10. Dezember 2014

Kein Licht am Ende des Tunnels

Von nst1

Gründe, warum der Erste Weltkrieg im Kino nur selten eine Rolle spielt.

Der Beginn zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ jährte sich diesen Sommer zum hundertsten Mal. Zeitungen, Sondersendungen und -artikel rückten das Interesse zumindest kurzzeitig auf den Ersten Weltkrieg, seine Hintergründe und Geschichten. Obwohl Kriege generell beliebte Motive auf der Leinwand sind – denn gerade in den dunkelsten Stunden der Menschheit können einzelne Personen und Taten besonders herausstechen – tun sich Filmemacher mit dem Ersten Weltkrieg oft schwer. Zwar setzen sich herausragende Filme wie „Im Westen nichts Neues“ (1979, Delbert Mann), „African Queen“ (1951, John Huston) oder „Lawrence von Arabien“ (1962, David Lean) gekonnt damit auseinander, dennoch ist die Liste guter Filme kurz. Ist der Erste Weltkrieg einfach nicht „filmreif“?

Es gibt viele mögliche Gründe, warum es schwer sein kann, Geschichten über den Ersten Weltkrieg und die Menschen dieser Zeit filmisch zu erzählen: Kaum ein anderer Krieg wird so stark mit anonymem Massensterben assoziiert – die von schlammigen Schützengräben geprägten Schlachten lassen nicht viel Platz für Menschlichkeit und große Geschichten. Auch die in Kriegen ohnehin komplizierte Unterscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ ist hier besonders heikel. Doch der wahrscheinlich wichtigste Grund, warum Filme über den Ersten Weltkrieg so schwierig sind, könnte am Fehlen eines kollektiven Happy Ends liegen. Der Zuschauer sehnt sich im Anschluss an verstörende und schockierende Kriegsszenen nach einem wenigstens teilweise versöhnlichen Abschluss, nach einem kleinen Licht am Ende des Tunnels. Während Schlussszenen in Filmen über den Zweiten Weltkrieg oft dem Erwachen aus einem bösen Albtraum gleichen und ihren Blick auf eine bessere Zukunft richten können, fehlt diese Perspektive im Jahre 1918, ja, sogar das Gegenteil ist der Fall: Nach dem Tod und der Verwüstung des Ersten Weltkrieges dauert es lediglich zwanzig Jahre, bis die Welt kurz vor der nächsten Katastrophe steht.

Auch wenn es nicht leicht ist, den Ersten Weltkrieg filmisch zu inszenieren, muss dieses wichtige Kapitel der Geschichte im Kino jedoch nicht übergangen werden. Außerdem bieten die genannten Problematiken gleichzeitig eine Chance für derartige Filme: Weil der Fokus wegrückt vom Kampf verschiedener Ideologien oder Nationen, entsteht Raum, auf individuelle Schicksale und Beziehungen eingehen zu können. So wagen sich neuere Filme erfolgreich an dieses Thema – wie „Die Gefährten“ (2011), in dem Steven Spielberg die dramatische Geschichte eines britischen Pferdes auf den Schlachtfeldern Frankreichs erzählt, das sein ehemaliger Besitzer um jeden Preis zurück nach England holen will; oder der aktuell in den Kinos laufende „The Cut“ (2014) 1), in dem Fatih Akin vom Genozid an den Armeniern erzählt, den die Osmanen in den Jahren 1915/16 begingen und der in der Türkei lange geleugnet wurde. Solche Filme ermöglichen es dem Zuschauer, eine emotionale Bindung zu einer entfremdeten Zeit aufzubauen.
Martin Parlasca

1) Start: D und CH 16.10.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2014)
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