15. September 2010

Wenn das mein Sohn wäre?

Von nst_xy

Schon seit einiger Zeit hatte ich immer wieder einen kleinen Jungen in unserer Nachbarschaft beobachtet. Simon war schwarz, sieben Jahre alt und oft allein auf der Straße.
Als wir eines Tages spazieren gingen, folgte er uns. Wir blieben stehen und unterhielten uns mit ihm: Er lebte bei seiner Mutter, die erst spät von der Arbeit nach Hause kam. Deshalb verbrachte er viel Zeit alleine auf der Straße. Nach dieser Begegnung mit Simon war ich sehr unruhig und fragte mich immer wieder: „Wenn das mein Sohn wäre, was würde ich dann tun?“
Zwei Tage später erzählte mir eine Schwester aus dem Kloster in unserem Viertel, dass bei ihnen eine junge Frau arbeiten würde, die sehr besorgt sei um ihren Sohn. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich um die Mutter von Simon handelte. Zuhause sprach ich mit meiner Familie – meinem Mann und un seren vier Töchtern – über die Situation. Gemeinsam beschlossen wir, Simon zu uns einzuladen, wenn seine Mutter bei der Arbeit war.
Schon in der ersten Woche bemerkte ich, dass Simon große Schwierigkeiten in der Schule hatte. Ich verbrachte viel Zeit damit, ihm zu helfen; es war Zeit, die ich meinen Töchtern „wegnahm“ und in der sie mich auch gebraucht hätten. Dann bot unsere Jüngste mit neun Jahren an, Simon bei den Aufgaben zu helfen. So hatte ich wieder mehr Zeit für die Älteren. Unsere Töchter mussten in dieser ersten Zeit trotzdem oft auf ihre Mutter verzichten. Aber es war für mich beeindruckend zu sehen, wie sie sich immer wieder eingebracht haben und wie froh sie dadurch waren.
Ein besonderes Erlebnis für uns alle war, als die Mutter von Simon uns dann besuchte. Sie ist Muslima und erzählte uns, dass sie oft zu Gott gebetet habe, um eine Lösung für Simon zu finden. Jetzt hatte sie den Eindruck, dass er ihr durch uns geantwortet hatte. M.Z.

Es bedeutete Mehrarbeit.
Ich arbeite in einem Schweizer Bahnreisezentrum. Vor kurzem
zeigte ein Kunde mir sein Handy. Er hatte versucht, sein Guthaben an unserem Billett-Automaten aufzuladen. Aber das hatte wohl nicht funktioniert. Er erklärte, dass er erst kürzlich von Deutschland eingereist sei und eventuell eine falsche Auswahl am Automaten getroffen hätte, da er den Apparat nicht kannte.
Ich versuchte herauszufinden, wie wir dieses Problem lösen konnten. Dafür setzte ich mich mit der Telefongesellschaft in Verbindung und erhielt die Antwort, dass der Fall nur schriftlich erledigt werden könne. Auch wenn dies für mich eine Mehrarbeit bedeutete, wollte ich nicht aufgeben, sondern die Sache für den Kunden gut zu Ende bringen. So hielt ich den Vorgang kurz fest und sandte die Mail ab.
Zwei Tage später erhielt ich die Antwort, dass dem Kunden die 50 Franken ausnahmsweise direkt auf sein Handy gutgeschrieben würden. Der Kunde meldete sich im Reisezentrum und bedankte sich für die Hilfe. Ich sagte nur: „Es ist schon gut.“ Er schaute mich fest an und meinte: „Ich weiß, was Sie für mich getan haben. Ich sage Ihnen, ich habe mich angenommen gefühlt. Im Moment ist mein Leben ein bisschen durcheinander gekommen. Darum ist es mir wichtig, dass Sie wissen, dass Sie mir wirklich geholfen haben.“ Mit diesen Worten hielt er mir eine Flasche Wein hin. H.B.

Mir blieb der Atem weg.
Die Kellerdecke in unserem Haus musste isoliert wer
den. Wir vergaben den Auftrag an eine bekannte Firma. Kurz darauf stand ein ganz magerer Mann vor unserer Tür. Er hatte langes ungepflegtes Haar, roch stark nach Alkohol, Zigaretten und anderen unangenehmen Sachen und stellte sich als Mitarbeiter der besagten
Firma vor. Er zeigte auf sein beladenes Auto und fragte, ob er gleich beginnen könne.
Mir blieb fast der Atem weg. „Nein, einen solchen Mann lasse ich nicht ins Haus“, dachte ich sofort. Schließlich war ich allein zuhause. Noch andere negative Gedanken gingen mir durch den Kopf. Doch dann erinnerte ich mich an einen Text über die Liebe Gottes, der mich in diesen Tagen begleitet hatte: Wir können die unendliche Liebe Gottes selbst erfahren, aber auch allen Menschen weitergeben, hatte es da geheißen. In mir machte sich eine Stimme bemerkbar, die sagte: „Gerade jetzt hast du die Möglichkeit, diesen Menschen die Liebe Gottes erfahren zu lassen.“
Ich spürte: Wenn ich ernst machen wollte, durfte es kein Zögern mehr geben. So öffnete ich die Kellertüre. Als ich sah, wie mühsam er die Sachen aus dem Auto packte, fragte ich, ob ich ihm helfen könne. Darauf meinte er, das dürfe er von mir nicht erwarten. Trotzdem packte ich mit an. Später lud ich ihn zu einem Kaffee ein. Dabei erzählte er mir aus seinem Leben, von vielem, das misslungen war und unguten Taten. Er schien richtig erleichtert, das alles einmal erzählen zu können. Dann standen ihm die Tränen in den Augen, als er sich für mein Zuhören und die Zeit, die ich ihm geschenkt hatte, bedankte. B.W.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2010)
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