24. Juli 2018

Plädoyer für die Diplomatie!

Von nst5

Offener Brief an: Moon Jae-in

Sehr geehrter Präsident Moon,

die Bilder aus Singapur gingen um die Welt: Die Machthaber Nordkoreas und der USA reichen sich die Hände! Dabei hatten sie sich noch kurz zuvor zu vernichten gedroht. 1:0 für Kim Jong-un, weil dem „mächtigsten Mann der Welt“ zu begegnen für den die Menschenrechte mit Füßen tretenden Diktator ein globaler Ritterschlag war? Oder 1:0 für Donald Trump, der das Treffen als seinen Verhandlungserfolg verbucht? – Noch hat niemand gewonnen! Denn der „Oberste Führer“ Nordkoreas und der US-Präsident haben nichts als schöne Versprechungen gemacht!

Deren Erklärung vom 12. Juni werten Sie dennoch als historisches Ereignis. Denn es hat die Kriegsgefahr verringert, das Verhältnis mit Ihrem Nachbarn entspannt, die Hoffnung auf Wiedervereinigung befeuert. Dass es dazu kam, ist maßgeblich Ihr Verdienst!

Bereits im Wahlkampf hatten Sie erklärt, für eine Annäherung mit Nordkorea zu stehen. Und direkt nach Ihrer Vereidigung angekündigt, Kim Jong-un baldmöglichst zu treffen, wenn die Bedingungen passen.

Als sich die Welt über seine immer neuen Tests von Langstreckenraketen empörte, blieben Sie dialogbereit. Man belächelte Ihren Idealismus, stempelte Sie als „Kommunist“ und „Pjöngjang-Freund“ ab. Im Juli 2017 legten Sie ausgerechnet im ehemals geteilten Berlin Ihr politisches Credo dar: Nordkorea als ebenbürtig respektieren; zum beidseitigen wirtschaftlichen Nutzen zusammenarbeiten; eine Wiedervereinigung als langen Prozess sehen; dabei müssten beide Koreas die zentrale Rolle spielen, auch wenn es nicht ohne USA und China gehe; Nordkorea dürfe nicht vom Süden geschluckt werden, müsse die Atomwaffen aber vollständig, überprüfbar und unumkehrbar abbauen. Besonnene Annäherung statt Drohgebärden, anders als der Ansatz der USA.

Ihre Eltern sind aus Nordkorea geflüchtet, Ihre Biografie ist wie die vieler Südkoreaner mit dem Norden verwoben: Ist das der Grund für Ihren Kurs und Ihr Durchhaltevermögen? Der Weg zum Gipfel in Singapur war holprig. Im Februar hatte Nordkoreas Olympiateilnahme politisches Tauwetter verheißen. In der Tat war der Kim-Trump-Gipfel schon angekündigt, als Sie Ende April mit Kim Jong-un zusammenkamen. Bei Ihrem zweiten Treffen mit ihm Ende Mai hatte Trump dagegen den Gipfel zu Ihrem Entsetzen gerade abgeblasen. Dann fand er doch statt. Die Ehre, Feinde zusammengebracht zu haben, ist Ihrer Mühe Lohn!
Trump hat den mühsam ausgehandelten Iran-Deal platzen lassen. Nach dem G7-Gipfel in Kanada trat er von der Abschlusserklärung zurück. Weder er noch Kim sind als verlässliche Partner bekannt. Warum sollten sich die sprunghaften Männer diesmal an ihre Abmachungen halten? Auf den Gipfel folgen kann alles oder nichts: eine historische Chance, die genutzt, aber auch vertan werden kann.

Sie haben hinter den Kulissen viele Fäden geknüpft, von langer Hand, mit langem Atem: ein Hoffnungszeichen, dass die Macht der Diplomatie nicht tot ist! Ein wichtiges Signal für unsere Länder, für die Politiker Europas! Sie könnten von Ihnen lernen und sich mutiger, ausdauernder, entschiedener mehr an der Entspannung von Konflikten beteiligen. Möge Singapur ein Auftakt sein!

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Moon Jae-in
Der 65-jährige Anwalt für Menschen- und Bürgerrechte ist seit Mai 2017 Präsident von Südkorea. Das Land hat 52 Millionen Einwohner bei einer Fläche von 100 000 Quadratkilometern. (Nordkorea: 24 Millionen Einwohner, 120 000 km2)

Der 1950 begonnene Koreakrieg zwischen beiden Staaten ist nicht offiziell beendet. Es gilt lediglich ein Waffenstillstandsabkommen von 1953 zwischen Nordkorea, China und der UNO. Die schwere historische Bürde von über vier Millionen Todesopfern stand bisher einer Annäherung im Weg.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2018)
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