3. Juli 2024

Zu den Ursprüngen der Fokolar-Bewegung

Von nst5

Rückblick auf die NEUE STADT-Reise 2024

Taufbecken mit Info-Säule zu Silvia (Chiara) Lubich
Fotos, wenn nicht anders angegeben: (c) Clemens Behr
Foto oben: Loppiano in der Toskana. (c) Gabriele Hartl

Trient in Norditalien ist das erste Ziel unserer Busreise, die früh am Morgen in München startet. Die von Bergen umgebene Stadt hat heute fast 120.000 Einwohner. Von den Kelten gegründet und den Römern erobert, wurde Trient im Mittelalter reich und ein bedeutender Sitz von Fürstbischöfen, die auch weltliche Macht besaßen. Hier tagte 1545 bis 1563 das Trienter Konzil, mit dem die katholische Kirche auf die Reformation reagierte. In der Kirche Santa Maria Maggiore, damals ein wichtiger Sitzungsort der Konzilsväter, ist am Taufbecken eine Informationsstele angebracht. Hier wurde Chiara Lubich, Gründerin der Fokolar-Bewegung, getauft.

Trient: Domplatz mit Kathedrale San Vigilio und Neptunbrunnen

Das 80-jährige Bestehen der Fokolar-Bewegung ist für uns der Anlass, eine Woche lang im April Orte ihrer Entstehung und Verbreitung in Italien zu besuchen. Zu 32 Personen sind wir unterwegs, aus verschiedenen Regionen Deutschlands, aus Österreich und der Schweiz. Manche der Mitreisenden gehören der Bewegung seit Jahrzehnten an, andere kennen sie weniger oder kommen durch diese Fahrt nach vielen Jahren wieder mit ihr in Kontakt. Die meisten mögen sechzig bis über achtzig Jahre alt sein, aber auch jüngere sind dabei. Auf den Plätzen und in den Gassen begegnet uns das Trienter Alltagsleben, doch dank Luciano, einem italienischen Fokolar, werden für uns die Anfänge der Bewegung lebendig: Während des Zweiten Weltkriegs hatte sich Chiara Lubich hier als 23-Jährige Gott geweiht, den sie als liebenden Vater aller Menschen entdeckt hatte. Mit Freundinnen hatten sie im Luftschutzkeller im Evangelium gelesen. Die Worte von Jesus, sein Wunsch nach gegenseitiger Liebe, nach Einheit unter allen Menschen begeisterten sie, und sie gaben alles daran, sie in die Tat umzusetzen.

Trient, Piazza Cappuccini: Wohnung der ersten Fokolargemeinschaft

Vor der kleinen Kirche Santa Chiara hatte Duccia Calderari Chiara Lubich ein Paar Schuhe Größe 42 für einen mittellosen Herrn überreicht, kaum dass diese Gott darum gebeten hatte. Die Villa Calderari, ihr Elternhaus gleich in der Nähe des ersten Fokolars in der Piazza Cappuccini, beherbergt heute zwei Fokolar-Gemeinschaften: ein Ort der Begegnung, in dem uns die Fokolare von Trient herzlich mit Panettone und Getränken empfängt. Am Abend in unserem Hotel, der Tagungsstätte der Fokolar-Bewegung in Cadine, erzählt uns Chiara Mocellin, wie sie und ihre Eltern die ersten Fokolarinnen und Fokolare erlebt haben.

Der kleine Ort Tonadico in den Dolomiten
Foto: (c) European Mariapolis

Luciano begleitet uns auch am folgenden Tag im Bus nach Tonadico. Frisch und klar wirkt die Bergluft. In den kleinen Ort in den Dolomiten hatten sich Chiara Lubich und ihre Gefährtinnen und Gefährten im Sommer 1949 zurückgezogen, um aufzutanken. Zeitweilig stieß der italienische Schriftsteller und Parlamentsabgeordnete Igino Giordani dazu. Im Gespräch mit ihm begann für Chiara Lubich und ihre kleine Gemeinschaft eine unvergessliche Erfahrung: Nach und nach erschlossen sich ihnen Gott, als Dreieiner, Dreifaltiger, Jesus, der Heilige Geist, die Gottesmutter Maria, die Schöpfung, die göttliche Sicht auf den Menschen und seine Beziehungen, die Leidens- und Auferstehungsgeschichte von Jesus. Luciano vermittelt uns lebensnah, dass es eine Zeit voller Licht gewesen sein muss – und doch zugleich ganz alltäglich. In Tonadico und dem benachbarte Fiera di Primiero kamen in den folgenden Jahren in der Sommerzeit immer mehr Menschen zusammen. Kleine „Städtchen auf Zeit“ entstanden, die „Mariapoli“ genannt wurden, „Stadt Mariens“. In den späteren 1950er-Jahren verbrachten Tausende Menschen aus immer mehr Nationen ihre Ferien dort. Schließlich waren es so viele, dass man nach 1959 diese Begegnungen in verschiedenen Ländern stattfinden ließ. Unser Besuch in den Dolomiten endet in einem Restaurant mit lokalen Spezialitäten.

Loppiano: im Weinkeller der Kooperative

Loppiano in der Toskana, die erste Modell-Siedlung der Fokolar-Bewegung, 1968 eingeweiht. Von unserem Hotel in Incisa Valdarno, einem ehemaligen Weingut, kämpft sich unser Bus eine steile Straße hinauf, bis wir bei der modernen Kirche Maria Theotókos ankommen, die wir uns später auch genauer anschauen. Rita Stegmann, eine Fokolarin aus Deutschland, empfängt uns. Ein kurzes Video führt uns in die Geschichte von Loppiano, die Vielfalt und das Leben ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ein. Einige von ihnen erzählen, was sie in der Siedlung erleben: unter den Familien, den Jugendlichen, im Universitätsinstitut Sophia. Im Weinkeller der 1973 gegründeten „Cooperativa Loppiano Prima“ erfahren wir Einzelheiten über biologischen Weinanbau, Reifung, Lagerung sowie die verschiedenen Sorten Wein, Sekt und Grappa. Und einige davon können wir bei toskanischem Gebäck, Salami, Schinken und Käse verkosten, bevor ein kräftiges Gewitter aufzieht. Es ist mit ein Grund dafür, dass anschließend die meisten von uns in der Bottega des Künstlers Ciro und nur eine Handvoll bei der internationalen Band Gen Rosso landen.

In der Bottega des Künstlers Ciro
Foto: (c) Gabriele Hartl

Roberto Cipollone, genannt Ciro, lässt sich von alten, aussortierten Materialien inspirieren, bearbeitet sie oder stellt sie kreativ zusammen und haucht ihnen so neues Leben ein. Aus einer alten Hacke wird ein Mönch, aus Metallstücken ein Kranich oder eine Eule, aus Holzteilen ein Schiff. Seine Fantasie scheint unerschöpflich. In seiner Bottega lagern Unmengen Holz und Metall, Plastik, Nägel und Schrauben, Seile und Werkzeuge. Alles ist vollgestellt bis in den letzten Winkel und wartet auf eine neue Bestimmung. Unterdessen hat die kleine Gruppe bei Gen Rosso zwei Mitglieder der Band ganz für sich. So kommt es nicht nur zu einem Mini-Konzert mit Gitarre und Gesang, sondern auch zu einem sehr persönlichen Gespräch: eine tiefe Begegnung, die die Herzen berührt! Nach einem Besuch in der Kunstkeramikwerkstatt “Centro Ave“ und der Schneiderei „Gigli del Campo“ feiern wir einen Gottesdienst in der Pfarrkirche San Vito und machen noch einen Abstecher auf den Friedhof, auf dem Bewohner von Loppiano, Personen mit beeindruckenden Lebensgeschichten aus aller Welt, ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Loppiano hat sich uns als weitläufige Siedlung auf den Hügeln der Toskana gezeigt, in der Menschen unterschiedlichen Alters ihren Alltag aus der Spiritualität der Einheit gestalten – als gemeinschaftliches Leben mit Gott. Wir haben erlebt, dass daraus intensive Beziehungen entstehen, und etwas von der Gegenwart Gottes gespürt.

Kathedrale von Arezzo

Arezzo liegt achtzig Kilometer südöstlich von Florenz; von Loppiano sind es etwa fünfzig. Die mittelalterliche Stadt hat keinen Bezug zur Entstehungsgeschichte der Fokolar-Bewegung, veranschaulicht uns aber mit ihren Stadtmauern, Kaufherrenpalästen, Patrizierhäusern und Kirchen einen bedeutenden Teil der Geschichte und Kultur Italiens. Sie ist etruskischen Ursprungs und hatte im 13. Jahrhundert ihre Blütezeit, bevor sie unter den florentinischen Medici verfiel. Manufakturen stellten italische Terra Sigillata her – eine Tafelkeramik. Goldschmiede fertigten kosbare Gebrauchsgegenstände und Schmuck an. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts kam es zu Kämpfen zwischen Volk und Adelsgeschlechtern; Arezzo war damals eine der wenigen Städte, die kaisertreu – also gegen die päpstliche Macht – eingestellt waren. In der Kathedrale Santi Pietro e Donato, einer dreischiffigen Basilika, sind Kunstschätze verschiedener Epochen zu bewundern. Unweit davon steht das Geburtshaus des Dichters und Humanisten Petrarca. Die Piazza Grande mit dem Palazzo delle Logge und dem Palast der Laienbruderschaft sowie der romanischen Kirche Santa Maria della Pieve macht seinem Namen alle Ehre: Der Platz ist von beeindruckender Größe.

Wallfahrtsort Loreto: im Gespräch mit Joachim Schwind
Foto: (c) Gisela Kanand

Unsere nächste Etappe führt uns an Perugia und Assisi vorbei, die wir von der Autobahn aus sehen können, nach Loreto an der Adria, nach Rom dem bedeutendsten Wallfahrtsort Italiens. Hierher soll das „Haus von Nazareth“ aus dem Heiligen Land verschleppt worden sein, in dem einst der Zimmermann Josef mit Maria und dem kleinen Jesus gewohnt haben sollen. Das kleine Gebäude befindet sich in der großen Wallfahrtsbasilika. 1939 hatte auch die 1920 geborene Chiara Lubich an einer Pilgerfahrt von Trient nach Loreto teilgenommen. Wie uns Joachim Schwind nahebringt, bewegte die Vorstellung, dass sich zwischen diesen Wänden das Leben der Familie von Nazareth mit dem Gottessohn abgespielt hat, Chiara nachhaltig. Dieses Erlebnis inspirierte sie später zur Idee der Fokolar-Gemeinschaften, die verheiratete und unverheiratete Menschen, die sich Gott geweiht haben, in dem Bemühen vereint, so in einer gegenseitigen Liebe miteinander umzugehen, dass Jesus in ihrer Mitte erfahrbar wird. Joachim Schwind, ehemals Chefredakteur der NEUEN STADT und Verlagsleiter, war eigens aus der Nähe von Rom angereist, wo er am Zentrum der Fokolar-Bewegung als Berater für den Bereich Kommunikationsmittel arbeitet.

Mosaiken in San Vitale, Ravenna

Ravenna zeigt sich uns von der Regenseite: Zeitweilig schüttet es in der Stadt, in der der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri starb, wie aus Kübeln. Ravenna soll schon Jahrhunderte vor Christus von Umbrern und Etruskern besiedelt gewesen sein und erhielt 88 vor Christus römisches Bürgerrecht. 402 verlegte der weströmische Kaiser seinen Hof nach Ravenna, ab 476 herrschte hier der Germane Odoaka als König von Italien, 493 der Ostgotenherrscher Theoderich; ab Mitte des sechsten Jahrhunderts war Ravenna Vorposten des Oströmischen Reiches in Italien. Die reiche und wechselvolle Geschichte der Stadt setzt sich über das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein fort. Wir wundern uns, dass bei der Stadtführung die Besichtigung der berühmten Mosaiken nicht vorgesehen sind. Aber die aus Hamburg stammende Stadtführerin geht gern auf unsere Wünsche ein, und so kommen wir doch noch dazu, die großflächigen Mosaiken in San Vitale und im Mausoleum der Galla Placidia zu bestaunen. Galla Placidia regierte im fünften Jahrhundert das Weströmische Reich wie eine Kaiserin. Die Kirche San Vitale aus dem sechsten Jahrhundert ist eine der bedeutendsten Kirchenbauten der spätantik-frühbyzantinischen Zeit und Teil des UNESCO-Welterbes der Stadt. Die Mosaiken stellen Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament sowie kirchliche Persönlichkeiten und Herrscher dar – Männer und Frauen. Was überrascht und ihre Pracht ausmacht, ist die Fülle an Mosaiken und dass sich ihre Farbigkeit und Lebendigkeit über so viele Jahrhunderte erhalten hat.

Am Abend erreichen wir unser Hotel in Garda, von dem aus es am nächsten Tag wieder nach München geht. Ein letztes Mal auf unserer Fahrt haben wir Gelegenheit, mit Hubertus Böttcher, Fokolar-Priester aus Hagen, einen Gottesdienst zu feiern. Burgi Mitterreiter begleitet unseren Gesang mit ihrer Gitarre. Es gibt viele Gründe zu danken. Eine Fahrt geht zu Ende, in der wie bei vielen NEUE STADT-Reisen die Gemeinschaft unter den Mitfahrenden gewachsen ist und stark spürbar war. Stärker als bei anderen Reisen jedoch war diese – vor allem durch die Begegnungen in Trient und Loppiano – für viele ein Anstoß für ihr persönliches Leben mit Gott: ein Auftanken, eine Kraftquelle, um gestärkt und frischen Mutes in den Alltag zurückzukehren.
Clemens Behr

Ziel der Neue Stadt-Reise 2025 wird in der ersten Märzhälfte die Mittelmeer-Insel Malta sein.
Weitere Infos dazu in der Zeitschrift NEUE STADT oder per E-Mail über Gabriele Hartl.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Möchten Sie mehr von uns lesen? Dann können Sie hier das Magazin NEUE STADT abonnieren oder ein kostenloses Probe-Heft anfordern.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München
Ihre Meinung interessiert uns: Schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.