21. Oktober 2013

Dem Feuer auf der Spur

Von nst1

Wofür will ich mein Leben einsetzen? Die Frage nach dem Sinn seines Lebens hat Johannes Pfeiffer, 26, ins Fokolar geführt.

„Als Kind wollte ich Bauer werden.“ Er fühlte sich wohl draußen und war gern im Garten, erklärt Johannes Pfeiffer aus Kaiserslautern im Rückblick. Als er später in der 9., 10. Klasse Referate hielt, konnten ihm seine Klassenkameraden gut folgen: „Ich hab gemerkt, dass es mir liegt, ihnen was zu vermitteln.“ Vielleicht ein Talent? „Von da an war mein Berufswunsch Lehrer.“
Früher, meint Johannes, war er ziemlich schüchtern, schweigsam, mit wenig Selbstvertrauen. „Schon zu Grundschulzeiten ging ich in die Musikschule.“ Das Singen begeisterte ihn! Von klein auf kannte er die Fokolar-Bewegung, zu der seine Familie gehört, und fühlte sich in ihr zuhause.

Unter Gleichaltrigen und Gleichgesinnten vergaß er seine Schüchternheit.

Als er in der Schule von der geistlichen Bewegung erzählte, erntete er Gespött: Der fremde Namen klang ähnlich wie „Vokuhila“, die Abkürzung für „vorne kurz, hinten lang“, einen Männer-Haarschnitt, der in den 80er Jahren Mode war. Sie zogen ihn damit auf. Er empfand sich als Außenseiter.
Erst mit 14, 15 begann sich das Blatt zu wenden. „Ich hab viel Sport getrieben, Fußball gespielt, Tischtennis, Handball.“ Mit 16 sang Johannes in einer Rockband. „Als uns ein Gitarrist fehlte, meinten die anderen: ‚Du hast doch die Hände frei!’ Da habe ich angefangen, mir Gitarre beizubringen.“ Viele Kontakte entstanden; Johannes verstand sich mit ganz unterschiedlichen Typen: „Ich hatte Freunde in der Heavy-Metal- und der Rock-Gothic-Szene, unter Hiphoppern, Poppern, und hab gemerkt, dass ich mit allen eine Ebene finde, auf der wir uns treffen können.“
Trotzdem war Johannes seine Selbstzweifel nicht los. 2005 bat man ihn, zum Weltjugendtag in Köln bei einer Band der Fokolar-Bewegung mitzusingen. „Die anderen waren älter, deutlich professioneller, vermittelten mir aber das Gefühl, nicht schlechter oder kleiner zu sein als sie.“ Vor 3000 Leuten sollte er singen, den Hauptteil eines Songs, den er selbst vorgeschlagen hatte. Die Gemeinschaft in der Band gab ihm Sicherheit, dass er auch vor einem so großen Publikum seine Schüchternheit überwinden kann, und er freute sich auf den Auftritt.

„Kurz davor kam ein Sänger zu mir, der nur zwei Zeilen singen musste. Er sagte, er würde die Melodie nicht hinkriegen, und wollte mit mir tauschen. Als Frucht der Beziehung, die wir aufgebaut haben, konnte ich leichten Herzens sagen: Kein Problem! Für mich zählte, dass beim Publikum ankommt, wie wir leben, wie wir zusammen Musik machen.“ Der Song bekam spontanen Zwischenapplaus. „In dem Moment habe ich mich riesig beschenkt gefühlt. Später habe ich gemerkt, dass das für mich ein Wendepunkt war: Dass Gott mich liebt, hatte ich oft gehört. Aber da habe ich es hautnah erlebt!“

Was will ich aus meinem Leben machen?

Wofür will ich es einsetzen? Fragen, die in Johannes aufstiegen. Würde er später eine Familie gründen? Sollte er Priester werden? Auch als Unverheirateter in einer Fokolar-Gemeinschaft mitzuleben, schloss er nicht aus: „Die Fokolare setzen sich für eine geeinte Welt ein; das hat mich fasziniert. Auch die Radikalität, ganz für Gott zu leben, alles zu geben, den Weg nicht allein zu gehen, sondern in Gemeinschaft. Dieses Feuer, das ich im Fokolar erlebt hatte, die spürbare Gegenwart von Jesus in der Mitte, hat eine entscheidende Rolle gespielt.“

Als Johannes zu einer Begegnung nach Rom eingeladen wurde, wo es um das Thema Berufung ging, fuhr er gern mit.

Unter Altersgenossen aus aller Welt, die sich ähnliche Fragen stellten, berührte ihn vieles, was er dort hörte, tief. Besonders ein Satz der Fokolar-Gründerin Chiara Lubich ging ihm nach: Du hast nur ein Leben – setze es gut ein!
Das Abitur in der Tasche, machte sich Johannes für ein Jahr auf nach O´Higgins in Argentinien. Im Zusammenleben mit südamerikanischen Jugendlichen wurde für ihn Gott besonders stark erfahrbar, trotz oder gerade wegen der sprachlichen Probleme zu Beginn und obwohl oder gerade weil ihm seine Schwächen neu deutlich wurden. Andererseits stellte er bei sich auch viele positive Veränderungen fest. Aus Dankbarkeit für all das, was Gott in seinem Leben bisher bewirkt hatte, schrieb er ihm, „dass ich ganz für ihn leben will. Und dann hab ich den Brief verbrannt, um ihn symbolisch gen Himmel zu schicken.“
Was sein Versprechen genau heißen sollte, war ihm weniger klar. Er hatte sich in ein Mädchen verliebt, merkte aber, dass sie noch nicht die Frau war, mit der er sein Leben verbringen wollte. In einer Kirche vertraute er Gott seine Nöte an: „Zeig mir die Frau, die du für mich gedacht hast. Als ich die Augen wieder aufmachte, sah ich gegenüber eine Ikone der Madonna von Guadalupe: ein Moment voller Tiefe, Friede, Freude, dieses Angekommensein! Aber als ich aus der Kirche ging, hab ich mich gefragt, was war das jetzt? Keine richtig lebendige Frau und schon über 2000 Jahre alt, was soll das?“

Die Fokolare wollen Jesus in ihre Umgebung bringen, ähnlich wie die Gottesmutter der Welt Jesus gebracht hat. Später fand er darin die Antwort auf seine Frage, was „Maria nachfolgen“ für ihn bedeuten könnte.
Zurück in Deutschland, studierte Johannes in Gießen Religion und Biologie, um Gymnasiallehrer zu werden.  „In Bio ist vielleicht etwas vom Wunschberuf Bauer übriggeblieben“, sagt er mit einem Schmunzeln. Wenn er seinen Kommilitonen etwas von dem Vorhaben preisgab, ohne zu heiraten in einer Gemeinschaft ganz für Gott leben zu wollen, stieß er auf tolerantes Verständnis, „allerdings auf keine große Begeisterung. Viele waren interessiert, sagten, sie fänden mich authentisch. Aber dass der Funke übergesprungen wäre und sie angesteckt hätte, kann ich nicht sagen.“ Kritische Fragen kamen eher zu Kirche und Zölibat, „woraus sehr interessante Gespräche entstanden. Mehrere sagten: ‚Du wärst auch ein toller Papa!’ Das hat mir gut getan, mich überraschenderweise aber auch irgendwie auf meinem Weg bestärkt.“

Im Laufe des Studiums zog er in die Fokolar-Gemeinschaft in Weinheim; sein Entschluss reifte, sich für drei Jahre in Loppiano bei Florenz auf ein Leben als Fokolar vorzubereiten. Nach dem Studienabschluss im Oktober 2011 wechselte er zuvor noch für ein halbes Jahr ins Fokolar nach Stuttgart. „Mir war klar, dass es schwer ist, kurzfristig einen Job zu finden.“ Trotzdem meldete er sich beim Arbeitsamt und schrieb Schulen an, um sich als Aushilfskraft anzubieten. Ein paar Tage drauf klingelte das Handy: Der Direktor einer Privatschule war dran; eine Biolehrerin sei krank geworden und er könne für drei oder vier Monate die Vertretung übernehmen. „Es war eine evangelische Schule, die Werte vertrat, in denen ich mich sehr wiedergefunden habe.“ Später rief noch eine Schule an, die für eine AG einen Lehrer suchte. „Als Anfänger traf ich auf Schwierigkeiten, vor den Klassen zu bestehen.“

Zuweilen empfand er die Verantwortung als Last: „Wärst du doch Bäcker geworden, dann würde dir bestenfalls mal ein Brötchen verbrennen.

Als Lehrer hast du dreißig junge Menschen und ihre Zukunft vor dir. Andererseits hatte ich den Eindruck, ich kann den Schülern vieles für ihr Leben mitgeben.“
Zurzeit ist Johannes Pfeiffer in Loppiano. Zusammen mit ihm leben junge Männer aus Indonesien, Brasilien, Peru, Kolumbien und einer chinesisch-kanadischer Abstammung in einer Gemeinschaft. Er arbeitet in einer Schreinerei. „Vom Studium, vom Lehrersein, von ‚viel Kopf’ zu körperlicher Tätigkeit zu wechseln, tut mir sehr gut“, sagt er. Wichtig ist ihm, allen Menschen – ob sie ihm passen oder nicht – mit einer Haltung der Liebe zu begegnen. „Beziehungen, die fruchtbar werden dadurch, dass Jesus in ihnen Raum findet: Dafür will ich leben.“
Clemens Behr

Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2013)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München