11. Mai 2010

Großartige Menschen gibt es überall

Von nst_xy

Das Zusammentreffen mit immer neuen Erfahrungswelten sieht Bruno Frei (66) als Erweiterung des Herzens. Der Schweizer war als Fokolar in Westdeutschland, in den USA und zuletzt 14 Jahre in Südafrika. Seit einigen Monaten lebt er in Zwochau bei Leipzig.

Es ist, als hätte ich ein großes Haus betreten, wäre dabei aber noch nicht viel weiter vorgedrungen als bis in die Eingangshalle“, sagt der Schweizer Bruno Frei über vierzehn intensive Jahre in Afrika. „Ich habe den Eindruck, die hiesige Kultur noch wenig verstanden zu haben“, hatte er Jahre nach seiner Ankunft einem befreundeten Fokolar geklagt, der schon lange auf dem Schwarzen Kontinent lebte.
„Och“, sagte der nur, „das kommt schon noch. Das Wichtigste ist, eine innere Offenheit zu haben. Manche Europäer sind schon 30 Jahre hier und haben nicht einmal gemerkt, dass sie in Afrika sind.“
Der gelernte Bautechniker aus Zürich lebte in der südafrikanischen Großstadt Johannesburg. Eingezäunte Upper-Class-Viertel mit Hollywoodvillen und Luxuskarossen gehören ebenso zu der Sechs-Millionen-Metropole wie riesige Wohngegenden mit armseligen Behausungen aus Wellblech, Holz und Plastik. Auf Weiße, Schwarze, Farbige, Menschen aus unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten stieß Bruno Frei nicht nur hier in Südafrika, sondern auch in Nachbarländern, in denen die Fokolar-Bewegung Kontakte geknüpft hatte.

„Demütig und offen für die Reichtümer einer fremden Kultur, gewissermaßen wie auf Zehenspitzen“

habe er sich den Afrikanern nähern wollen, erinnert sich Bruno Frei, sei es in seiner Fokolargemeinschaft in einem der ehemaligen Homelands der Tswana, in seinem Teilzeitjob im Referat für Ökumene und Interreligiösen Dialog der Südafrikanischen Bischofskonferenz oder bei Besuchen und Reisen nach Zimbabwe, Lesotho und Malawi. Bei dieser Annäherung stieß Bruno Frei auf so manches, was ihn tief beeindruckte. So etwa die Natürlichkeit, mit der Religion auf diesem Kontinent zum Leben gehört.
Mit der Zeit verstand er auch, was die Fokolar-Spiritualität gerade in Afrika anzubieten hat: Besonders getroffen hat ihn da das heroische Zeugnis afrikanischer Seminaristen in Bürgerkriegsgebieten. Während sich traditionell der Gedanke der Solidarität nur auf die eigene Volksgruppe bezieht, lebten diese jungen Männer Zusammengehörigkeit und gegenseitige Hilfeleistung über Stammesgrenzen hinweg.
Mehrfach hörte er von Afrikanern, dass die Fokolar-Bewegung sie eine befreiende Sichtweise des Leids gelehrt hätte. Vielfach verstehen selbst christliche Afrikaner Leid und Unglück als Fluch oder Strafe Gottes. Wenn sie von schmerzlichen Ereignissen betroffen sind, suchen sie nach dem Schuldigen, der das Unheil durch sein Fehlverhalten ausgelöst hat. Im Umgang mit den Fokolaren hätten sie gelernt, sich gerade in leidvollen Augenblicken für die liebende Nähe Gottes zu öffnen, erzählten Bruno Freis Gesprächspartner.
Bisher Erlebtes beiseite zu lassen und hinter übernommenen Traditionen nach der Substanz zu suchen, war eine Übung, der sich der Schweizer in Südafrika immer wieder unterzogen hat. Zu Weihnachten zum Beispiel. Im sommerlichen Südafrika wäre er sich albern vorgekommen, auf mitteleuropäische Art Weihnachten zu feiern. „Weihnachten ist die Erfahrung, dass Gott unter uns gegenwärtig ist, dass er zu uns nach ganz unten kommt“, ist dem Schweizer in Afrika bewusster geworden als irgendwo sonst.
Wie wichtig es ist, dass sich Christen aktiv in die Gesellschaft einbringen, wird nicht allein den Fokolaren im Süden Afrikas immer deutlicher.
Wirtschaftlich boomt Südafrika, doch in anderen Bereichen droht die Entwicklung zu stagnieren. Insbesondere die Versöhnung zwischen Weißen und Schwarzen müsste dringend weitergeführt werden, mahnen unter anderem auch die Bischöfe. Der Heilungsprozess braucht Zeit.
Dass Versöhnung nicht nur durch öffentliche Erklärungen geschieht, sondern letztlich durch zahllose Begegnungen von Mensch zu Mensch, hat Bruno Frei oft erlebt.
Zum Beispiel bei einer Zusammenkunft von Familien der Fokolare. Ein schwarzer Regierungsmitarbeiter äußerte sich in einer abendlichen Tischrunde kritisch über Weiße. Sein langjähriger weißer Freund verließ nach diesem Wortbeitrag abrupt die Runde. „Das sind auch meine Leute. Es hat mich verletzt, wie du über sie gesprochen hast“, sagte er dem Freund am nächsten Morgen. Verzeihen konnte er, nachdem er die unbequeme Wahrheit aussprechen durfte. Beide Freunde nahmen sich anschließend von neuem vor, sich weiter in den Versöhnungsprozess einzubringen. Viele gut gemeinte christliche Projekte zur Förderung von Frieden, Gerechtigkeit und Entwicklung in Afrika sind von geringer Lebensdauer, ist Bruno Frei aufgefallen. Auch Initiativen der Fokolar-Bewegung sind dagegen nicht grundsätzlich gefeit.
Die Aussicht auf Erfolg steigt in dem Maß, als sie gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt werden, die dann von der Verbesserung der Lebensverhältnisse profitieren sollen und wenn man Projekten genügend Zeit zum Wachsen lässt.
Zu den positiven Beispielen zählt für den Schweizer Fokolar eine Initiative von Bauern in Malawi, die sich zu einer Gruppe der Fokolar-Bewegung zusammengefunden hatten. Aus dem gemeinsamen Gebet und Austausch über das Leben des Evangeliums heraus fingen die Bauern irgendwann an, nach Lösungen zu suchen, um die jahrelang anhaltenden Streitigkeiten um Wasserrechte im eigenen Dorf einzudämmen. „Es geht schon viel besser mit den Wasserrechten“, haben sie Bruno Frei bei der letzten Begegnung erzählt.

Ein ganzes „Universum“ hat sich dem Fokolar aus der Schweiz in vierzehn afrikanischen Jahren eröffnet, sagt er zu den Nachwirkungen dieser Lebensetappe.

In Westdeutschland, wo er 25 Jahre seines Lebens verbrachte, habe er vor allem die Erfahrungen von Krieg und Nationalsozialismus in sich aufnehmen können. „Viele Deutsche waren von diesen Erlebnissen geprägt, mit denen ich in der Schweiz zuvor kaum Berührung hatte“, erinnert er sich.
Wenn er an die anschließenden zwei Jahre in den USA zurückdenkt, fällt ihm der „positive Pragmatismus“ der Bevölkerung ein: „Zupacken, nicht lange drüber reden“ und „Menschen jenseits aller Klischees wahrnehmen“, sind Verhaltensweisen, die ihm dort ins Auge fielen. Im letzten August kam Bruno Frei nach Sachsen. „Werde ich nach all den Jahren überhaupt noch in Europa leben können?“, war die bange Frage, als er seine Koffer in Afrika packte.
In der Tat erscheint ihm vieles befremdlich nach seiner Rückkehr: Wenn er sich die Nachrichten im Fernsehen anschaut, wundert er sich über eine übertriebene Europazentrierung:
„Anstatt sich den eigentlichen Herausforderungen wie der Klimaproblematik anzunehmen, widmet sich Europa vielen ,Festungsproblemen‘, die letztlich nur durch eine stärkere Öffnung gelöst werden könnten“, denkt er. Zugleich ist er überzeugt: Großartige Menschen gibt es überall in der Welt. „Zum ersten Mal lebe ich jetzt in einem Land, in dem Kommunismus und Atheismus Verwundungen hinterlassen haben“, sagt der 66-Jährige. Und wieder einmal hat er begonnen, zuzuhören, zu verstehen, sich Menschen unvoreingenommen anzunähern.
Dorothee Wanzek

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2010)
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