12. November 2010

Wort des Lebens – November 2010

Von nst_xy

„Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ (Matthäus 5,8)
Die Verkündigung Jesu beginnt mit der Bergpredigt. Auf einer Anhöhe oberhalb des Sees von Tiberias in der Nähe von Kafarnaum beschreibt Jesus einer großen Zuhörermenge den Menschentyp der Seligpreisungen.
Bereits im Alten Testament bezeichnete das Wort ‚selig’ Menschen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise das Wort des Herrn zu Eigen machten.
Die Seligpreisungen der Bergpredigt dürften bei den Jüngern Jesu deshalb zum Teil großen Widerhall gefunden haben. Dass jedoch Menschen, die ein reines Herz haben, nicht nur würdig sind, den Berg des Herrn zu besteigen, wie es in einem Psalm heißt 1), sondern sogar zur Schau Gottes gelangen können, hörten sie sicher zum ersten Mal. Doch worin besteht nun die Reinheit des Herzens, der so viel verheißen wurde? Jesus kommt im Laufe seiner Verkündigung mehrfach darauf zu sprechen. Gehen wir seinen Worten ein wenig nach, um aus der Quelle dieser Reinheit zu schöpfen.

„Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“

Gemäß der Lehre Jesu erreicht man diese Reinheit auf einzigartige Weise: „Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe.“ 2) Es sind also nicht so sehr bestimmte Rituale, die den Menschen innerlich rein machen, es ist vielmehr das Wort Jesu. Sein Wort ist nicht wie die Worte der Menschen. Vielmehr ist darin Christus selbst gegenwärtig, so wie er etwa auch in der Eucharistie gegenwärtig ist. Durch sein Wort tritt er in uns ein. Und wenn wir es in uns wirken lassen, macht er uns frei von der Sünde und schenkt uns „ein reines Herz“. Die Reinheit des Herzens ist also Frucht des gelebten Wortes, all jener Worte Jesu, die uns frei machen von unseren sogenannten Anhänglichkeiten (an Dinge, Menschen, uns selbst), denen wir zwangsläufig erliegen, wenn unser Herz nicht in Gott und seinen Weisungen verankert ist. Wenn das Herz jedoch allein auf Gott ausgerichtet ist, wird alles andere nebensächlich.
Dabei kann es hilfreich sein, im Laufe des Tages immer wieder folgendes Psalmwort zu beten: „Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein.“ 3) Wiederholen wir es häufig, besonders dann, wenn Bilder, Gefühle und Leidenschaften unser Herz in Beschlag nehmen, unseren Blick auf das Gute verdunkeln und unsere Freiheit beschneiden wollen.
Vielleicht wird unser Blick von gewisser Werbung oder bestimmten Fernsehsendungen angezogen. Dann sollten wir uns an Gott wenden: „Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein.“ Diese Liebeserklärung an ihn kann der erste Schritt sein, der uns aus unserer Selbstbezogenheit herausführt und zur Reinheit des Herzens finden lässt.
Gelegentlich kann es sein, dass sich ein anderer Mensch oder eine Aktivität zwischen uns und Gott schiebt, und unsere Beziehung zu ihm getrübt wird. Wiederholen wir auch in diesen Augenblicken: „Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein.“ Das wird unsere Absichten läutern, und uns innerlich wieder befreien.

„Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“

Das gelebte Wort macht uns frei und rein, weil es Liebe ist. Die Liebe ist es, die mit ihrem göttlichen Feuer unsere Absichten und unser Inneres reinigt; denn mit Herz meint die Bibel den innersten Sitz menschlichen Erkennens und Wollens.
Jesus hat uns eine Liebe aufgetragen, die es erlaubt, dieser Seligpreisung noch besser zu entsprechen: die gegenseitige Liebe derer, die im Blick auf Jesus bereit sind, das Leben für die anderen zu geben. Diese Liebe gleicht einem Strom, der alle erfasst; sie prägt eine Atmosphäre, die klar und rein, durchlässig auf Gott ist. Denn nur die Gegenwart Gottes erschafft in uns ein reines Herz.. 4)
Wenn wir in der gegenseitigen Liebe leben, dann reinigt und heiligt uns das Wort.
Auf sich allein gestellt ist der Mensch auf Dauer nicht in der Lage, den Verlockungen der Welt zu widerstehen. In der gegenseitigen Liebe findet er hingegen einen geschützten Raum, in dem sich Reinheit des Herzens und authentisches Christsein entfalten können.

„Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“

Und diese Reinheit, die es immer wieder neu zu erobern gilt, wird uns Gott schauen lassen.
Wir werden sein Handeln in unserem Leben und in der Geschichte erkennen, seine Stimme im Herzen vernehmen, und seine Gegenwart in den Armen, in der Eucharistie bzw. dem Abendmahl, in seinem Wort, in der geschwisterlichen Gemeinschaft und in den Kirchen empfinden.
So können wir schon in diesem Leben, in dem wir unseren Weg als Glaubende, nicht als Schauende 5), gehen, einen Vorgeschmack der Gegenwart Gottes erfahren, eines Gottes, den wir einst „von Angesicht zu Angesicht“ 6) sehen werden.
Chiara Lubich

Erstmals veröffentlicht in: NEUE STADT, November 1999
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1) vgl. Psalm 24,4
2) Johannes 15,3
3) Psalm 16,2
4) vgl. Psalm 51,12
5) vgl. 2. Korintherbrief 5,7
6) 1. Korintherbrief 13,12

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2010)
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