Gegen das große Vergessen
Tiere, Höfe, Dörfer
Tiere sprechen Emotionen und Sinne an. Man kann sie berühren, spürt ihre Wärme, wird von ihnen bedingungslos akzeptiert. In der Fürsorge für ein Tier kommen desorientierte Menschen aus ihrer Empfängerrolle heraus und können aktiv etwas geben. Daher arbeiten etliche Pflegeeinrichtungen bewusst mit Tieren. Und daher können Bauernhöfe in Schleswig-Holstein Demenzhöfe werden. Mehrere Landwirte haben bereits die dafür nötige Schulung absolviert. Danach können sie von der Pflegekasse Geld für ihre Betreuungsdienste erhalten. Gärtnern, Alpakas füttern, Zwergkaninchen streicheln: für jeden Demenzkranken findet sich etwas Passendes. Die Höfe lassen bei ihnen oft Erinnerungen aufleben und ermöglichen den Angehörigen durchzuatmen.
Damit Menschen mit Demenz sich frei bewegen und noch möglichst selbstbestimmt leben können, konzipierte man in Weesp nahe Amsterdam eine abgeschlossene Dorfgemeinschaft für sie. Das Dorf verfügt über Friseur, Fitnessstudio, Café, Restaurant und Lebensmittelgeschäft. 240 Mitarbeiter und 180 Ehrenamtliche kümmern sich um 150 Pflegebedürftige. Kritiker sagen, das Konzept widerspreche der Idee von sozialer Teilhabe und Inklusion. Dennoch macht das Beispiel Schule: In Deutschland entstand das erste Demenzdorf 2014 am Stadtrand von Hameln, das zweite 2016 in Stolberg bei Aachen; zwei weitere sind geplant.

Kinder & Senioren
Kinder bringen Leben in die Bude und animieren Senioren, aus sich herauszugehen. In manchen Städten werden Synergieeffekte zwischen Kita und Altersheim bewusst genutzt: gemeinsame Mahlzeiten, wöchentliche Programme oder sogar gemeinsame Betreuung von Kleinkindern und Menschen mit Demenz. Die Kinder verhalten sich gegenüber den alten Menschen ganz natürlich, die wiederum auf deren lebensfrohe Kreativität und Hilfsbedürftigkeit ansprechen.
Weckworte
Gedichte und Reime machen vielen Menschen mit Demenz Spaß. Rhythmische Texte können sie aus ihrem Alltagstrott holen, Erinnerungen wecken und ihre Mitteilsamkeit erhöhen. Poetry-Slammer und Kabarettist Lars Ruppel hat sich mit dem Projekt „Weckworte“ darauf spezialisiert. Er wendet sein Konzept mit Jugendgruppen in Seniorenheimen an und bildet Pflegepersonal und Angehörige von Demenzkranken darin fort. Sie lernen Poesie-Formen kennen; Berührungs- und Vortragsängste abzubauen; Gestik, Mimik und Betonung einzusetzen und die Menschen mit Demenz einzubeziehen: „Der Vortragende muss alles dafür tun, dass die Person das Gedicht wahrnehmen kann. Und wenn das Verständnis der Worte nicht gewährleistet ist, so doch über die Wärme der Stimme oder Körperkontakt signalisieren: Das mache ich gerade für dich!“ Die „Weckworte“ schaffen auf spielerische Art Nähe zu Menschen mit Demenz und vermitteln ihnen Sprach- und Lebensfreude. larsruppel.de
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2019)
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