5. April 2024

Wir haben keine Zeit zu verlieren

Von nst5

Wirksamer Klimaschutz

erfordert eine nachhaltige Transformation. Warum nur ist es so schwer, diesen Wandel hinzubekommen? Ein Plädoyer für die Zukunft.

Wir haben keine Zeit mehr. Und im Grunde wissen wir das auch alle: Klimaschutz ist dringlicher denn je. Warum ist es denn so schwer, dieses Wissen – als Einzelne, als Gesellschaft und als Weltgemeinschaft – zielgerichtet und entschieden sofort umzusetzen? Abgesehen davon, dass wir eine Klimakatastrophe verhindern oder zumindest abmildern könnten, spricht auch sonst vieles dafür.
Wirksame Klimaschutzpolitik ist Grundbedingung für Generationengerechtigkeit.
Bei Politik- und Wirtschaftsentscheidungen gehen die Interessen junger Menschen oft unter, auch deshalb, weil viele von ihnen noch nicht wählen dürfen. Junge Menschen, die nächsten Generationen, werden jedoch die Folgen des Klimawandels am heftigsten spüren. Wenn sie mit demokratischem und friedlichem Protest auf die Straße gehen und dafür angefeindet oder gar kriminalisiert werden, geht das aus meiner Sicht gar nicht. Wir müssen ihre Interessen und Forderungen endlich ernst nehmen. Dass die Klimapolitik der letzten Jahrzehnte mit Blick auf die nächsten Generationen verheerend und nicht akzeptabel ist, wurde sogar juristisch besiegelt: Im Jahr 2021 zwang das Bundesverfassungsgericht die damalige Bundesregierung, ihr Klimaschutzgesetz nachzubessern, da es „in Teilen verfassungswidrig“ gewesen sei.
Wirksame Klimaschutzpolitik ermöglicht glaubwürdigen Einsatz für Menschenrechte und den Frieden.
2023 feierten wir den 75. Geburtstag der Menschenrechte. Was sie uns wert sind, müssen wir als Gesellschaft immer wieder neu entscheiden – und unsere Politik konsequent daran ausrichten.
Was das bedeuten würde, zeigt die Energieökönomin Claudia Kemfert am Beispiel von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auf den Angriff gegen das westliche Lebensmodell, gegen Demokratie und Menschenrechte als Ganzes hätten Deutschland und der Westen konsequenter reagieren müssen. Um Putin dazu zu bringen, seinen Krieg schnell wieder aufzugeben oder wenigstens in Friedensgespräche einzuwilligen, habe es ein starkes „Druckmittel“ gegeben: den sofortigen Importstopp von Kohle, Öl und Gas aus Russland. Den hatte man in Deutschland auch diskutiert, ihn aber nicht vollzogen, auch weil klar war, dass er uns aufgrund der Abhängigkeit von Russland wirtschaftlich enorm geschadet hätte. So überwies Deutschland allein in den ersten fünf Monaten nach Kriegsbeginn über 16 Milliarden Euro an Russland, um fossile Energieträger zu bezahlen.
Nun kann im Nachhinein keiner mit Sicherheit sagen, ob das die gewünschte Wirkung gezeigt hätte. Aber eine Politik, die konsequent von Menschenrechten her agiert, wäre erst gar nicht in diese Lage gekommen; sie hätte viele Jahre vorher – spätestens nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 – den Pfad zur Unabhängigkeit von (russischen) fossilen Energieträgern einschlagen müssen. Dass diese Unabhängigkeit möglich ist und Deutschland sich komplett mit erneuerbaren Energien aus dem eigenen Land versorgen könnte, haben beispielsweise das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin) und das Fraunhofer-Institut aufgezeigt.

Illustration: (c) FrankRamspott (iStock)

Natürlich würde ein solcher Pfad tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zur Folge haben, aber er wäre möglich. Das haben zuletzt auch über 50 große deutsche  Unternehmen in einem Brandbrief an die Politik bestätigt. Dass wir diesen Pfad nach wie vor nicht eingeschlagen haben, ist ein großes Problem. Laut der bereits verstorbenen Autorin Beate Bocktin müssen wir in Zukunft mit weiteren Kriegen dieser Art rechnen. Wegen der bestehenden Abhängigkeiten sei Krieg, so Bocktin, „eine Konsequenz unserer Wirtschaftslogik“. Denn diese Logik verlange „immer neue Schulden, immer größere Profite und immer rücksichtslosere Ausplünderung“.
Muss man da nicht zu dem Schluss kommen: Wenn wir glaubhaft von Menschenrechten und Frieden sprechen wollen, müssen wir weg von fossilen Energien und hin zu einer echten klimapolitischen Wende?
Wirksame Klimaschutzpolitik ist Bedingung für Demokratie.
Die Unseligkeit solcher Abhängigkeiten beschränkt sich aber nicht auf die Bereiche Menschenrechte und Frieden. Sie gefährden auch die Demokratie. Die Verknüpfungen von Antisemitismus, Terrorismus und fossilen Energien in Staaten wie Katar, Iran, Russland und anderen hat Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg, aufgezeigt: „Eine klügere und engagiertere Beschleunigung der Dekarbonisierung würde … republikanische und privatwirtschaftliche Traditionen stärken, den bereits stattfindenden, Migration und Gewalt verschärfenden Klimawandel immerhin noch bremsen und nicht zuletzt auch fast allen autoritären, antisemitischen Regimen und Terrorgruppen die wirtschaftliche Rentenbasis entziehen.“ Zugespitzt kann man Blume so verstehen, dass unser vorherrschender fossiler Lebensstil mit einer lebendigen Demokratie nicht zusammengeht.
Die Gründe, echte Klimaschutzpolitik zu wollen und sie JETZT ohne Aufschub zu wollen, sind also stark. Aber wie von der Einsicht ins Handeln kommen?
Es braucht dafür eindeutige Entscheidungen und Weichenstellungen von der Politik. Warum wir nur schleppend vorankommen, liegt zweifellos auch an einem (finanz-)starken fossilen Lobbyismus, der effektive negative Narrative und auch Fehlinformationen zu erneuerbaren Energien verbreitet. Diese negativen Erzählungen gilt es zu entlarven und positive dagegenzusetzen; das würde uns dem Ziel einer beherzten Energie- und Klimaschutzwende näherbringen.
Damit die Politik den Pfad zu dieser Transformation einschlägt, braucht es den erklärten Willen und die entschiedene Forderung danach vonseiten der Bürgerinnen und Bürger. Dafür brauchen wir Kreativität, um zu zeigen, dass es nicht nur für „das große Ganze“ wichtig ist, sondern auch die eigene Lebensrealität beeinflusst und qualitativ verbessern würde.
Wie aber kommen wir dahin? Hier sehe ich zwei wichtige Haltungen, die ich abschließend, auch wenn ich ihnen oft selbst nicht gerecht werde, teilen möchte:
Beziehung first! Auch wenn ich noch so sehr überzeugt bin, recht zu haben: Es ist weder der Sache noch dem Gesprächspartner gedient, wenn ich ihm eine Wahrheit „wie ein nasses Handtuch“ um die Ohren haue. Die Beziehungsebene muss von Augenhöhe und Wertschätzung der Person des anderen geprägt sein – dann aber gilt: Gerne hart in der Sache argumentieren und die fundiert erforschten Erkenntnisse aus der Wissenschaft einbringen!
Neuanfang und Korrektur sind etwas Gutes! Zuweilen habe ich das Gefühl, es wird als Zeichen von Schwäche gedeutet, wenn man seine Meinung zu einem Thema korrigiert. Das Gegenteil muss der Fall sein! Wer bereit ist, Fehler und Irrtümer einzugestehen, und sich durch neue Erkenntnisse zur Korrektur bewegen lässt, zeigt Stärke. Wer das seinem Gegenüber zu erkennen gibt und zu leben versucht, arbeitet in großem Maße an einer lebenswerten und (klima-)positiven Zukunft mit!
Marius Grath

Marius Grath
ist Pastoraltheologe und Hochschulseelsorger in Stuttgart. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


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anfordern.Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2024.
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