17. April 2015

Bäume setzen im Senegal

Von nst1

Ökologie und Klimawandel sind auch in Afrika ein Thema. Das haben Schüler, Azubis und Lehrer aus Deutschland bei einem Umweltschutzcamp in Senegal und Gambia erlebt. Der Wald, den sie dort mit gepflanzt haben, trägt zudem zum Frieden bei.

Wer Afrika hört, denkt eher an hungrige Kinder als an fehlenden Baumbestand. Eine Wiederaufforstungsaktion, bei der 1516 Bäume von elf Arten gepflanzt wurden – einheimische Waldbäume, Obst- und Cashewbäume – mutet da eher verwegen an. Hierzulande, wo immer mehr Menschen statt in einem Biotop in einem „Technotop“ leben und den ganzen Tag vor dem Computer im Büro hocken, in dem, wenn man Glück hat, eine Zimmerpalme überlebt, sind Bäume wichtig. Aber in Afrika? Und: Wachsen die Cashews aus der Dose wirklich auf Bäumen?

Lilly Seidler, Mitgründerin des Vereins „Forêt internationale“ („Internationaler Wald“), der das Projekt Friedenswald initiiert hat, lacht. Sie rechnet mit solchen Irritationen und erklärt erst einmal, wie Cashewbäume aussehen und wie mühsam die Ernte ist.

Die 48-jährige katholische Kulturwissenschaftlerin, die auch Islamwissenschaft studiert hat, kommt aus Speyer, ihr Mann, ein senegalesischer Sprachwissenschaftler, aus Dakar.

Drei Jahre hat sie als Dozentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Universität Dakar im Senegal verbracht. Dort auf dem Campus wurden 2010 zahlreiche Bäume gefällt oder so stark beschnitten, dass sie abstarben. Der Müll auf dem Uni-Gelände stank zum Himmel. Und obwohl viele Einwohner von Dakar unter häufigem Stromausfall litten, sparte an der Uni niemand Energie. „Zwar wurden viele Dörfer mit Solarplatten versorgt und die Uni hatte qualifizierte Forschungsbereiche für erneuerbare Energien, aber es gab dort nur ein einsames Windrad“, berichtet Lilly Seidler. Viele Studierende und Kollegen ärgerten sich zwar über Umweltsünden, doch niemand wusste, was „man“ dagegen tun könnte. Bis auf einige Studierende für Umweltrecht, die vor ihrer Fakultät Bäume gepflanzt hatten und ihr weniges Geld zusammenlegten, um die Uni-Gärtner zu ermutigen, sie während der langen Trockenzeit zu gießen. Für sie war das Aufforsten nicht nur eine Maßnahme zum Klimaschutz, sondern auch eine Frage der Ästhetik und der Umweltpädagogik: Auf dem Campus der Uni Dakar wohnen rund 40 000 der insgesamt 70 000 Studierenden, die aus ganz Westafrika stammen und für Öko-Schutz sensibilisiert werden sollen.

„Ich hatte das Glück, dass der Rektor mich in die Kommission der Bürgerschaftscamps berief. Die Universität beteiligte sich damals an dem panafrikanischen Projekt, eine ‚grüne Mauer’ von Ost- nach Westafrika zu pflanzen, um das Vorrücken der Sahara aufzuhalten“, erzählt Dozentin Seidler, und ihre Augen leuchten. „Ich schlug ihm vor, auf dem Campus einen ‚Internationalen Wald’ zu gründen, um nicht nur weit weg, sondern auch auf dem Uni-Gelände gegen den Klimawandel zu kämpfen. Man könnte zum Beispiel weltweit Baumpatenschaften einwerben, damit viele Menschen ihren Teil für die Umwelt tun können.“

Der Rektor war begeistert. Aus dem kleinen Samenkorn entwickelte sich das Projekt „Internationaler Wald“.

Bis zu seiner Eröffnung im August 2010 hatten Lilly Seidler und ihre Mitstreiter viele Paten gewonnen, darunter den deutschen Botschafter im Senegal. Mit der Zeit waren es 200 aus 14 Ländern, und 20 Institutionen; eine bunte Mischung vom Wanderverein Dakar bis zum jungen Paar, das einen Baum pflanzte als Symbol ihrer Liebe. Die aktivsten unter ihnen waren Senegalesen, stellten die Initiatoren erfreut fest: „Manche von denen, die vorher die Bäume gefällt oder verstümmelt hatten, konnten jetzt für Aufforstung sorgen, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Es war nicht so, dass ich als ‚weiße Frau’ die Bedeutung der Natur hätte erklären müssen. Bäume galten in Afrika vielerorts sogar als heilig. Leider gilt es heute im Senegal oft als westlich-chic, wenn alles sauber zubetoniert ist und kein Blatt zu Boden fällt.“

Mit der Zeit steckten die Umweltpioniere ihre Ziele weiter und entwickelten ein Konzept zur CO2-Neutralität des Uni-Campus. Es umfasst die Bereiche Wiederaufforstung und Baumschutz, Energieeffizienz und erneuerbare Energien, Abfallvermeidung und –recycling sowie die Umweltpädagogik. Seit 2011 ist der „Forêt Internationale“ im Senegal als gemeinnütziger Verein eingetragen mit senegalesischen, deutschen, kamerunischen, gambischen und guineischen Mitgliedern.

Sie wollten so wie in der Hauptstadt auch auf dem Land aktiv werden. Dafür wählten sie die Grenzdörfer Kouram im Senegal und Bulock in Gambia, in denen bis vor wenigen Jahren Bürgerkrieg herrschte. Die Einwohner Bulocks hatten während des Krieges von 2006 bis 2012 die Einwohner von Kouram, das völlig zerstört war, bei sich aufgenommen. Daher beschlossen die Vereinsmitglieder, dort im Sommer 2014 ein internationales Umweltschutzcamp mit dem Motto „Friedenswald“ durchzuführen. „Was die Dorfbewohner geleistet haben, ganz selbstverständlich und ohne Trommelwirbel, das muss man sich mal vorstellen!“, sagt Lilly Seidler bewundernd. „Wenn wir das, was dort an praktischer Friedensarbeit getan wird, mit unserem Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland vergleichen…“

Zu diesem Umweltschutzcamp machte sich eine senegalesisch-deutsche Gruppe von 20 Teilnehmern zwischen 15 und 51 Jahren nach Kouram auf den Weg. Auf senegalesischer Seite nahmen hauptsächlich Studierende und junge Dozenten, auf deutscher Seite Schüler, Azubis und Lehrer am Umweltschutzcamp teil.

Neben den Aktivitäten im Naturschutz wollten sie die universale Geschwisterlichkeit sowie die gegenseitige Kenntnis der Kulturen und Religionen vertiefen.

95 Prozent der Senegalesen sind Muslime, etwa drei Prozent – zumeist katholische – Christen. Schon der Gründungspräsident Senegals hatte den Grundstein für ein friedliches Miteinander gelegt, indem er jeder Religion ihre Gesetze zugestand. „Muslime und Christen verstehen sich super“, resümiert Lilly Seidler. Man lädt sich gegenseitig zu den religiösen Festen ein, gewährt einander Nachbarschaftshilfe; katholische Schulen und Koranschulen stehen friedlich nebeneinander. „Die meisten unserer Mitglieder sind Muslime, aber auch viele Christen sind darunter. Wir pflanzen beim Umweltschutzcamp also nicht nur Bäume, sondern erleben einen interkulturellen und interreligiösen Dialog auf Augenhöhe.“

Für das Projekt „Friedenswald“ war hilfreich, dass Mitgründer Amadou Badji, Juradozent an der Universität Dakar, aus Kouram stammt, erklärt Lilly Seidler: „Er wusste, dass die Dorfbevölkerung schon länger eine Wiederaufforstung plante. Europäer meinen ja oft, sie müssten den Naturschutz exportieren. Doch auch den Afrikanern geht es um Umweltschutz und die Folgen des Klimawandels. Zum Beispiel, wenn durch die Abholzung des Baumbestands die Regenfälle stark zurückgehen.“

Der Wald ist in der Bürgerkriegsregion Casamance ein Symbol des Friedens, davon ist Lilly Seidler überzeugt: „Die Menschen, die vor den bewaffneten Konflikten geflohen oder deren Wälder und Felder zerstört sind, brauchen eine Perspektive.

Durch den Rückgang der Regenfälle wird die Landwirtschaft, insbesondere der Reisanbau, ihre Lebensgrundlage, in Frage gestellt. Dass die Menschen beginnen, ihren Wald selbst wieder anzupflanzen, lässt auf eine langfristige friedliche Entwicklung hoffen.“ Die Autoritäten vor Ort und das Internationale Rote Kreuz unterstützen das Projekt und wollen, dass es sich auf möglichst viele Dörfer erstreckt.

Die Erfolge können sich sehen lassen: Mit den Baumpatenschaften werden Bäume geschützt, ein kleiner Brunnen und eine Baumschule für Setzlinge angelegt. Dank der Patenschaften für erneuerbare Energien bekommen Entbindungsstation und Frauenkooperativen Solarlampen. Außerdem möchten die Frauenkooperativen eine Solartrocknungsanlage für Mangos, um die Früchte, die in der Haupterntezeit verfaulen würden, verarbeiten und verkaufen zu können. Feuerholz soll gespart und eine Biomasseanlage für Kuhdung und Toilettenabwässer eingerichtet werden, mit deren Gas beleuchtet und gekocht werden kann. Der Dorfchef bedankte sich bei den Teilnehmern des Camps herzlich für den „Rückenwind“: „Wir wollten etwas tun, und Ihr seid gekommen und habt von hinten geschoben.“

Auch in diesem Sommer wird es wieder ein internationales Umweltschutzcamp und eine Summerschool über erneuerbare Energien geben. „Wir freuen uns über viele Freiwillige und noch mehr Baum- und Solarpaten“, wirbt Lilly Seidler und freut sich, dass das Projekt von der Bewegung „Neue Gesellschaft“ der Fokolare in Süddeutschland unterstützt wird.

Die deutschen Teilnehmer des letzten Umweltschutzcamps hat das fröhliche, unkomplizierte Miteinander zwischen den Mitgliedern des „Internationalen Waldes“ und den Dorfbewohnern nicht mehr losgelassen. Sie werden in diesem Jahr alle wieder dabei sein und gründen nun einen deutschen Partnerverein.
Juliane Bittner

Weitere Infos: Lilly Seidler – seidlerl(at)yahoo.de
www.foretinternationale.org
www.ansaetze.info/de

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2015)
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