3. Dezember 2020

Die Bilateralen

Von nst5

Am 27. September 2020 stimmte die Schweiz mit 61.7 Prozent gegen die Eidgenössische Volksinitiative „Für eine maßvolle Zuwanderung“. Wäre sie angenommen worden, hätte sie das Ende der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) und damit auch der so genannten Bilateralen I bedeutet.

Was sind die Bilateralen?
Kurz gesagt: Sie regeln das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Nachdem die Schweizer Stimmbevölkerung 1992 den Beitritt zum „Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR) abgelehnt hat, suchten die Schweiz und die EU neue Wege, um insbesondere ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu regeln. Aus diesen Verhandlungen sind verschiedene Abkommen entstanden, die das Verhältnis zwischen der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied und der EU in verschiedenen Themenbereichen umfassend regeln (Bilaterale I und II).

Was regeln die Bilateralen?
Die sieben Abkommen der Bilateralen I sichern der Schweiz und der EU den gegenseitigen Marktzugang und umfassen folgende Themenbereiche:

  • Personenfreizügigkeit (FZA)
  • Technische Handelshemmnisse
  • Öffentliches Beschaffungswesen
  • Landwirtschaft
  • Landverkehr
  • Luftverkehr
  • Forschung

Das FZA erlaubt es Schweizerinnen und Schweizern, in jedem Mitgliedstaat der EU zu leben, zu arbeiten und zu studieren; für EU-Bürger gilt dasselbe in Bezug auf die Schweiz – Arbeitsvertrag oder finanzielle Mittel vorausgesetzt.
Das zweite Vertragspaket, die Bilateralen II, berücksichtigt weitere wirtschaftliche Interessen (Lebensmittelindustrie, Tourismus, Finanzplatz) und erweitert die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU über den bisherigen wirtschaftlichen Rahmen auf neue wichtige politische Bereiche wie innere Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur. Es beinhaltet beispielsweise das Schengen/Dublin-Abkommen.

Warum zielte die Volksinitiative gegen das Freizügigkeitsabkommen?
Das Initiativkomitee aus dem Dunstkreis der rechts-konservativen Schweizerische Volkspartei (SVP) ist der Auffassung, dass die Einwanderung in die Schweiz seit Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit „maßlos“ zugenommen habe. Dies führe zu höherer Arbeitslosigkeit bei Schweizerinnen und Schweizern, steigenden Miet- und Bodenpreisen, einer Überlastung der Verkehrsinfrastruktur. Schweizer Arbeitnehmende würden durch „billige Ausländer“ ersetzt.

Warum war die Volksabstimmung über die „Begrenzungsinitiative“ so wichtig?
Das FZA ist mit den übrigen sechs Abkommen der Bilateralen I verknüpft: Wird es gekündigt, treten sechs Monate später automatisch auch die anderen Abkommen außer Kraft (die so genannte Guillotine-Klausel). Im Gegensatz dazu sind die Bilateralen II nicht rechtlich miteinander verknüpft, sondern konnten unabhängig voneinander in Kraft treten und auch gekündigt werden.
Regierung und Parlament sowie eine Mehrheit der Stimmbevölkerung lehnten die Initiative ab. Denn ohne die Bilateralen I würden die Schweizer Unternehmen den direkten Zugang zu ihrem wichtigsten Markt verlieren. Eine Annahme der Initiative hätte damit schwerwiegende Folgen für die Schweizer Wirtschaft sowie für das Verhältnis zur EU gehabt.
Diego Bigger

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/ Dezember 2020)
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