10. Dezember 2009

Konzert nach unbekannter Partitur

Von nst_xy

Im Schatten des festlichen 10-jährigen Jubiläums der Rechtfertigungserklärung von Augsburg fand ein „kleines Jubiläum“ statt: Vor zehn Jahren begann der gemeinsame Weg christlicher Bewegungen und Gemeinschaften.

Bedeutsame Ereignisse haben oft unscheinbare Anfänge: Vor zehn Jahren blickte die Welt – zumindest die christliche Welt – nach Augsburg. Am 31. Oktober 1999, an dem Tag, an dem die Lutheraner Ihren Reformationstag feiern und an Luthers Thesenanschlag im Jahr 1517 denken, an diesem historischen Tag unterzeichneten in Augsburg Spitzenvertreter der Katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes ein Dokument mit dem etwas sperrigen Titel: „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. An die 50 Jahre theologische Vorarbeit hatte es gebraucht, bis dieser Text zustande gekommen war. Doch die Mühe hatte sich gelohnt: Mit der Unterzeichnung beendeten die beiden Kirchen in einer zentralen Glaubensfrage jenen 500 Jahre alten Streit, der zur Spaltung der westlichen Christenheit geführt hatte.

Von Rom aus bezeichnete Papst Johannes Paul II. das Geschehen als „Meilenstein auf dem nicht leichten Weg zur Wiederherstellung der vollen Einheit unter den Christen“.

Am Abend dieses von höchster Festlichkeit geprägten Tages – sozusagen im Schatten der Rechtfertigungserklärung – kam es im Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring, zwölf Kilometer westlich von Augsburg, zu einer ganz bescheidenenund eigentlich eher „zufälligen“ Begegnung. Einige Leiter evangelischerBewegungen und Gemeinschaften hatten angeregt, sich mit den Verantwortlichen der Fokolar- Bewegung, Chiara Lubich, und der Gemeinschaft von Sant’Egidio, Andrea Riccardi, zu treffen, die beide nach Augsburg eingeladen worden waren. Sie hatten vom Prozess der Befreundung unter den in der Katholischen Kirche verankerten Bewegungen gehört und wollten nun einmal sondieren, ob dieser Weg auch ein konfessionsübergreifender sein könnte.
Zehn Jahre später nun, am 31. Oktober 2009, war das Bild auf den ersten Blick das gleiche: In Augsburg fanden große Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum dieser „Gemeinsamen Erklärung“ statt. Die Festvorträge hielten Kardinal Karl Lehmann, der evangelische Theologe Eberhard Jüngel, der seinerzeit die Erklärung heftig kritisiert hatte, und der Methodisten-Bischof Walter Klaiber, dessen Kirche sich vor drei Jahren nachträglich der Erklärung angeschlossen hat. Im Augsburger Dom gab es abschließend einen festlichen ökumenischen Gottesdienst, bei dem sich übrigens die aus Rom angereiste Fokolar-Präsidentin Maria Voce als einzige Laiin unter die Liturgen einreihte.
Am Abend gab es dann in Ottmaring, wieder in einem bescheidenen und familiären Rahmen, die Begegnung einer ganzen Reihe von Zeugen jenes Treffens von vor zehn Jahren, aus dem in der Zwischenzeit allerdings Großes erwachsen ist. Aus den damals 15 anwesenden Gemeinschaften sind inzwischen weltweit 250 Gruppierungen geworden, die den Weg des „Miteinander“ gehen. Nationale Begegnungen, wie im Jahr 2001 in München, und die beiden großen Europatage in Stuttgart 2004 und 2007, haben dazu geführt, dass nach den Leitungen der Bewegungen auch ihre Basis für den Prozess der Befreundung gewonnen wurde.

Und die Großereignisse haben verdeutlicht, dass die christlichen Bewegungen und Gemeinschaften sich nicht als Selbstzweck verstehen, sondern sich mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen in das Leben der modernen Welt einbringen wollen.

Für Kardinal Walter Kasper, den katholischen Chef-Ökumeniker, ist diese, vor zehn Jahren in der beschaulichen Stille von Ottmaring angestoßene Bewegung zu „einem der größten Hoffnungszeichen für die Ökumene zwischen Katholiken und Lutheranern“ geworden. Und auch Bischof Christian Krause, als damaliger Präsident des Lutherischen Weltbundes einer der Erstunterzeichner der Rechtfertigungserklärung, sieht im Miteinander christlicher Bewegungen die schönste und reifste Frucht der damaligen Bemühungen. „Da geht wirklich etwas weiter!“
Das „kleine Jubiläum“ der Bewegungen in Ottmaring war geprägt von einem offenen Austausch überall das, was in diesen zehn Jahren – zum Erstaunen aller Beteiligten – geschehen ist: völlig unerwartete Freundschaften, Herzerweiterung, Versöhnung, ein neues Gefühl für sich und die anderen, für die eigene Kirche und die Kirche der anderen, für den kirchlichen und gesellschaftlichen Auftrag, den jede Gemeinschaft hat. Und immer wieder ein großes Gefühl der Dankbarkeit für alles, was geschehen ist.
Und dann stand – wie vor zehn Jahren – die Frage im Raum, wie es denn weitergehen soll. Mehr denn je – das unterstrichen verschiedene Teilnehmer an der Begegnung – gilt die Antwort, die Chiara Lubich vor zehn Jahren bereits auf diese Frage gegeben hat: „Machen wir keine Pläne!“, sagte sie damals. Und prägte ein Bild, das zu einem Leitmotiv für das Miteinander der Bewegungen wurde: Die Partitur zum Konzert der Gemeinschaften werde im Himmel geschrieben.

Aber dann wagte ein evangelischer Leiter doch eine Prognose. In letzter Zeit sei in ihm die Gewissheit gewachsen, dass die Trennung zwischen den Kirchen eines Tages so überraschend zusammenfallen werde, wie vor 20 Jahren die Berliner Mauer.

„Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich das noch erleben werde“, gestand er. Dann aber müsse es Christen geben, die bereits Erfahrung darin haben, wie ein Miteinander unter den verschiedenen Gruppierungen ganz praktisch geht. „Und das“, so seine Schlussfolgerung, „sind wir mit unserem Miteinander unter den verschiedenen Gemeinschaften.“
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2009)
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