15. September 2010

Religionsfreiheit ist mehr als Toleranz

Von nst_xy

Als Nachfolger der pakistanischen Juristin Asma Jahangir ist der Deutsche Heiner Bielefeldt seit August Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Glaubens- und Gewissensfreiheit. Im Interview beschreibt er seine künftige Aufgabe und erläutert, wie es derzeit in Europa und in der Welt um die Religionsfreiheit bestellt ist.

Herr Bielefeldt, was tut ein UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Das Mandat ist umfangreich. Ich prüfe die Einhaltung der Religionsfreiheit durch Länderbesuche, bearbeite individuelle Beschwerden und setze von mir aus Themen wie den interreligiösen Dialog. Jedes Jahr muss ich dann der UNO-Generalversammlung in New York und dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf Bericht erstatten.

Wo sehen Sie denn die größte Gefahr für die freie Religionsausübung?

Bielefeldt: Sicherlich in Staaten, die sich mit einer bestimmten Religion identifizieren – etwa in konservativen islamischen Ländern wie Iran, Pakistan oder Saudi-Arabien. Ferner gibt es Staaten wie China, Vietnam, Laos, wo die Behörden religiöse Minderheiten teilweise systematisch verfolgen. Religiöse Verfolgung findet unter verschiedenen Vorzeichen statt: dem Wahrheitsanspruch der eigenen Religion oder Ideologie, dem Anspruch auf kulturelle Identität oder nationale Traditionen oder einfach aufgrund von Ressentiments.

Was umfasst Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Sie ist mehr als Toleranz. Bei der Toleranz, ob in muslimischen Ländern oder im Preußen von Friedrich dem Großen, gewährt der Staat bestimmte Freiräume. Religionsfreiheit ist hingegen ein unveräußerliches Menschenrecht, das der Staat nicht zu gewähren sondern zu schützen hat.

In mehreren muslimischen Staaten steht sogar die Todesstrafe auf den Wechsel der Religion.

Bielefeldt: Das ist eine ganz massive Verletzung. Hier geht es um den innersten Kern der Religionsfreiheit, das so genannte Forum Internum. Anders als äußere Ausdrucksformen des Glaubens ist dies in den internationalen Menschenrechtsnormen absolut geschützt. Das heißt: Der Bereich von Gewissen, Glauben, Überzeugung ist jeder Abwägung entzogen. Das schließt das Recht der Menschen ein, ihren Glauben frei zu wählen, auch ihn zu ändern. Hier hat das Mandat der Sonderberichterstattung Religionsfreiheit einen besonderen Auftrag.

In vielen Ländern verlangen Religionen aufgrund ihrer Prägekraft in Kultur und Tradition gewisse Vorrechte. Lässt sich dies mit der Religionsfreiheit vereinbaren?

Bielefeldt: Das ist gefährlich. Die Religionsfreiheit schützt ja gerade Minderheiten, die besonders verletzlich sind. Ihr Anspruch wurzelt nicht in Mehrheitstraditionen, sondern in der Menschenwürde. Außerdem ist eine traditionelle Dominanz ohnehin faktisch vorhanden und braucht nicht zusätzlich staatliche Privilegien.

Wie ist dies beim Kruzifix-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu bewerten?

Bielefeldt: Zunächst hatte das Bundesverfassungsgericht ja Mitte der 90er Jahre Ähnliches zu entscheiden. Karlsruhe monierte seinerzeit nicht, dass Kreuze in Klassenzimmern hängen, sondern dass der Staat dies verordnet. Es ging also nur darum, dass der Staat sich nicht mit einem religiösen Symbol identifizieren sollte. Ansonsten plädiere ich für ein unverkrampftes Verhältnis zu religiösen Symbolen – auch in der Schule. Da können ohne weiteres Kruzifixe oder andere Symbole präsent sein. Wenn sie jemand stören, muss man praktische Wege finden, damit umzugehen. Allerdings nicht über staatliche Verordnungen. Das wäre eine Grenzüberschreitung.

Sehen Sie dennoch eine Tendenz, die Freiheit von Religion gegenüber der Freiheit zur Religion überzubewerten?

Bielefeldt: Es gibt Ungleichgewichte in beiden Richtungen. Besonders konservative islamische Staaten neigen dazu, die negative Religionsfreiheit überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Damit kommt dann das Recht, gegenüber staatlicher Religionspolitik Distanz zu wahren, völlig unter die Räder.

Und in Europa?

Bielefeldt: Hier gibt es in einigen Ländern gegenteilige Tendenzen, wenn auch nicht vergleichbar massiv. Die Verwaltungen, etwa die Schulbehörden, hätten es dann am liebsten, wenn die sichtbare Religion überhaupt keine Rolle spielte – gleichsam eine Purifizierung von Teilbereichen der Gesellschaft. Hier besteht die Gefahr, die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates so zu verstehen, dass Religion in öffentlichen Institutionen überhaupt nicht sichtbar wird. Da ist Frankreich ein problematisches Beispiel…

… wo das Parlament unlängst die Burka verboten hat.

Bielefeldt: Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Ich halte die Burka für ein außerordentlich verstörendes Symbol. Ich verstehe auch, wenn man sagt, dass dies der Gleichberechtigung von Mann und Frau widerspricht. Andererseits stellt sich die Frage nach den Grenzen legitimen staatlichen Eingreifens. Ein Verbot an Schulen hielte ich für unproblematisch, aber Strafandrohungen, die auf den allgemeinen öffentlichen Raum zielen, da kommt man schnell in Absurditäten.

Wo in Europa sehen Sie die Religionsfreiheit noch gefährdet?

Bielefeldt: Überall dort, wo sich ein Staat stark mit einer Religionsgemeinschaft identifiziert, etwa in manchen orthodoxen Ländern. In Griechenland kennt die Verfassung ein Verbot des Abwerbens Gläubiger durch andere Religionsgemeinschaften. In Deutschland, Österreich oder Holland ist dies nicht der Fall. Aber hier geht es über verkappte Leitkulturkonzepte, wie beim Kopftuchverbot. Ich halte ein Verbot für Lehrer zwar nicht für gänzlich indiskutabel. Aber wenn Ausnahmen für christliche Ordenstracht gemacht werden, stellt sich schon die Frage, ob hier nicht über eine leitkulturelle Vereinnahmung doch Diskriminierung stattfindet.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Es gibt sicher Fortschritte. Heute kann fast kein Staat mehr die Menschenrechte öffentlich in-frage stellen. Die meisten haben entsprechende Konventionen unterzeichnet. Viele Institutionen befassen sich mit ihrer Durchsetzung.

Aber ist da nicht viel Symbolik dabei?

16.09.2010 16:01:33Bielefeldt: Damit sind wir bei den Gefährdungen. Gerade bei der Religionsfreiheit gibt es besorgniserregende Tendenzen. So versucht man Religionsfreiheit gegen Meinungsfreiheit auszuspielen. Dabei geht es dann in erster Linie um den Schutz religiöser Gefühle, für die der Staat die Aufsicht übernehmen soll. Da muss man aufpassen. Die Durchsetzung der Menschenrechtsidee darf nicht in einen Pyrrhus-Sieg münden, bei dem man sich am Ende fragt: Wissen wir überhaupt noch, wovon wir reden? Deshalb müssen wir auch konzeptionell für Klarheit sorgen.

KNA

Heiner Bielefeldt (52)

ist seit einem Jahr inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Universität Erlangen-Nürnberg. Zuvor leitete er mehrere Jahre das Deutsche institut für Menschenrechte in Berlin. Nach dem studium von Theologie, philosophie und Geschichtswissenschaft war Bielefeldt unter anderem im Bereich der Rechtsphilosophie sowie der Konflikt- und Gewaltforschung tätig. Er engagiert sich im interreligiösen Dialog und ist unter anderem Mitglied des Kuratoriums der christlich-islamischen Gesellschaft. Am 18. Juni wurde Bielefeldt vom UN-Menschenrechtsrat zum sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religions- und Glaubensfreiheit ernannt.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2010)
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