18. Januar 2013

Gegen das Schweigen

Von nst1

An: Teresa Enke, Witwe des deutschen Nationaltorhüters Robert Enke

Sehr geehrte, liebe Frau Enke,

Sie sind kein Mensch, der die Öffentlichkeit sucht. Vielleicht wäre Ihnen manchmal sogar nach mehr Rückzug zumute. Aber Sie stellen sich auch der Presse, wie kürzlich rund um den Jahrestag vom Tod Ihres Mannes. Man kann nur erahnen, was das in Ihnen auslöst: Wenn schon uns die Erinnerungen an jenen tragischen 11. November 2009 unter die Haut gehen, wie viel mehr wohl Ihnen! Ob wir Ihnen deshalb mit diesem Brief einen Gefallen tun?
Aber auf eine Aussage in einem Ihrer Interviews müssen wir reagieren:

„Etwas Positives werde ich seinem Tod nie abgewinnen können. Ich kann nur versuchen, das Negative in etwas Positives zu wandeln. Sein Tod bedeutet eine Chance, anderen zu helfen.“ – Das, liebe Frau Enke, ist stark und verdient unsere Hochachtung!

Dass Sie ein starke Frau sind, konnten wir schon kurz nach der Verzweiflungstat Ihres Mannes in einer Pressekonferenz spüren. „Die Zeit war nicht einfach, aber wir haben sie zusammen durchgestanden“, sagten Sie damals über die Phasen akuter Depression, die Ihren Mann in den Tod getrieben hatten. Nur, wer ein Wegstück an der Seite eines psychisch kranken Menschen zurückgelegt hat, kann ahnen, was Ihnen diese heimtückische Krankheit bis dahin schon abverlangt hatte.

Und: „Wir dachten, wir schaffen es. Aber man schafft das nicht allein!“ – Was wie Resignation klingen könnte, erwies sich als Ihre ganz persönliche Kampfansage: Seitdem setzen Sie sich unermüdlich dafür ein, das Schweigen um diese gemeine Krankheit zu durchbrechen – im Spitzensport, aber auch in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft.
Deshalb haben Sie sich auch nicht zurückgezogen, sondern schon im Frühjahr 2010 den Vorstandsvorsitz in der Robert-Enke-Stiftung übernommen, die vom Deutschen Fußball-Bund, der Bundesliga und „Hannover 96“ ins Leben gerufen worden war. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu Aufklärung, Erforschung und Behandlung der Krankheit beizutragen und unterstützt Projekte wie die Initiative „mental gestärkt“ für psychische Gesundheit im Leistungsport oder eine anonyme Hotline für Spitzensportler.
Sie nutzen Ihre Prominenz nicht für sich, sondern dafür, anderen zu helfen. Wie im November, als sich in kürzester Zeit über „facebook“ 43 000 Nutzer Ihrem Appell „ROBERT gedENKEn“ anschlossen und so ein deutliches Zeichen für die Enttabuisierung der Depression gesetzt haben.
Manche meinen, der Tod Ihres Mannes habe die Fußballwelt nur kurz aus dem Trott gerissen; bald schon sei es wieder nur um Ablösesummen und Trainerentlassungen gegangen. Andere, wie der Sportpsychiater Frank Schneider sehen aber auch Anzeichen für Veränderungen: Psychisch kranke Spitzensportler suchen eher Hilfe als früher.
Der Kampf gegen die Krankheit Depression ist langwierig und braucht viele Kämpfer. Nur wenn jede und jeder von uns an dem Platz, an dem wir stehen, das tut, was möglich ist, wird sich etwas ändern: den Druck mindern, der unsere Gesellschaft in weiten Bereichen bestimmt; Signale der Not aufgreifen, registrieren und helfen; Mauern des Schweigens einreißen, wenn Hilfe nötig ist. Danke für Ihren Einsatz und den Ansporn, „das Negative in etwas Positives zu wandeln“!

Mit freundlichen Grüßen

Gabi Ballweg
Redaktion Neue Stadt

Unser offener Brief wendet sich an Teresa Enke, Witwe des ehemaligen deutschen Nationaltorwarts und Fußballprofis Robert Enke. Er litt über mehrere Jahre an Depressionen. Am 10. November 2009 nahm Robert Enke sich das Leben. Teresa Enke kämpft seitdem für eine Enttabuisierung der Krankheit vor allem im Spitzensport und ist Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung, die sich dieser Aufgabe widmet.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2012)
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