20. Januar 2013

Starthilfe ins Berufsleben

Von nst1

In München haben jährlich 80 Jugendliche die Chance, auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz ein halbes Jahr lang gefördert zu werden. Mitten in Schwabing treffen sie sich jeden Tag in den Räumen der Initiative „Joblinge“ und nutzen ein breites Angebot an Schulungen und Workshops.

Lina ist heut spät dran, es gab Ärger mit der S-Bahn. „Aber der Weltuntergang ist fast fertig“, verkündet sie strahlend, als sie den Computerraum der „Joblinge“ betritt. Lina gehört zu 30 Jugendlichen, die am ersten Oktober im Projekt Joblinge gestartet sind. Die Initiative bietet Jugendlichen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz Förderung, Schulung und professionelle Begleitung.
Lina Dick hat sich mit 10 ihrer Kollegen für einen Crash-Kurs in Journalismus entschieden. In den letzten vier Wochen ist die 22-Jährige dafür unter anderem zur Spezialistin für das Thema Weltuntergang geworden, hat recherchiert zum bevorstehenden Ende des Maya-Kalenders, der angeblich das Ende der Welt für den 21. Dezember dieses Jahres prophezeit. Jetzt surft sie in Bilderdatenbanken im Internet, um dazu noch passende Fotos zu finden. Ihr Fernziel ist ein Jurastudium; mit der Hilfe der „Joblinge“ möchte sie zunächst den Einstieg in eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte schaffen.

Am Computer neben ihr feilt Christian Gschwendner an seinem Artikel über Spielsucht. Der 20-Jährige würde gern Physik studieren und hat sein Nahziel zunächst einmal auf eine Ausbildung zum Chemie- oder Physik-Laboranten festgelegt. Warum er über Spielsucht schreibt? Ein Grinsen huscht über sein Gesicht: „Da kenn ich mich aus! Und jetzt hab ich viel nachgelesen, woran man erkennt, ob jemand schon wirklich abhängig ist und was man dagegen tun kann. Da gibt’s Material ohne Ende, wir haben den Artikel schon dreimal gekürzt und müssen nochmal ran, haben nur zwei Seiten Platz.“
Die Zeitungsgruppe hat die Aufgabe, in zwei Monaten eine eigene Zeitung zu machen, die „Join“ mit 28 Seiten. Die jungen Leute wählen die Themen, lernen, wie man sie interessant aufbereitet und ein Text gut lesbar wird. Sie ziehen los für Interviews und Recherchen und müssen Zeitvorgaben einhalten, ihre Arbeitsschritte selbst einteilen und Termine organisieren.
In der Mitte des Raums steht eine Pinnwand mit 28 weißen Seiten, auf denen Titel und Autoren der geplanten Artikel stehen. Lina gehört zu den ersten, die ihren fertigen Artikel gegen die weißen Seiten austauschen kann. „Ein solches Erfolgserlebnis ist enorm wichtig und eine Art Etappensieg innerhalb unserer Arbeit“, erklärt Projektleiterin Anja Reinhard.

Die gemeinnützige Joblinge AG erarbeitet in einem intensiven Prozess die individuellen Stärken und Fähigkeiten jedes Jugendlichen und findet heraus, wo es bisher gehakt hat, denn alle, die hier gefördert werden, haben schon eine lange Odyssee an vergeblichen Bewerbungsversuchen hinter sich.

Anja Reinhard ist vom Konzept der Projektarbeit überzeugt: „Im gemeinsamen Arbeiten lernen wir die Jugendlichen sehr gut kennen und können schnell einschätzen, wo ihr Potential liegt. Der nächste Schritt ist die Vermittlung eines Praktikums. Da arbeiten wir inzwischen mit einem großen Netzwerk an Unternehmen aus dem Groß- und Einzelhandel, aber auch aus dem Dienstleistungs- oder Verwaltungssektor. Idealerweise ist das ein Unternehmen, das der Jugendliche vorher identifiziert hat als Plan A, B oder C seiner Wunschliste. Die Jugendlichen müssen sich für dieses Praktikum bewerben. Natürlich geht nicht jeder Wunsch in Erfüllung.“

Immer mehr Unternehmen lassen sich auf diese durchaus arbeitsintensive Kooperation mit den Joblingen ein und lernen dadurch Jugendliche kennen, die sich ihren Ausbildungsplatz zum Teil mühsam erarbeitet haben. Nicht jeder kann mit einem Traumzeugnis aufwarten; manch einer hatte nie gelernt, was es an Startkompetenzen in der Arbeitswelt braucht. Die Joblinge gAG arbeitet bewusst nach ähnlichen Regeln wie eine Firma: Es gelten feste Arbeits- und Pausenzeiten, eine gewisse Kleider- und Verhaltensordnung, Tages- und Wochenziele werden festgesteckt, über die jeder Jugendliche regelmäßig Rechenschaft ablegen muss.

Lina und Christian sind froh, so professionelle Unterstützung zu bekommen. Für sie ist das durchstrukturierte Gerüst eine Hilfe: „Ich hab schon viel versucht, hab zwei Praktika hinter mir, aber es hat nie zur Ausbildung gereicht. Jetzt hoffe ich, dass ich hier endlich den Einstieg finde“, sagt Lina, und Christian fügt hinzu: „Es ist schon toll, was wir hier geboten bekommen. Wir können Kurse belegen und bekommen viele Schulungen – ich hoffe, damit habe ich dann bessere Chancen.“

60 Prozent der Jugendlichen, die bei den Joblingen beginnen, werden erfolgreich in eine Ausbildung vermittelt; eine überdurchschnittlich gute Quote. Noch ist die Initiative in der Startphase, die Münchner gehören mit dreieinhalb Jahren zu den Pilotstandorten und nehmen jedes Jahr 80 Jugendliche auf. Die sieben Mitarbeiter bringen ganz unterschiedliche Qualifikationen mit: Es gibt Sozialpädagogen und ehemalige Personalverantwortliche, einer hat vorher ein Münchner Jugendzentrum geleitet. Was sie verbindet, ist die Leidenschaft für die Förderung Jugendlicher. „Ich war früher in der Personalleitung einer Bank und wollte etwas machen, auf das ich abends stolz sein kann. Jetzt geh ich zwar oft todmüde nach Hause, habe aber den Eindruck: Ich hab was Sinnvolles getan, habe etwas bewegt und das Leben eines Menschen positiv verändert“, zieht Anja Reinhard Bilanz.

Dieselben Gründe bewegen Menschen, sich im Mentorenprogramm der Joblinge zu engagieren: Jeder Jugendliche wird von einem berufstätigen Erwachsenen begleitet, der ihn in praktischen, aber auch persönlichen und sozialen Fragen betreut. Projektleiterin Reinhard freut sich über das hohe ehrenamtliche Engagement: „Das ist für fast alle eine außergewöhnliche und neue Erfahrung: Ein Erwachsener, nicht selten aus den Führungsetagen unserer Kooperationspartner, kümmert sich persönlich und mit echtem Interesse um ihn oder sie, hilft beim Formulieren von Bewerbungsschreiben, nimmt aber auch mal Kontakt mit den Eltern auf oder vermittelt in einem schwierigem sozialen Umfeld.“

Für die Beteiligten hat sich die Mentorenarbeit zu einer klassischen „Win-Win-Situation“ entwickelt: Beide Seiten bezeichnen sie als Bereicherung, von der sie profitieren.

Finanziert wird die Joblinge gAG in München zu rund 70 Prozent durch die Agentur für Arbeit und die Jobcenter, die auch Kandidaten für das Angebot vorschlagen. Auch der Europäische Sozialfond ESF übernimmt einen Kostenanteil. Den Rest müssen Spender decken: Meist sind das Firmen, die sich im Rahmen einer Kooperation auch finanziell für die Arbeit der Joblinge einbringen.
Die Projekte der einzelnen Joblinge-Standorte sind sehr unterschiedlich: Die Münchner haben mit der eigenen, regelmäßig erscheinenden Zeitung ihrem Image bei den Kooperationspartnern ein Gesicht gegeben. Die Berliner haben sich gerade mit dem Musicalprojekt „Stark ohne Gewalt“ in Kooperation mit dem Bildungspartner „Starkmacher e.V.“ positiv präsentiert. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist immer ein überzeugendes Argument auf der Suche nach neuen Kooperationspartnern und für die Jugendlichen eine gute Visitenkarte bei zukünftigen Vorstellungsgesprächen.

Christian und Lina haben jetzt erst einmal Mittagspause. Drei Stunden haben sie über ihren Artikeln gebrütet und müssen sich die verbleibenden Tage gut einteilen, um zumRedaktionsschluss alles fertig zu bekommen. „Durchhalten ist nicht wirklich mein Thema“, stöhnt Christian, „daran hat’s schon immer gehapert. Aber die Zeitung wollen wir fertig bekommen, ich hab noch zwei Artikel auf dem Programm, das schaffen wir!“ Auch Lina ist optimistisch: „Ich tu mich sonst schwer, mit anderen zusammenzuarbeiten, offen zu sein. Aber genau das lerne ich hier, weil wir die Artikel eigentlich immer im Team schreiben sollen.“ Unter den Jungredakteuren ist spürbar der Arbeitseifer entbrannt, der Countdown läuft bis zur Abschlusspräsentation vor Firmen und Förderern. Und die fertige Zeitung ist dann eine lohnende Ergänzung der Bewerbungsmappe.
Andrea Fleming

Was sind „Joblinge“?
Rund 250 000 junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren sind in Deutschland jährlich arbeitslos. Weitere 325 000 werden im staatlichen Übergangssystem auf eine Berufsausbildung vorbereitet. „Joblinge“ ist eine gemeinnützige Initiative der Unternehmensberatung „The Boston Consulting Group“ und der „Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG“ für junge Menschen, die Anschluss an die Arbeitswelt suchen. Sie hat seit ihrer Gründung im Jahr 2007 etwa 850 Jugendliche unterstützt und davon 60 Prozent in reguläre Ausbildungen vermittelt. Mehr als 90 Prozent sind nach zwölf Monaten noch am Ausbildungsplatz. Es gibt sechs Standorte: Deggendorf, München, Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Leipzig. www.joblinge.de

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2012)
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