15. September 2010

Kaufrausch für mehr Klimaschutz

Von nst_xy

Umweltbewusste Verbraucher bringen Unternehmen mit neuen Formen des Protests dazu, mehr Energie zu sparen

Carrotmob“ steht auf den Plakaten und den kleinen Wimpeln, die Lisa Niederlich vor der Eisdiele „Venezia“ aufhängt. Karotten in grellem Orange prangen auf dunkelgrünem Grund. Mit ihnen wollen Lisa und ihre Mitschüler scharenweise Kunden in das Eiscafé locken. Aber immer wieder wandern ihre Blicke skeptisch zum Himmel: Kühl und regnerisch ist es in München, und so wird es wohl den ganzen Nachmittag bleiben – nicht gerade das typische Wetter zum Eis essen! Sollte die ganze Arbeit umsonst gewesen sein?

„Ein Carrotmob ist das Gegenteil von einem Boykott“, erklärt Svenja von Gierke.

Ihr Verein „Green City“ organisiert das Projekt „Carrotmob macht Schule“ und begleitet die Schüler vom Willi-Graf-Gymnasium. Natürlich hofft auch von Gierke, dass die Aktion ein Erfolg wird: „Wenn ein Unternehmen umweltschädlich arbeitet, könnte man es boykottieren: Wenn dort keiner mehr etwas kauft, macht es Verluste. Aber Carrotmobs versuchen es umgekehrt: Ein Unternehmen wird an einem bestimmten Stichtag von Kunden nahezu überrannt und macht dann einen wesentlich höheren Umsatz als sonst.“

Das ist etwa so, wie einen störrischen Esel voranzutreiben: Zwar kann man es mit Prügel probieren, erfolgreicher aber ist es, wenn man ihn mit leckeren Karotten lockt. Daher hat der Carrotmob – „Mob“ steht für eine spontane Massenversammlung – auch seinen Namen. Denn was für den Esel die Möhre, ist für das Wirtschaftsunternehmen das Umsatzplus. „Bedingung ist nur,“ sagt Svenja von Gierke, „dass der Betrieb den zusätzlichen Gewinn auch wirklich für den Klimaschutz einsetzt!“

Schon vor Wochen hatten Lisas Mitschüler bei mehreren Eisdielen angeklopft und gefragt: Wie viel Prozent vom zusätzlichen Umsatz wären Sie bereit, in energieschonende Geräte zu investieren?

Lorena Piccoli vom „Venezia“ hatte sich ausgerechnet, wie viel Strom sie mit klimafreundlichen Lampen auf Dauer sparen könnte.

Mit fünfzig Prozent hatte die Eisdielen-Besitzerin unter den angesprochenen Betrieben das höchste Gebot abgegeben, und für den Carrotmob den Zuschlag bekommen. Was jetzt nur noch fehlt, damit der Plan überhaupt funktioniert, sind eishungrige Kunden! Zwar haben die Schüler über Internet, Facebook und Twitter ordentlich die Werbetrommel gerührt, aber heute scheint es, als kämen auch die modernsten Kommunikationswege nicht gegen das trübe Wetter an.

„Beim ersten Carrotmob im München war auch mieses Wetter, und dann sind doch dreihundert Leute gekommen!“

Svenja von Gierke will den Schülern Mut machen. Über 1000 Euro hatte die Aktion in einem Blumenladen damals erbracht. Der hat mit dem Erlös mittlerweile die vorher vereinbarten klimaschonenden Maßnahmen umgesetzt, spart fleißig Energie und stößt jetzt pro Jahr immerhin 13 Tonnen weniger CO2 aus. Natürlich reicht das nicht, um die Welt zu retten. Die Aktion soll auch eher ein Denkanstoß sein: Unternehmerische Entscheidungen haben auch eine moralische Be deutung! Und Firmen können umweltfreundlich wirtschaften, wenn sie nur wollen.

Mehrere Wochen lang hatten die Schüler den Carrotmob vorbereitet. Zur Seite stand ihnen ein Energieberater: Der half beider Suche nach „Energiefressern“ und gab Tipps, wie die Eiscafés mit wenig Mitteln möglichst viel Energie sparen können. „Wir haben erstmal ausgerechnet, wie viel Strom eine Lampe verbraucht. Um dann zu wissen, wie viel wir überhaupt einsparen können“, erzählt Lisa, während im „Venezia“ endlich Gäste auftauchen. „Wenn man umrechnet, wie viel CO2 wir täglich ausstoßen, ist das erschreckend. Das sind ganze Schwimmbäder voll! Da dachte ich mir, wir müssen unbedingt ’was tun!“

Ähnlich war es wohl auch Brent Schulkin aus San Francisco ergangen, dem „Erfinder“ der Carrotmobs. Der erste Laden, den er im März 2008 unter 30 konkurrierenden Geschäften ausgesucht hatte, verkaufte in wenigen Stunden soviel wie sonst in einer ganzen Woche! Mit seinen Aktionen will Schulkin die Wirtschaft zu mehr Einsatz im Klimaschutz motivieren. Und in der Gesellschaft einen langfristigen Bewusstseinswandel bewirken.

Die Idee zieht tatsächlich Kreise: Nachahmer haben die Carrotmobs mittlerweile bis nach Brasilien, Singapur und Australien gebracht.

„Aber auch im deutschsprachigen Raum breiten sie sich aus“, hat Dorothee Pöhlchen beobachtet. Im Internet hat sie schon wieder ein paar Städte mehr entdeckt, in denen Leute bestimmte Läden mit gezielten Masseneinkäufen umweltfreundlicher machen wollen. Und das versucht die Schülerin vom Ernst-Mach-Gymnasium auch selbst gerade. Ein paar Kilometer weiter hat sie mehr Glück als die anderen Schüler im „Venezia“: Im „Gelato Italiano“ schlecken schon viele Kunden an ihrem Eis. Andere stehen geduldig Schlange: Während sie noch die Eissorten studieren, läuft ihnen schon das Wasser im Mund zusammen.

Für Umweltschutz und sozialen Wandel zu kämpfen, klang für Dorothee erstmal nach langweiliger Demo. Aber ein Carrotmob ist anders: Der macht richtig Spaß! „Da kann ich selbst die Ärmel hochkrempeln“, sagt sie, als sich ein „Carrotmobber“ gerade vier große Portionen Eis zum Mitnehmen einpacken lässt. Da spürt die Schülerin etwas von der Macht, die sie in der Masse mit anderen „Verbrauchern“ hat und gezielt für etwas Gutes einsetzen kann. „Und ich seh mit eigenen Augen, was dabei ’rauskommt!“ Konkret heißt das: Dorothee und ihre Mitschüler werden ein paar Wochen nach der Aktion wieder bei dem Eiscafé vorbeischauen und kontrollieren, ob Inhaber Ivan Grassi sein Versprechen eingelöst hat, – die gesamte Beleuchtung auszuwechseln und den Laden umzustellen auf Ökostrom.

„Wir finden es gut, gerade kleine Einzelhändler zu unterstützen“, antwortet Svenja von Gierke auf die Frage, ob es für den Klimaschutz nicht mehr brächte, solche Aktionen mit großen Firmen zu machen. „Die großen Ketten haben doch sowieso schon genug Geld! Aber wir wünschen uns schon, irgendwann ein weltweites Netzwerk zu haben, das auch den großen Konzernen Druck machen kann.“

„Spart ihr selbst denn jetzt auch mehr Energie?“

will ein Kunde wissen, nachdem die Schülerinnen ihm den ungewöhnlichen Andrang in der Eisdiele erklärt haben. Denn inzwischen kommen die Bestellungen Schlag auf Schlag. Grad will jemand schon sein drittes Eis – mit Fiordilatte, Karamel- und Zimtgeschmack. „Ja, schon“, antwortet Dorothees Mitschülerin Stephanie Brüggemann. „Halt so auf die klassischen Sachen“ würde sie mehr achten: Weniger mit dem Auto fahren; Licht ausschalten, wenn sie aus dem Zimmer geht; bei sommerlicher Hitze vor dem Kühlschrank-Öffnen genau überlegen, was sie braucht, und dann die Tür schnell wieder schließen. „Und wenn’s draußen kalt ist“, fügt Dorothee hinzu, „stoßlüften und die Fenster nicht so lange auflassen, dass die ganze Wärme verpufft.“ Wenn sie shoppen gehen, sehen sich beide jetzt die Geschäfte genauer an: „Und wer zum Schutz der Umwelt beiträgt, wird bevorzugt!“

Das Regenwetter hat die Carrotmobs in München nicht verhindern können. Auch ihre Hoffnung auf ein besseres Klima haben sich die Schüler von den grauen Wolken nicht vertreiben lassen. Ihr Einsatz hat auf Eisdielenbesitzer Ivan Grassi großen Eindruck gemacht: Nach vier Stunden Eisverkauf und über 500 Euro Einnahmen überbietet er sich noch einmal selbst – statt 55 will er nun hundert Prozent davon in den klimafreundlichen Umbau stecken.

Clemens Behr

Umsteigen auf Ökostrom

Was ist Ökostrom?

Ökostrom wird aus erneuerbaren Energien gewonnen. Dazu gehören Wind-, Wasser- und sonnenenergie, Geothermie und Biomasse. Zuweilen ist noch Energie von Kraft-WärmeKopplungs-Anlagen mit dabei. Auf strom aus Kohle- und Atomkraftwerken wird bewusst verzichtet. Ökostrom ermöglicht eine größere Unabhängigkeit von endlichen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas und Uran.

Woher bekomme ich Ökostrom?

Die vier anerkannten unabhängigen Ökostrom-Lieferer in Deutschland sind Greenpeace Energy, EWs (Elektrizitätswerke schönau), Naturstrom und LichtBlick. Anbieter in Österreich sind oekostrom AG und AAE (Alpen Adria Energie). in der schweiz verkaufen mehrere große Energieunternehmen strom aus erneuerbaren Energien: Der Kunde zahlt einen Aufpreis und fördert damit den Ausbau von Ökostrom-Anlangen. Anbieter sind im internet zu finden unter www.topten.ch

Den Stromanbieter wechseln, wie geht das?

Ökostrom-Anbieter auswählen, auf seiner internet-seite das Vertragsformular herunterladen, ausfüllen und abschicken. Dabei anzugeben ist die Nummer des stromzählers, die auf dem Gerät selbst steht oder auf der stromrechnung. Der Anbieter kümmert sich dann um die Ummelde-Formalitäten. Hilfestellung unter: www.atomausstieg-selber-machen.de/stromwechsel.htmlKontakt.
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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2010)
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