18. Januar 2013

Dass es allen gut geht!

Von nst1

Samuel Sucher arbeitet als Gourmetkoch auf einem Schiff. Dabei geht es ihm nicht nur um gutes Essen für seine Gäste.

Man stelle sich vor: eine Kreuzfahrt! Sich verwöhnen lassen, genießen und faul sein, ferne Länder sehen, Sonne tanken und ein Hauch von Luxus. „So soll das für den Gast auch sein“, bestätigt Samuel Sucher entschieden dieses spontane Bild. Und damit es so ist, sind auf der „Aida“, dem Schiff für 2500 Passagiere, auf dem der 22-Jährige derzeit als Koch arbeitet, fast 630 Personen in Einsatz.
Samuel Sucher erzählt lässig von seinem Arbeitstag. So, als wäre er in einer Küche um die Ecke, zugegeben nicht gerade in einem Schnellimbiss, aber man hört auch nicht sofort heraus, dass er „Postenchef“, „Chef de Partie“ wie das im Küchenjargon heißt, in einem Gourmetrestaurant ist. Zusammen mit drei anderen Kollegen verwöhnt er dort täglich bis zu 70 Gäste mit einem erlesenen 6-Gänge-Menü; manchmal sogar mit bis zu elf Gängen. Alternativ können die Gäste auch „à la carte“ wählen, und „dass man da nicht nur wie zuhause Nudeln macht“, versteht sich.

Im Moment ist Samuel Sucher auf Urlaub, sechs Wochen, nachdem er zuvor sechs Monate lang täglich im Einsatz war; auf einer Tour im Mittelmeer, die im 10-Tages-Rhythmus immer dieselben Häfen ansteuerte. Gesehen hat er davon wenig, bei einem 10- bis 12-Stunden-Tag bleibt nicht viel Freizeit. „Aber man muss sich einen Ausgleich schaffen“, erzählt Samuel nüchtern und nennt neben gelegentlichen Hafengängen Sport und mal ein Bier mit Freunden, „sonst geht das nicht!“
Es ist schon eine eigene Welt auf so einem Kreuzfahrtschiff. Auf engem Raum, stammen die Menschen im Hintergrund aus 23 Nationen; darunter viele Deutsche, wenige aus anderen europäischen Ländern, viele Asiaten. „Wir sind international und interkulturell!“, erklärt Samuel. „Das ist in der Gastronomie so!“ Und damit meint er nicht nur die Internationalität, sondern auch die Arbeitsstunden und den Rhythmus. Ein wenig braucht er das scheinbar auch. „Wenn der Druck am größten wird, dann wirst du plötzlich ganz ruhig und konzentriert“, hat man ihm schon bei seiner Ausbildung in einer deutschen Hotelküche bescheinigt. Und das hat er auch auf seinen bisherigen Stationen in Frankreich, „wo ich das Kochen lieben lernte“, und in einer Brasserie in Schottland erlebt.
Auch wenn Samuel sagt, dass er nach dem 15-Stunden-Tag in Schottland, „wo man lernt, dass es Grenzen gibt, die man nicht überschreiten kann“, im Moment „ein leichtes Leben“ hat und das Gourmetrestaurant auf dem Schiff erst abends öffnet, beginnt sein Arbeitstag morgens um 8 Uhr mit der Teambesprechung. Da legen sie fest, wie sie das Tagesmenü angehen. Und dann geht es ans Vorbereiten: „Wenn man das dann richtig aufstellt, geht’s am Abend easy; wenn nicht, wird’s stressig.“ Mehr als fünf Minuten sollte es nicht dauern, bis man die einzelnen Menü-Komponenten schicken kann. Jeder der drei „Chefs de partie“ ist für einen Bereich zuständig, Samuel zuletzt meist für die warmen Beilagen und Suppen. Unterstützt werden sie von zwei Küchenhilfen, die zukochen, und einem, der spült.

Vier Deutsche, zwei Filipinos und ein Inder. „Wie eine große Familie“, beschreibt der Koch das Leben in der Gastronomie. Man findet sich schnell, und nur wenn man miteinander arbeitet, ist es für alle machbar. „Sonst kracht’s ständig, und dann ist keiner länger als zwei bis drei Monate da.“ Das gilt auch für die asiatischen Küchenhilfen. „Stellst du dich gut mit ihnen, stellen die sich gut mir dir!“ Außerdem, so Samuel, sind die „in vielen Kleinarbeiten schneller und geschickter, als ich das wahrscheinlich je sein werde.“ Schon allein deshalb ist es sinnvoll, dass jeder das macht, was er am besten kann.
Für Samuel gibt es dafür aber auch noch einen anderen Grund: seinen Glauben. „Christsein heißt für mich nicht in erster Linie, sonntags in die Kirche gehen.“ Was in den sechs Monaten auf dem Schiff sowieso nicht möglich war. „Es heißt, da zu leben, wo Gott mich hinstellt.“ Ganz konkret. Durch den Einsatz für ein gutes Miteinander und mit dem Blick darauf, „dass es nicht nur mir gut geht, sondern auch dem anderen.“ Samuel erzählt einfach und fast wie nebenher, was das für ihn bedeutet: dem zuhören, der gerade ein Gespräch braucht – egal ob nachts um elf, wenn er eigentlich schon todmüde ist, oder nach einem gemeinsamen Bier um zwei Uhr morgens; still und zurückhaltend sein bei manchen Aktivitäten und Sprüchen, „die da so laufen“; trotzdem da sein und hilfsbereit, auch wenn man vorher vom anderen eine reingewürgt bekam; einspringen, wenn’s eng wird für den anderen. Beispielsweise als sie „short“ fuhren, also einer in der Küchencrew fehlte. „Da habe ich probiert, nicht nur darauf zu schauen, dass ich meines schaffe, sondern auch immer wieder den anderen geholfen, auch wenn das dann fast zu viel wurde.“ Dieses in seiner Position untypische Verhalten bemerken auch andere. Beispielsweise der indische Kollege, der ihn ansprach: „Du glaubst, oder?“ Als Samuel bejahte, fuhr der fort: „Und ich dachte schon, es gibt keine Europäer mehr, die glauben!“
Bisher hat Samuel selten Gleichgesinnte in seiner Sparte gefunden. Und: „Das Schiffsleben ist schon sehr speziell!“ „One-Night-Stands“ etwa, ständig wechselnde Bettgeschichten, sind an der Tagesordnung – „und wenn du da nicht mitmachst, wirst du schräg angeredet.“ Auch das hat Samuel erlebt. Und dann? „Dann musst du dich halt hinstellen und Farbe bekennen!“ Die Antwort kommt sicher, selbstverständlich! Aber dass diese Sicherheit einen Rückhalt braucht, weiß Samuel genauso gut. Deshalb ist es für ihn eine „Notwendigkeit, mich jeden Abend noch mal kurz hinzusetzen, in der Bibel zu lesen oder in einem Meditationsbuch. Sonst fehlt über kurz oder lang die Verankerung!“ Allein würde man nicht lange durchhalten.

Trotzdem kennt Samuel auch andere Momente: „Manchmal fragt man sich dann schon, ob es ohne Glaube nicht viel einfacher wäre.“ Bisher kam Samuel immer wieder zu der Überzeugung, dass es für ihn ohne nicht gehen würde und dass es ihm die Werte, die durch den Glauben gelebt werden, trotzdem wert sind: das Miteinander, die Einheit, die Gemeinschaftlichkeit. Und vielleicht, so Samuel ein wenig nachdenklich, „stellt mich Gott auch einfach da hin, damit der eine oder andere merkt, dass es in Europa doch noch Leute gibt, die glauben und dass Leute, die auf der Suche sind, jemanden finden, mit dem sie reden können.“

Anfang Dezember steigt Samuel wieder auf sein Schiff auf. Dann geht es drei Monate in die Kanaren und anschließend zwei Monate in die Ostsee. Was danach für ihn ansteht, das weiß der junge Gourmetkoch noch nicht. Reizen würde ihn die Arbeit in höheren Positionen, damit er auch das Organisatorische  besser kennenlernt. „Aber das wird sich zeigen!“ Auch, ob es auf dem Schiff weitergeht. Er weiß aber jetzt schon, dass es nach vier, fünf Monaten wieder etwas in ihm geben wird, das ihn zurückzieht – zu seiner Familie, den Freunden – und dass er dagegen dann vehement ankämpfen muss, „aber bisher macht’s einfach noch sehr viel Spaß!“
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2012)
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