20. April 2015

Begleiten statt Erziehen

Von nst1

Was Eltern ihrem Kind alles vermitteln, ist ihnen nicht immer bewusst. Mit ihrer Sprache und ihrem Verhalten können sie es manipulieren oder sich zu einer freien, selbstständigen Person entwickeln lassen. Worauf sie in der Erziehung achten sollten, fragen wir Andreas Basu, Trainer für „Gewaltfreie Kommunikation“ in München.

Viele Erzieher werden denken: „Ich tu meinem Kind ja nichts Böses. Wozu soll ich mich mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigen?“
BASU:  Wir setzen Gewalt in der Regel gleich mit körperlicher Gewalt. Und sehen nicht, dass wir in unserer Sprache Formen haben, die das Miteinander deutlich erschweren. Wir haben uns aber so daran gewöhnt, dass uns das gar nicht mehr auffällt.
Hier meine ich in erster Linie verbale Gewalt. Die beruht auf einer gewissen Haltung. Nach außen zeigt sie sich in Vorwürfen, Drohungen, Erpressung, Manipulation. Wir versuchen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen auf eine Weise, die anderen und auch uns selbst schadet.
Ich kann ein Kind loben, damit es etwas tut. Das ist aber keine echte Wertschätzung, sondern Manipulation: Ich lobe es, damit ich selbst etwas bekomme. In dem Moment lebe ich ihm vor, dass es in Ordnung ist, seine Bedürfnisse über Manipulation zu erfüllen. Gleichzeitig verberge ich dem Kind vielleicht etwas wie meine Angst vor den Urteilen meiner Nachbarn über mich als Vater.

Was bewirkt ein solches Verhalten beim Kind?
BASU: Nehmen wir an, ich bin mit meinem Kind unterwegs und etwas passiert, das ihm Angst macht. Und ich sage dann: „Da musst du jetzt keine Angst haben!“ Es wird nicht antworten: „Du streitest mir die Angst ab? Jetzt tu nicht so, als hätte ich keine!“ Sondern es wird seine Gefühle in Frage stellen: „Mit mir stimmt was nicht, wenn ich Angst habe.“ Beim nächsten Mal wird es sie unterdrücken. Später als Führungskraft in einem Betrieb wird es die Frage, ob es bei einer Entscheidung Angst oder Bedenken hat, verneinen. Es gibt tatsächlich Leute, die völlig überzeugt sind, dass sie keine Angst mehr haben.

Das heißt, sie haben sie komplett verdrängt, weil sie es so gelernt haben. Wie könnten Eltern denn auf die Angst reagieren?
BASU: Das Erste ist, die Gefühle anzunehmen. Gefühle sind Fakten. Nachfragen ist eine Möglichkeit bei einem Kind, das schon etwas älter ist: „Was ist denn? Wovor hast du denn Angst?“ Wenn es erst zwei, drei Jahre alt ist, läuft die Kommunikation auf einer anderen Ebene ab. Da würde ich einfach Körperkontakt suchen, damit das Kind merkt, dass es wahrgenommen wird mit seiner Angst: Runter gehen auf Augenhöhe, es in den Arm nehmen. Das gibt ihm Sicherheit und Geborgenheit.

Gibt es Grundregeln für die Kommunikation mit den Kindern? Worauf sollten Eltern achten?
BASU: Ich würde mich von der Idee verabschieden, ich könnte mein Kind wirklich erziehen. Eltern sollten diesen massiven Druck bei sich selbst rausnehmen. Denn der führt häufig dazu, dass wir nicht mehr natürlich reagieren. Ich sehe mich weniger als Erzieher des Kindes, sondern will es auf seinem Weg begleiten, zu verstehen, wie es die Welt auf sichere Weise entdecken kann.
Kinder bringen unglaublich viel mit. Sie sind sehr klar in ihren Gefühlen und Bedürfnissen. Kleine Kinder sagen zum Beispiel häufig: „Selber.“ Sie wollen es selbst machen. Also schaue ich, dass für die Sicherheit gesorgt ist, aber ansonsten lass ich ihm die Chance, autonom zu werden. Das möchten wir doch in ihrer Entwicklung: Mein Kind soll nicht von mir abhängig sein, keine Kopie von mir, sondern eine eigenständige Persönlichkeit. Also unterstütze ich es dabei.
Es auf angemessene Weise zu begleiten, bedeutet, darauf schauen, was will das Kind und was kann es. Wenn es etwas nicht kann, unterstütze ich das Können. Wenn es etwas nicht will, gilt es, genau hinzuschauen: Will es nicht, weil es etwas nicht kann und Angst hat vor Überforderung? Oder will es nicht, weil es ihm nicht liegt? Oder will es nicht, weil es keine Lust hat? Und da würde ich unterschiedlich darauf reagieren.

Wie umgehen mit Forderungen, Bitten, die das Kind nicht erfüllt?
BASU:  Zunächst: Wieso bitten und nicht fordern? Jemand könnte sagen: „Manchmal muss man sich doch durchsetzen gegenüber dem Kind, deutlich machen, worum es geht, oder?“ Forderungen befürworte ich nur dann, wenn es wirklich um die Rechte von jemandem geht oder jemand zu Schaden kommen könnte. Ansonsten helfen Forderungen dem Kind lediglich zu lernen, sich Autoritäten zu unterwerfen, anstatt seinen eigenen Weg zu finden, oder es wählt die Rebellion.
Bei einer Bitte will ich mir über meine Absicht im Klaren sein: Will ich, dass das Kind etwas tut, weil es gut für es selbst ist und für mich? Oder will ich das nur, damit es mir dient, aber das Kind ist mir egal?
Warum stelle ich eine Forderung? Vielleicht trage ich schon länger Frust in mir, weil ich schon eine ganze Zeit verpasst habe, gut für mich zu sorgen. Vielleicht verstehe ich unter Empathie, anderen meine Bedürfnisse zu ersparen, oder ich weiß nicht, wie ich etwas ansprechen kann, ohne die Beziehung zu belasten. Das führt dazu, dass wir Themen oder Konflikte vermeiden, die dann aber irgendwann wie ein Rabattmarkenheft auf einmal eingelöst werden.

Wie wichtig ist es dabei, sich seiner Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu sein und sie auch zu äußern?
BASU: Gefühle sind Feedback-Signale. An unseren Gefühlen können wir erkennen, ob sich unsere Bedürfnisse erfüllen oder nicht. Und die Bedürfnisse sind das, was uns motiviert: Egal, was wir tun, wir versuchen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen.
Wir haben gelernt, Gefühle zu ignorieren, zu unterdrücken, andere für unseren Ärger verantwortlich zu machen. Das heißt, wir nutzen das Feedback nicht lebensdienlich. Eltern meinen häufig: „Mein Kind braucht etwas, also muss ich mein Bedürfnis hintanstellen.“ Das Kind hat die Priorität. Das führt dazu, dass sie völlig erschöpft sind. Sie würden dem Kind nie sagen: „Du, jetzt brauche ich mal was!“ Was lernt es daraus? „Wenn ich eine gute Mutter sein will, darf ich keine Bedürfnisse haben.“ Erschöpfung wird nicht mehr verstanden als Zeichen, dass ich mich überfordere, sondern als: „Ich bin gut unterwegs. Weiter so!“
Wir vermeiden dabei die Auseinandersetzung mit dem Kind. So lernt es weder, Rücksicht zu nehmen, noch lerne ich, dass es durchaus in der Lage ist, auch auf mich zu achten. Wenn ich dagegen gelernt habe, Bedürfnisse zu erkennen und sie nicht zu verwechseln mit meinen Handlungsstrategien, können wir Lösungen kreieren, die für beide gut und nachhaltig sind.
Babys zeigen ganz deutlich, wann sich Bedürfnisse erfüllen und wann nicht: Sie lachen und sind froh oder sie schreien. Leider lernen sie durch die Erziehung, immer mehr davon wegzukommen. Die Herausforderung für uns Eltern ist, dass wir ihnen diese Natur erhalten.

Sich von den Kindern eine Rückmeldung holen, wie kann das aussehen?
BASU: Das Erste ist, sich überhaupt dieser Idee zu öffnen. Lange bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, meinen heute 8-jährigen Sohn zu fragen. Ich will ihn nicht überfordern, kann aber nachhören: „Wie ist das denn für dich, wenn wir jetzt das und das spielen?“ Manche Kinder werden sagen: „Nicht so toll. Ich möchte lieber selber entscheiden, was ich spiele.“ Also keine Lösung vorgeben, nicht fragen: „Ist das gut für dich?“ Denn da werde ich manipulativ. Keine suggestiven, sondern offene Fragen stellen: „Was macht dir denn Spaß?“, „Was hättest du gern anders?“ oder „Wie geht es dir eigentlich heute mit mir?“
Wir waren ein paar Tage zu viert Schifahren. Morgens haben wir zusammen überlegt: „Wie kann es für alle ein schöner Tag werden?“ Die Kinder waren am Abend zufrieden, weil sie mitgestalten konnten. Und sie haben selbst gemerkt, wenn sie erschöpft waren und sich zu viel vorgenommen hatten. Mit den Rückmeldungen entsteht eine ganz andere Qualität in der Verbindung zu den Kindern!

Was bedeutet es, sich mit dem Kind auf Augenhöhe begeben?
BASU: Es heißt, die Bedürfnisse des Kindes genau so ernst zu nehmen wie meine. Wenn mein Kind mit acht Jahren Fallschirmspringen will, würde sich mein Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllen. Ich würde überlegen, was ihm sonst Freude machen könnte. Das kann auch mal eine Grenzerfahrung sein, die aber dem Alter angemessen ist. Ich kann auf Augenhöhe bleiben, mich in meiner Verantwortung ernst nehmen und zusammen Wege suchen, die für beide passen.

Wenn es darum geht, immer auf das Kind einzugehen, darf ich dann nicht mehr „Nein“ sagen?
BASUEin Nein ist legitim und nur ein Ja zu etwas anderem. Es kann ja sein, dass eine gemeinsam erdachte Lösung meine Bedürfnisse nicht erfüllt. Nein sagen ist eine Tat der Liebe, wenn es konstruktiv ist. Erst ein hartes Nein, das keine andere Lösung zulässt, macht es dem Kind schwer. Ich kann sagen: „Nein, so passt es für mich nicht! Hast du eine Idee, wie wir es machen können, so dass es auch für mich gut geht?“ Das bringt nicht nur neue Lösungen, sondern baut auch Vertrauen auf. Und entlastet die Eltern.

Vielen Dank für das Gespräch.
Clemens Behr

Andreas Basu,
geboren 1964, hat in München Nachrichtentechnik studiert. Nachdem er lange in Unternehmen Verantwortung für Personal und Großprojekte getragen hatte, ließ er sich zum Trainer in Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall Rosenberg ausbilden. Seit 2004 ist er selbstständiger Trainer, Coach und Unternehmensberater.

www.basu.de

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2015)
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