8. April 2025

Blumen wachsen auf dem Mist

Von nst5

Gefühle haben viele Schattierungen.

Ausgerechnet negative können besonders wertvoll sein.

Gery De Stefano – Foto: privat

Gery De Stefano schreibt seit ihrer Jugend Lieder und verarbeitet darin ihre Erlebnisse und Gefühle. Die vierfache Mutter und fünffache Großmutter lebt mit ihrem Mann in Köln.


Während ich darüber nachdachte, wie ich mit Traurigkeit, Enttäuschung, Wut, Ärger, Angst, … – kurz: unguten und unangenehmen Gefühlen – umgehe, lief bei uns eine alte Schallplatte von Fabrizio De André, einem italienischen Liedermacher. Im Hintergrund hörte ich den Vers Dai diamanti non nasce niente, dal letame nascono i fior‘“, übersetzt: „Aus Diamanten wächst nichts, aus Mist wachsen Blumen.“
Auch ich kenne unzählige Schattierungen von Gefühlen. Vor allem die „negativen“ forderten mich heraus: Mal mögen sie schlicht durch die hormonellen Schwankungen entstehen, mal in Phasen großer körperlicher oder psychischer Überforderung. Mit der Zeit lernte ich, meine Stimmungstiefs einzuordnen und manchmal auch einfach nur abzuwarten, bis sie vorbeigehen.
Viel schwieriger war und ist es für mich, den Ungerechtigkeiten und Lieblosigkeiten jener Menschen zu begegnen, mit denen mich viel verbindet. So wohnte ich während meiner Ausbildung in einer WG mit anderen, die wie ich sehr engagiert und mit einem hohen Ideal lebten. Einmal dachte ich, etwas besonders gut gemacht zu haben. Doch statt Zustimmung erhielt ich ungerechte, böse Kritik. Ich fühlte mich von meinen Freunden verraten und sehr einsam. In dieser Situation fand ich eine Parallele zur Biografie von Jesus, der auch verraten und verlassen war, und von dem ich mich daher verstanden fühlte. Dieser Perspektivwechsel war für mich umwerfend, und so schrieb ich noch am gleichen Tag ein Lied: „Ich will dich so, so wie du bist, mit dem Gesicht, das du mir zeigst.“
Mit innerer Freiheit begann ich auch, mir unangenehme Menschen oder negative Situationen anders vorzustellen. So wie in einem Vexierbild – diese mehrdeutigen Bilder lassen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu, je nachdem auf welche Details man sich konzentriert. So kann man in einem Bild entweder einen Saxophonisten oder eine Frau erkennen, eine Landschaft oder einen alten Mann. Ich hatte den Eindruck, eine „neue“ Wahrnehmung zu erlernen in Bezug auf das, was mir begegnet. Im Lied „Neue Augen“ schrieb ich über einen Traum: Ich habe eines Nachts geträumt, ich hätte neue Augen … Ich nahm die neuen Augen wahr, Arme, Herz und Ohr, und Tag für Tag such ich jetzt sie, tausch sie gegen die alten, und mehr und mehr begreife ich: Du schenkst sie mir zum Behalten.“
Schwieriger als das Ertragen anderer ist es für mich, mit eigenen Ängsten und Schuldgefühlen zu leben. Ich merkte, dass manches auf einer Reihe von nicht hilfreichen Glaubenssätzen beruhte, die ich prüfen und ändern kann. Ich schrieb dazu im Lied „Hier oder dort“: „Der Zwang alles verstehen zu müssen, die Gier nach ‚happy end’, der Heißhunger auf ‚Verständnis finden’, das Schuften für Harmonie, das Festhalten an der Illusion, dass ‚Liebe’ automatisch Gegenliebe mit sich bringt. So viele vergeudete Kräfte! So viel verlorene Zeit! So viel Trauer um etwas, das doch nicht zu betrauern ist …“
Hier schließt sich der Kreis: Ich bin dankbar für die „Diamanten“, die ich im Laufe meines Lebens sammeln durfte, die Erfolge, die guten Gefühle. Aber meine Blumen sind auf Mist gewachsen.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2025.
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