6. Februar 2025

Offenherzige Aufnahme

Von nst5

Offener Brief an die Fokolar-Gemeinschaft im Libanon

Liebe Fokolar-Gemeinschaft im Libanon!

Krieg habe ich nie selbst erfahren: Ich habe nicht die Schüsse, Explosionen, das Geheul der Alarmsirenen gehört, die Zerstörung erlebt, den Hunger, die ständige Bedrohung, die Todesangst, die vielen Toten und Verletzten, die Verzweiflung. Daher kann ich nur ahnen, wie wertvoll ist, was Sie alles für jene tun, die vor den Bomben geflohen sind und ihr Hab und Gut verloren haben!
Als am 23. September die Bombardierung des Libanon begann, kamen muslimische Freunde mitten in der Nacht in Ihr Zentrum und suchten Zuflucht. Es liegt in einem christlichen Gebiet; dort ist die Hisbollah kaum präsent, das verspricht den Geflüchteten Sicherheit. Außerdem ist Ihr Zentrum für einen lebendigen Dialog von Christen und Muslimen bekannt. Vor allem aber hatten diese Personen bereits im Libanon-Krieg 2006 bei Ihnen Aufnahme gefunden und Ihre offenherzige Hilfe nicht vergessen. Daraufhin haben Sie in Ihrem Zentrum, das nur für achtzig Personen ausgelegt ist, über 130 Flüchtlinge aufgenommen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Mit Ihren Freunden schleppten Sie Trinkwasser herbei, besorgten warme Kleidung, Nahrung, Kraftstoff für die Stromgeneratoren.
Doch auch Ihre Gäste packten an, organisierten sich in Teams, um zu kochen, zu putzen, sich mit Reparaturarbeiten für die erfahrene Hilfe erkenntlich zu zeigen. Unter den Geflüchteten waren Lehrerinnen, die die Kinder unterrichteten. Sie erfuhren eine Welle der Solidarität: Geschäfte, die selbst ums Überleben kämpfen, gewährten Rabatte; Jugendliche organisierten Freizeitprogramme für Kinder; Psychologen boten Hilfe an. Eine Frau hat im Zentrum ein Mädchen zur Welt gebracht; in kurzer Zeit kam alles Nötige für Mutter und Kind zusammen. Problematisch blieb es jedoch, Medikamente zu beschaffen und Krankheiten zu behandeln.
Mit dem Eintritt der zweimonatigen Waffenruhe Ende November kehrten viele Geflüchtete in ihre Heimatorte zurück. Der Abschied war mit Tränen verbunden, so sehr waren Sie einander ans Herz gewachsen. In Ihrem Zentrum kehrte wieder Ruhe ein. Aber Sie setzen sich weiter für Flüchtlinge ein, die in anderen Einrichtungen in der Nähe Unterschlupf gefunden haben!
Einige von Ihnen, die über die Firma „Made by Nature“ mit mehreren hundert libanesischen Herstellern vernetzt sind, haben eine vielversprechende Initiative gestartet: Kunden und Interessierte können online nachhaltig hergestellte Waren kaufen. So will die Initiative das Überleben vor allem von landwirtschaftlichen, mehrheitlich von Frauen geführten Kleinunternehmen sichern. Diese Waren des täglichen Bedarfs verteilt sie dann an von Ihnen und anderen Organisationen betreute Flüchtlinge. Der Instagram-Account „madebynature.lb“ hat 20 000 Follower. Das lässt hoffen, dass die Initiative vielen Kleinunternehmen und Flüchtlingen wirksam helfen kann. Von Herzen Dank für Ihren Einsatz, Ihre Kreativität und Ihr Durchhaltevermögen zum Wohl der Bedürftigsten in der verzweifelten Lage Ihres Landes!

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Foto: (c) Centre Mariapoli Lebanon

„Die Quelle“
Das Ausbildungs- und Begegnungszentrum der Fokolar-Bewegung im Libanon bietet Platz für 80 Personen und trägt den Namen „La Source“ – „Die Quelle“. Aufgrund der Kriegsgeschehen hatte es über 130 Binnenflüchtlinge aufgenommen, Muslime und Christen, und engagiert sich weiterhin für Geflüchtete.

Die Angriffe Israels auf Ziele im Libanon, die der Terrororganisation Hisbollah gelten sollen, hatten zahlreiche Tote und Verletzte zur Folge; über 800 000 Menschen sind innerhalb des Landes und Hundertausende weitere nach Syrien geflohen.





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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2025.
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