17. Juni 2014

„Grüner Nobelpreis“

Von nst1

Offener Brief an: Ruth Buendía, peruanische Naturschützerin

Sehr geehrte Frau Buendía,

die Asháninka, Ihr Volk, seine Geschichte und die Region, aus der Sie stammen, sind hier weitgehend unbekannt. Uns würde nicht weiter auffallen, wenn es Ihr Volk nicht mehr gäbe. Wie viele Völker in Südamerika ist es durch große „Entwicklungs“-projekte und Raubbau an der Natur bedroht. Aber Sie setzen sich couragiert dafür ein, dass es weiterhin eine Lebensgrundlage hat, und das verdient Beachtung!

Peru hat Gesetze, nach denen die indigenen Völker bei der Planung von Entwicklungsprojekten auf ihrem Gebiet einbezogen werden müssen. Dennoch wurden die Asháninka nicht gefragt, als Peru und Brasilien den Bau einer Reihe großer Wasserkraftwerke im Amazonasgebiet vereinbarten. Sie hätten auch keinen Gewinn davon gehabt: Durch den Pakitzapango Staudamm sollte ihr angestammtes Territorium, wo sie seit Menschengedenken Landwirtschaft betrieben, jagen und fischen gingen, überflutet, der Strom nach Brasilien exportiert werden.

Dabei hatten sich die Asháninka noch nicht vom Terror der Guerillabewegung Leuchtender Pfad erholt: Vertreibungen, Versklavung, sexuelle Gewalt, Massaker, Unterernährung hatten sie schwer traumatisiert. Auch Ihr Vater wurde getötet, als Sie zwölf Jahre alt waren. Ihre Mutter schickte Sie zur Sicherheit in die Hauptstadt Lima. Später wurden Ihnen Ihre kulturellen Wurzeln bewusst. Sie kehrten zurück, weil Sie beitragen wollten, die Wunden zu heilen. 2005, mit 27, wurde mit Ihnen erstmals eine Frau zur Präsidentin der „Zentralen Asháninka vom Ene Fluss“ gewählt.

Nachdem Sie von dem Staudammplänen gehört hatten, klärten Sie die Asháninka mit anschaulichen Computersimulationen auf, welche Folgen das Projekt haben würde, organisierten den Widerstand und vertraten ihre Interessen vor der internationalen Politik.

Ihr Einsatz zeigte Wirkung: Perus Energieminister stellte sich auf Ihre Seite, der Gesellschafter eines anderen Staudammprojekts zog sich zurück. Ein schöner Erfolg! Aber Sie waren noch nicht am Ziel: Ihre Leute leben spartanisch; sie haben weder Trinkwasser noch Strom oder eine Kanalisation; es fehlt an Gesundheitszentren. Unter diesen Bedingungen wollen ausgebildete Lehrer nicht unterrichten. Sie, Frau Buendía, wollen Landrechte festlegen, denn ohne ihr Land sind die Asháninka nichts, und das Gebiet vor Großprojekten schützen. Sie arbeiten daran, dass sich die Bewohner in Genossenschaften organisieren, um nachhaltigen Kaffee- und Kakaoanbau zu betreiben. Sie sagen Kokapflanzungen und dem Bau von Landepisten für den Drogenhandel – gewaltlos – den Kampf an und wollen stattdessen die Bildungschancen der Kinder verbessern. Zu all dem wünschen wir Ihnen Geduld, Kraft und die Unterstützung von vielen Seiten!

Wir freuen uns, dass Sie mit dem „Grünen Nobelpreis“ ausgezeichnet wurden und beglückwünschen Sie herzlich! Ihr Engagement geht weit über den Umweltschutz hinaus, denn Sie verteidigen mit dem Lebensraum der Asháninka zugleich die Menschenrechte und tragen dazu bei, die kulturelle Vielfalt der Menschheitsfamilie zu bewahren! 

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Ruth Buendía Mestoquiari, 37, aus Peru, die wie fünf andere Personen Ende April den „Goldman Environmental Prize“ erhalten hat. Die Mutter von fünf Kindern setzt sich dafür ein, dass ihr Volk der Asháninka nicht durch den Bau großer Staudämme ausgelöscht wird.
Der Umweltschutzpreis wird seit 1990 jährlich an sechs Naturschützer der Graswurzelbewegung aus verschiedenen Kontinenten vergeben und ist mit 175 000 Dollar pro Preisträger dotiert.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2014)
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