organisationen der ökumenischen Bewegung ist Anlaufstelle für Menschen aus allen Teilen der Welt. „Im Januar kam überraschend ein Anruf von einer jamaikanischen ÖRK-Mitarbeiterin. Sie fragte an, ob ich Zeit hätte, einen unangemeldeten Gast aus Haiti zu begrüßen.“ Es handelte sich um Eliner Cadet, evangelischer Pastor und Direktor des nationalen Verbandes haitischer Pastoren. „Wir hatten ein gutes Gespräch. Da er einen Tag länger in Genf bleiben wollte, musste er sein Zugticket umbuchen. Dabei war ich ihm gerne behilflich. Danach nahmen wir zusammen in der Cafeteria ein Mittagessen ein, bei dem er über die politische und religiöse Situation in Haiti sprach.“ Christian Müggler begleitete den Gast anschließend noch in die Stadt zur protestantischen Kathedrale St. Pierre und zum Reformationsdenkmal, das an die Genfer Reformation durch Johannes Calvin erinnert. „Pastor Eliner war sehr dankbar für die Begegnungen und die Führungen.“ Bis heute rufe er ab und zu aus Haiti an, um über die Situation seiner Kirche in dem von Gewalt gebeutelten Land zu berichten; er bezeichnet Müggler als „seinen Botschafter“ und „möchte den Kontakt zum Weltkirchenrat aufrechterhalten und demnächst wieder nach Genf kommen.“
Auch wenn das „offizielle Büro“ erst vor knapp zwei Jahren eröffnet wurde, die Kontakte zwischen der Geistlichen Gemeinschaft und der ökumenischen Institution reichen sehr viel länger zurück. Schließlich verbindet beide ein Ziel: die Einheit. So war Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung, dreimal in Genf zu Gast. 1967, 1982 und 2002. Schon bei ihrem ersten Besuch hat sie Fokolare nach Genf gerufen. Als Trägerinnen und Träger der Spiritualität der Gemeinschaft sah sie diese „prädestiniert“, in dieser Stadt Beziehungen zu internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen (UNO) zu pflegen und sich für die Einheit unter den Kirchen und Völkern einzusetzen. Einige fanden auch eine Arbeitsstelle bei den Organisationen. Wie Luzia Wehrle, eine Schweizer Fokolarin, die 40 Jahre beim Ökumenischen Rat der Kirchen gearbeitet hat. Nicht zuletzt dadurch hatten viele ÖRK-Mitarbeitende Elemente der Spiritualität der Einheit kennen- und für ihren Dienst schätzen gelernt. Über die Jahre war es zu zahlreichen Begegnungen und Kooperationen gekommen, die beide Seiten als Bereicherung erlebten.
Auf Initiative von Valter Hugo Muniz, einem jungen ÖRK-Mitarbeiter im Bereich Kommunikation, kam die derzeitige Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Margaret Karram, am 28. November 2022 zu einem offiziellen Besuch nach Genf. Dabei bot sie an, dort ein Büro einzurichten, um die Präsenz der Fokolar-Bewegung auch weiterhin zu gewährleisten. Ihr Angebot fand nicht nur bei Generalsekretär Jerry Pillay offene Türen. Die Teilnehmenden beider Gruppen sprachen über vergangene und zukünftige Bereiche der Zusammenarbeit und tauschten ihre Erfahrungen aus. „Wir wollen in unserer Beziehung ‚Hand in Hand‘ weitergehen!“, waren sich beide Seiten dann einig. Der ÖRK bot Räumlichkeiten an, die Fokolar-Bewegung klärte die Finanzierung rund um Miete und Bezahlung der Mitarbeiter im Büro.
Schon am 1. Januar 2023 begann Christian Müggler mit seiner faszinierenden Aufgabe, „Botschafter der Einheit“ zu sein. „Dazu gehört es ebenso, mit anderen Nichtregierungsorganisationen freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.“ Das drückt sich auch im Büroraum aus. Den teilt sich Müggler mit Jorge Ferreira, einem Fokolar, der die Nichtregierungsinitiative der Bewegung „New Humanity“ bei der UNO vertritt. Ein großer Aufsteller weist auf die Kampagne „Zero Hunger“ (dt.: „Null Hunger“) der Jugendlichen der Bewegung hin; sie setzen sich in Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation FAO dafür ein, den Hunger weltweit zu bekämpfen. Müggler unterstreicht die wechselseitige Bereicherung: „Kampagnen wie diese entwickelt auch der ÖRK.“
Ein fest definiertes Programm für das Büro gibt es nicht. „Unsere Visitenkarte sind freundschaftliche Beziehungen aus den Wurzeln unserer Spiritualität“, unterstreicht der gebürtige Basler. Der im Bereich des Rechnungswesens ausgebildete Fokolar verfügt über reiche ökumenische Erfahrung. Seit 20 Jahren arbeitet er im Sekretariat für Bischöfe am Zentrum der Fokolar-Bewegung in Rom mit, hat dabei eine Vorliebe für die „ökumenischen Bischofstreffen“ entwickelt und bildet sich derzeit auch in Theologie fort.
An seinem neuen Arbeitsplatz staunt er, welch unterschiedliche Personen und Gruppierungen sich für die Ökumene interessieren. „Im Mai besuchte uns ein Professor aus Konstanz mit zwei Dutzend deutschen und amerikanischen Studierenden. Sie wollten mehr erfahren über die aktuellen weltweiten Bemühungen um Einheit in versöhnter Verschiedenheit, in Glauben und Praxis.“
Müggler steht auch in Kontakt mit dem internationalen Studienzentrum des ÖRK in Bossey. Dort absolvieren jährlich 50 Studierende aus aller Welt Kurse im Bereich Ökumene und schreiben Doktorarbeiten. Im Studienprogramm inbegriffen ist jeweils eine Reise nach Rom – unter anderem mit einem Besuch am internationalen Zentrum der Fokolar-Bewegung. Die Besuche sind gegenseitig: „Vor Kurzem hat der ÖRK eine Gruppe junger Fokolarinnen und Fokolare empfangen. Viele von ihnen kommen aus südlichen Ländern; sie haben kaum Erfahrungen mit ökumenischen Kontakten. Durch solche Begegnungen können Verständnis und Sensibilität für andere christliche Traditionen geweckt werden. Das Miteinander über konfessionelle Grenzen hinaus gehört zur Friedensarbeit der Kirchen“, ist Müggler überzeugt.
Das Fokolar-Büro genießt eine privilegierte Stellung innerhalb des ÖRK. Christian Müggler wurde gleich zu Beginn angefragt, in der Liturgiekommission mitzuarbeiten. „Im Ökumenischen Rat wird viel gebetet“, erklärt er. Viele Gebetsmomente werden hybrid angeboten, sodass eine weltweite Teilnahme möglich ist. „Jeden Morgen findet ein gemeinsames Gebet statt. Während der Fastenzeit habe ich auf Anfrage fünf Mittagsgebete vorbereitet und gehalten.“ Müggler wird auch immer wieder zu offiziellen Anlässen eingeladen, etwa zur Eröffnung einer Ausstellung, einem Empfang – „alles wertvolle Gelegenheiten, Beziehungen zu leben und zu vertiefen.“
Evelyne Maria Graf
Der Ökumenische Rat der Kirchen
ist eine Gemeinschaft von 352 Kirchen aus mehr als 120 Ländern auf dem Weg zu einer sichtbaren Einheit und vertritt weltweit über 580 Millionen Christinnen und Christen. 1948 gegründet, hat er seinen Hauptsitz in Genf. Dort sowie am dazugehörigen Studienzentrum von Bossey arbeiten zurzeit 90 Angestellte, weitere 25 befinden sich in anderen Ländern; Niederlassungen bestehen in New York, Jerusalem und Nairobi. Der ÖRK ist unter den zahlreichen Organisationen der modernen ökumenischen Bewegung, deren Ziel die Einheit ist, die umfassendste und vielfältigste. Die Katholische Kirche ist formal nicht Mitglied, unterhält jedoch gute Beziehungen mit dem ÖRK.
www.oikoumene.org/de/ueber-den-oerk
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2024.
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